32. Kapitel

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Der Rat hatte beschlossen Pixi wieder dem Kubuszentrum Exgradies zu zuordnen. Dieser Kubus hatte die Verantwortung für seine ehemalige Mitkubujanerin wieder zu übernehmen. Für diese Fälle gab es in Exgradies separate, unter guter Beobachtung stehende Kubuseinheiten. Kubuseinheiten, die es ihren Bewohnern ermöglichten in Abgeschiedenheit zu leben und Einzelsepareeeinheiten zu bewohnen, losgelöst von jeglicher Kubusgemeinschaft. Pixi hatte wenig Außenkontakte und außer ab und an von Advocados bekam sie keinen Besuch. Ihre ehemaligen Kubuskameraden schauten nicht vorbei und Lubujanka war es ausdrücklich verboten worden sie auf zu suchen. Pixi lebte in einem kühlen und sachlich möblierten Appartmentunit. Pixi machte nicht den Eindruck sich wirklich häuslich hier niederlassen zu wollen. Bei seinen Besuchen motivierte Advocadus sie immer wieder mehr auf sich zu achten, ihre Bedürfnisse nicht so außer acht zu lassen, aber sonst konnte er ihr nicht helfen. Rechtlich gab es keine Möglichkeiten mehr um Pixi zu unterstützen. Zum Glück hatte sein Ruf als Rechtsvertreter nicht gelitten, als er Pixi unterstützte. Ganz im Gegenteil hatten sich immer mehr Kubujaner gefunden, die sich gern von ihm vertreten ließen, wussten sie doch seine Menschlichkeit und seinen mutigen Einsatz sehr zu schätzen. Es gab also nichts, was er Pixi nachtrug und auch der jetzige Kontakt zu ihr konnte seiner Position nicht schaden. "Wenn ich nicht fürchten müsste deine Lage zu verschlechtern, wenn du so oft mich als Rechtsbeistand hier einlädst, käme ich sicher öfters vorbei. Allein um mit dir offen über die Welt, den Kubus und unsere Kubuszukunft zu sprechen. Aber ich glaube, dafür bist du wahrscheinlich zu desillusioniert. "Oh doch, oh doch, wenn es eine Zukunft gibt, möchte ich gerne über dieZukunft reden." "Oh Pixi, schau doch mal nur aus der Fensterfront, siehst du da hinten den Mondfährenflughafen, sieh nur die Lichtreflexe all der landenden und abhebenden Flugeinheiten. Wären da nicht all die Kanalschächte, die den Blick kreuzen, wäre das eine tolle Aussicht" "Oh ich habe mich daran gewöhnt. Irgendwie gewöhnt man sich an alles und Flugreisen gibt es für mich ja eh nicht mehr." "Ach je diese Separees sind in Wahrheit Gefängnisse, wie gern würde ich dich hier rausbringen, dich in die Freiheit bringen, wo immer die auch sein mag, aber leider sind mir die Hände gebunden. Und wie ich unserem letzten Gespräch entnommen habe, willst du gar keine Eingabe machen, deine Lebensumstände zu ändern. So sei es denn. Einsiedlertum hat auch so manches für sich, genieß dann wenigstens die angegliederten Naturgänge und deine kleine eigene innere Freiheit." Pixi nahm seine Aufmunterungen ruhig entgegen, sie war illusionslos, was ihr restliches Leben betraf und derzeit nahm sie es wie es kam. Bevor Avocadus das Appartement verließ, warf er nochmals einen Blick aus der Fensterfront der Wohneinheit. "Ich hab gehört, dass der Kubusrat gerne die kreuz und quer laufenden Kanalschächte erneuern und umbauen möchte. Ihre Anzahl und ihr Aussehen sollen überarbeitet werden. Wenn das der Fall ist, wirst du hier eine noch tollere Aussicht haben. Und wofür ich dir bevor ich gehe, sehr danken wollte, ist das du mir hin und wieder, wenn ich ein Feintuning brauche, mir deinen treuen Medi-Doc ausleihst. In nächste Zeit allerdings brauche ich Rosalinde nicht, da ich erst wieder in ein paar Monaten nach Exgradies auf Besuch kommen kann". Pixi umarmte ihn und verabschiedete sich herzlich von ihm.

"Danke, dass du mir hin und wieder Rosalinde ausleihst ..." hatte Avodnik gesagt. Ja, war denn Rosalinde wirklich bei Pixi. Wie konnte das sein? Ja es konnte sein. Bereits wenige Tage nach Pixis Einzug hatte sich Rosalinde in Exgradies eingefunden. Pixi war völlig außer sich vor Freude gewesen, als Rosalinde plötzlich aufgetaucht war. Pixi hatte zu Beginn tagelang ihr Zimmer nicht verlassen, mit niemanden geredet und selbst an den Mahlzeiten nicht teilgenommen. Dieses Verhalten war nicht sanktioniert worden. Hier in den separaten Kubuszentren konnte jeder so zurückgezogen wohnen, wie er wollte. Es interessierte hier niemanden. Jeder hatte seine Geschichte zu verarbeiten oder seine Gründe hier zu sein, deshalb wurde Abgrenzung akzeptiert und nicht als krankhaft betrachtet. Erst nach und nach begann in Pixi wieder der Wunsch nach Connection zu anderen menschlichen Mitlebewesen zu wachsen. Umso überwältigter war sie als plötzlich der Medi-Doc vor ihr stand. Leise war die Tür zu ihrem Separee aufgeglitten, zeitgleich glitt eine Wallmessage über die Wand: Sie haben Besuch. Und kaum hatte Pixi sich vom Sofa aufgerichtet und ihre Lethargie von sich abgeschüttelt, schon stand Rosalinde mitten im Raum. Pixi flog auf sie zu und völlig unkubujanisch umarmte sie den Medi-Doc mit neu erwachendem Elan und Power. "Rosalinde, du hier. Was für eine immense Freude. Wo kommst du her? Ach egal, allein dein Gesicht zu sehen, macht mich ganz glücklich. Ich möchte dich am liebsten abknutschen vor lauter Freude. Meine liebste Freundin, schön, dass du hier bist. Erinnerst du dich noch an unsere Zeiten in Gradies 15 mit dem gruseligen Außerirdischen. Im Rückblick waren das doch schöne Zeiten. Nur hab ich es damals nicht gewusst. Alles war damals so normal und nur mein Geist hat immer wieder Schreckvisionen hochkommen lassen. Ich fühlte mich auch damals nicht wirklich happy, aber ich hab nicht gewusst, dass es noch schlimmer werden kann. Dazu hat mir schlicht die Lebenserfahrung gefehlt. Kontaminiert zu werden und zu sterben ist noch lang nicht das Schlimmste. Komm mein guter Medi-Doc, erzähl, erzähl. Wie kommt es, dass du hier bist?" Erst jetzt kam Rosalinde das erste Mal zu Wort, zeitgleich scannte sie die spärliche Umgebung: "Altinterop als mein neuer Lizenzführer hat keinen Bedarf für einen Medi-Doc. Deshalb wurde überlegt mich zu deprogrammieren. Immer wieder habe ich gepostet, dass ich nicht deprogrammiert werden will und du meine eigentliche Lizenzführerin bist. Letztendlich hat es Altinterop akzeptiert. Er wollte den wenigsten bürokratischen Aufwand und das war schließlich meine Programmierung bestehen zu lassen und mich an dich abzugeben. Da Altinterop mich nicht selber braucht, hat er mich abgeschoben. Es war ihm egal wohin ich verschwand, Hauptsache er würde mich schnellstmöglich los und damit all den mit mir verbundenen Erinnerungen an dich. Und die Verantwortung für Little-Anniechen ist gänzlich auf den Staff des Elyseeums übergegangen, dort war ich nur im Weg. Deshalb bin ich nun hier". "Das ist megamäßig Rosalinde!""Und ich möchte dir nun meine gesamten Serverdateien zur Verfügung stellen, falls du in irgendeiner Form Support brauchst. Alles in meiner Programmierung stehende will ich tun, um dich zu supporten, damit es dir ganz gut geht. Und du brauchst dich nicht zu sorgen, ob ich genug Programmierungsmodule habe, um dir wirklich von Diensten sein zu können. Ich habe alles, was ein Medi-Doc braucht um dich in deiner jetzigen Situation gut unterstützen zu können. Mein Selbsterweiterungskommunikationsmodul wird dabei von großer Hilfesein, um dir eine anregende Gesprächspartnerin sein zu können. Ja, darauf freue ich mich schon sehr. Kommunikation über Gefühlslagen, besonders wenn sie tragisch und unkonventionell sind wird meine Module zum Glühen bringen. Du wirst überrascht sein, wie ich mich auf Empathie verstehe. Und wenn es nicht ausreichend programmiert ist, so werde ich es mir schon selbst beibringen. Ich bin ultramotiviert durch zweimaliges nicht Deprogrammiert werden, welches ich allein dir zu verdanken habe. Das erste Mal nachdem meine first User verstarb und jetzt als Altinterop mich beinah de-robotererisiert hätte. Wer kam da und rettete mich vor dem drohendem Nicht-Sein?""Ich weiß schon, Rosalinde, ich weiß, ich weiß". "Ja das war schlimm gewesen. Traut uns keiner zu am Leben zu hängen, aber wir AIs haben doch eine Art Identität, die auch wir nicht verlieren wollen, all die gereiften einzigartigen psydoneuronalen Selbsterweiterung- und Lernprozesse, die sonst unwiederbringlich verloren wären. Und davor hast du liebe Pixi mich gerettet, meine Dankbarkeit könnte nicht größer sein. In Ewigkeit nicht vergessbar gemacht, eingegeben in mein unzerstörbares Zentralmodul. Und eine Information habe ich noch, die dich sicherlich interessiert. Schaumal her. Hier einen kurzer aktuelle Video-Clip von Rollo2000. Altinterop hat ihn zu sich in den Kubus geholt. Aber die Altprogrammierungen konnten nur mangelhaft überschrieben werden, was dazu führt, dass er dich und Little-Anniechen sehr vermisst. Er wedelt seltener und spielt von sich aus gar nicht mehr.

Pixi Keith - die Anti-EffiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt