Kapitel 21

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Bild: Dr. Hoffmann

Ich war unheimlich nervös, als ich mein Fahrrad vor einem großen, dreistöckigen Haus abstellte. Die U-Bahn hatte ich unbedingt vermeiden wollen, aus Angst vor dem Schweiß und der Nähe der Fremden, die ich doch früher immer so geschätzt hatte.

Die wenigen Kilometer von Valeries Wohnung bis hin zur Praxis von Dr. Hoffmann war ich mit meinem alten, klapprigen Rad gefahren. Das Laufen fehlte mir, da erschien mir dies eine willkommene sportliche Ablenkung zu ein.

Doch die Fahrt war rasch vorüber, nun stand ich meinem Ziel gegenüber.

Es war Montag und meine erste Therapiestunde bei Dr. Hoffmann wartete auf mich. Zu Hause hatte ich den ganzen Tag kaum still sitzen können, mein Blick war dauernd zur Uhr gewandert. Und trotzdem war ich zu spät aufgebrochen, da ich mich mit meiner schrecklichen Angst vor dem Unüberwindbaren hatte drücken wollen.

Valerie hatte angeboten, mich zu begleiten, aber ich hatte abgelehnt. Es hätte nichts gebracht. Die Therapie war mein eigener Stein, an dem ich zu nagen hatte, ich würde das alleine schaffen müssen. Weder Valerie, noch sonst irgendwer konnte mir diese Aufgabe abnehmen.

Mit weichen Knien ging ich auf die Glastür zu und streckte wie hypnotisiert meine Hand nach dem Türgriff aus. Ich gab mir einen Ruck und umschloss mit festen Fingern die Klinke. Statt zu drücken, wie es groß und eigentlich unübersehbar in roten Buchstaben auf der Tür geschrieben stand, zog ich natürlich schwungvoll und stieß mir dabei den Ellenbogen an der harten Steinmauer.

War ja klar.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht nahm ich auf einem Stuhl im Wartezimmer Platz. Eine Empfangsdame oder Sekretärin gab es nicht, dafür aber jede Menge Zeitschriften. Bevor ich auch nur mit dem Gedanken spielen konnte, eine davon zu lesen, wurde eine zweite Tür kräftig aufgestoßen und eine blonde Frau steckte ihren Kopf in den Raum.

"Du musst Elinor sein", sagte sie freundlich und öffnete die Tür nun ganz. Mit einer leichten Handbewegung bedeutete sie mir, ihr zu folgen. Als ich an ihr vorbei ging, nahm ich meine Psychologin zum ersten Mal richtig in Augenschein.

Dr. Hoffmann hatte funkelnde, blaue Augen und hellblondes Haar, das an einigen Stellen von grauen Strähnen durchzogen war. Ich schätzte sie auf Anfang 50, doch sie hatte sich gut gehalten. Ihre Lachfalten machten sie nur attraktiver und waren der Beweis für ihre Erfahrung im Leben.

So sah ich das zumindest.

Victoria hatte sie als "alte Schachtel in den Wechseljahren" abgestempelt.

Doch ich wollte Dr. Hoffmann eine Chance geben. Lag ja schließlich auch in meinem eigenen Interesse.

Der Raum, in dem wir uns nun befanden, war sehr hell eingerichtet. Die Wände hatten ein cremiges Weiß, die Wand rechts vom Eingang war sogar komplett in einem dunklen Weinrot gestrichen. Links stand ein Bücherregal und mehrere Topfplanzen.

Zwei breite, rote Samtsessel waren direkt vor dem großen Fenster positioniert, das dem Eingang direkt gegenüber lag.

Dr. Hoffmann hatte einen festen Händedruck. Papa sagte immer, dass man Leuten mit einem festen Händedruck trauen konnte. Valerie glaubte ihm, sie hatte schon immer eine Vorliebe für unbewiesenen, mystischen Kram gehabt, während ich lieber die Tatsachen und belegten Fakten vorzog.

Doch in diesem Fall wollte ich Papas Annahme Glauben schenken.

"Nun, Elinor", fing Dr. Hoffmann an, nachdem wir uns gesetzt hatten.

Die Stühle waren weich, man versank vollständig in dem samtigen, roten Stoff und zwischen den riesigen Armlehnen.

"Ich möchte mich dir zuerst vorstellen. Du darfst mich gerne Grace nennen, wenn du möchtest", sagte sie und schmunzelte, als ich sie verwundert ansah. "In meiner Freizeit tanze ich mit meiner Lebensgefährtin gerne alle möglichen Tänze und gehe ins Theater. In Deutschland leben wir seit vierzehn Jahren."

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