Es klopfte an der Tür. Mit einem müden Blick krächzte ich matt ein heiseres "Herein".
Man hatte mir eine Beruhigungsspritze gegeben, nun war ich ans Krankenhausbett gefesselt. Nicht wirklich gefesselt. Man wollte mich nur über Nacht hier lassen, damit ich weiterhin psychologisch betreut werden konnte. Das klang ja wunderbar.
Eine dunkelhäutige, stämmige Frau trat ein. Sie hatte ihr schwarzes, gelocktes Haar zu einem strammen Zopf gebunden und in ihren schokobraunen Augen lag etwas Wachsames und Verständnisvolles.
"Hallo Elinor", begrüßte sie mich lächelnd und stand mit wenigen Schritten am Fußende meines Bettes. "Hallo", murmelte ich zurück und musterte sie.
Die Frau war keine Krankenschwester und auch keine Ärztin, sie trug einen schlichten, grünen Pullover und eine blaue Jeans, die ihre Rundungen betonte. Das Einzige, was verriet, dass sie zum Persinal des Krankenhauses gehörte, war das weiße Narmensschild, das oberhalb ihrer Brust angesteckt war.
Ihren Namen konnte ich aus der Entfernung jedoch nicht entzifferm, aber das war kaum weiter schlimm, da sie sich gütigerweise in diesem Augenblick selber vorstellte. "Ich bin Tamara und heute für dich da. Wie fühlst du dich, Elinor?", fragte sie mit einer tiefen, melodischen Stimme.
Einen Moment lang wollte ich Tamara für diese bescheuerte Frage anschnauzen. Ich war vergewaltigt worden, wie sollte es mir schon gehen? Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es sie tatsächlich interessierte, wie es mir ging. Außerdem fehlte mir die Kraft für eine abweisende, unfreundliche Antwort, daher zuckte ich lediglich mit den Schultern. "Ich weiß nicht", antwortete ich. Ich klang gebrechlich. Eingeschüchtert.
Tamara nickte. Ich war dankbar, dass sie sich keine Notitzen machte oder unser Gespräch dokumentierte. Sie zog sich einen Stuhl heran und setzte ich neben mein Bett. "Es tut mir sehr Leid, dass dir das passieren musste", meinte Tamara und sah mich mitfühlend an.
Wieder wusste ich nicht so richtig, was ich dazu sagen sollte, daher schwieg ich lediglich. Allerdings schien Tamara auch keine Antwort von mir zu erwarten, denn sie fuhr rasch fort: "Bitte sag mir alles über die Vergewaltigung, was du für nötig hältst, damit ich dich verstehen kann."
Hitze schoss durch meinen Körper und ich begann zu zittern. "Was soll ich Ihnen denn da erzählen?", reagierte ich mit einer schüchternen Gegenfrage und versuchte, meine bebenden Hände zu verstecken.
"Alles was du loswerden willst", lautete die Antwort. Am liebsten hätte ich pampig erwidert, dass sie das gar nichts anginge. Ich hatte mich immer für einen starken, selbstbewussten Menschen gehalten, der nicht gern über seine Gefühle sprach. Während Margot mir alles hatte anvertrauen können, hatte ich eher zugehört. Mit meinen eigenen Gefühlen kam ich schon alleine klar.
Aber nun stellte ich fest, dass ich mich einfach fallen lassen wollte. Ich wollte Tamara sagen, wie es mir ging. Ich wollte jemandem davon erzählen.
"Ich war im Wald", fing ich stockend anzusprechen. "Laufen. Dann habe ich gemerkt, dass irgendetwas anders war und mich umgedreht. Er - er muss mich mit etwas niedergeschlagen haben. Als ich aufgewacht bin, war er- war er- er hat-" Weiter kam ich nicht.
Aus meinem wirren Gerede konnte Tamara wohl doch einige Schlüsse ziehen. Sie akzeptierte es, dass ich an meine Grenzen gestoßen war. Zumindest hakte sie nicht weiter nach, sondern erkundigte sich erneut nach meinem jetzigen Befinden.
"Ich will duschen", fiel mir der Grund für die Beruhigungsspritze plötzlich wieder ein.
"Ich weiß. Das ist nicht ungewöhnlich", bemerkte sie und ich gab Ruhe. Etwas verärgert verschränkte ich die Arme. "Darf ich sie etwas fragen?", wollte ich wissen. "Natürlich", lautete ihre Antwort. Ich schaute an die gegenüberliegende, weiße Wand. Hier war alles weiß.
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Victim
Teen Fiction»Ich wünschte, er hätte mich getötet. Es wäre besser, tot zu sein. Alles war besser als das hier. Diese ständigen Flashbacks. Die an mir nagenden Erinnerungslücken. Der Schmutz unter meiner Haut. Der unerträgliche Scham. Die grauenhaften Alpträume...