Kapitel 28

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"Scheiße, Elinor!", rief Valerie und kniete sich neben mich, mit hektischen Bewegungen darum bemüht, ihr merkwürdiges Kleid nicht mit dem Rohrreiniger in Kontakt kommen zu lassen. "Was hast du denn gemacht?"

Ich konnte nicht antworten und ließ lediglich betäubt zu, dass sie mich von der ätzenden Pfütze auf dem Küchenboden fort zerrte. "Wie siehst du denn aus?", antwortete ich schließlich mit einer Gegenfrage, die Augen noch immer skeptisch auf ihre gesamte Erscheinung gerichtet.

"Das tut jetzt nichts zu Sache!", wehrte Valerie ab, doch es war ihr sichtlich unangenehm. "Was macht man denn jetzt bei Verätzungen, um Himmels Willen?" Ihre Stimme klang verzweifelt und viel zu schrill in meinen Ohren.

"Du bist doch die Medizinstudentin, nicht ich!", gab ich gereizt zurück. Das brennende Gefühl auf meiner Haut nahm mir die Fähigkeit, klar zu denken.

Ich registrierte kaum, wie sie nervös den Krankenwagen rief, ich hörte nur das laute Pochen in meinen Ohren. Erneut musterte ich meine Schwester, die händeringend irgendwelche Fragen am Telefon beantwortete. So konnte sie nicht in der Universität gewesen sein. Niemals.

Nur, wo war sie dann gewesen?

Sie hatte es schon früher geliebt sich zu verkleiden, doch irgendwie hatte ich angenommen, dass diese Leidenschaft im Laufe der Jahre verloren gegangen sein musste. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass sie gerade jetzt wieder damit anfangen wollte.

"Die vom Notruf haben gesagt, ich soll dich erst Mal ganz lange duschen", stammelte Valerie völlig durcheinander und brachte mich erneut ins Bad, wo sie kaltes Wasser über mich laufen ließ. Es tat so verdammt weh, dass ich die Augen schließen musste.

Trotzdem lösten sich mehrere Tränen. Auch wenn man die Dunkelheit der Wahrheit vorzog und geschlossene Augenlider alles ausblendeten - das Wasser deiner blutenden Seele fand immer einen Weg.

Eine Erfahrung, die ich schon früh hatte machen müssen, als ich noch in Noah verliebt gewesen war. Gott, wie sehr wünschte ich mir, der Grund für meine Trauer würde dieses Mal auch nur dummer Liebeskummer sein.

Während Valerie mich weiter duschte, damit das seifige Gefühl verschwand, fiel mir mit einem Schlag auf, dass ich nackt war. Und meine Schwester mich sah.

Panik stieg in mir hoch und ich versuchte mich verzweifelt an den Gedanken zu klammern, dass es mir ja eben auch noch nichts ausgemacht hatte. Weil ich es nicht gewusst hatte. Es war nicht schlimm.

Nicht.

Schlimm.

Doch! Ich war nackt, unbedeckt, völlig entblößt. Ein hysterisches Wimmern kam über meine bebenden Lippen und ich kämpfte verbissen, um bei Bewusstsein zu bleiben.

Ein weiterer Kampf, den ich verlor.

Alles wurde schwarz um mich herum, das Letzte, was ich hörte, war Valeries überraschter Aufschrei.


Als ich wieder zu mir kam, lag ich in einem Bett mit weißem Laken. Ein unschuldiges Weiß, unbefleckt und unberührt. Valerie saß neben mir, mit geschlossenen Augen. Auch aus ihrem Augenwinkel stahl sich eine Träne, die ihre Wange herunter lief und von ihrem Kinn tropfte.

Sie trug nun einen weißen Krankenhauskittel, der ihr viel zu groß war und ziemlich billig aussah, doch auf ihrem verweinten Gesicht waren noch Reste ihres Make Ups zu sehen.

Länger konnte ich mir das nicht ansehen. "Valerie?", fragte ich, fast verschüchtert, mit sanfter Stimme.

Ertappt fuhr sie hoch und wischte sich verstohlen über die Augen. "Ellie", schniefte sie. "Tut mir Leid, ich-"

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