Keine Angst vor (Selbst)Kritik

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Kritik ist etwas, mit dem wohl jeder von uns anders klarkommt. Die einen besser, die anderen schlechter, manche überhaupt nicht (beispielsweise meine Kunstlehrerin ...). Der eigentliche Punkt ist aber, dass wir Kritik brauchen, um uns selbst zu verbessern. Ob es nun Kritik durch andere oder - möglicherweise von vielen nicht direkt unter diesem Begriff empfunden - durch uns selbst ist, irgendwie erhalten wir immer Kritik.
Nachdem ich hier auf Wattpad und mit meinem inneren Kritiker schon einige Erfahrungen diesbezüglich gemacht habe, halte ich es für angebracht, sie mit euch zu teilen.

... Himmel, klang das jetzt abgehoben. Oder vielleicht eher distanziert? Wie auch immer, ich werde mich (entgegen meines ursprünglichen Plans) nicht damit aufhalten, die üblichen Dinge über Kritik zu predigen, die dürften so oder so den meisten geläufig sein.
Nein, ich möchte mit einem anderen Satz starten: Kritik ist manchmal, auch wenn sie theoretisch gesehen absolut korrekt ist, nicht das Maß aller Dinge. Für alle, die wie ich selbst meine eigenen Worte gerade nicht richtig verstehen, erkläre ich es logischerweise nochmal (hätte ich auch so, ohne diesen Satz).

Also nehmen wir mal ein Beispiel. Maria* hasst seitenlange, noch dazu oft vollkommen unwichtige, Beschreibungen von Umgebungen, Landschaften etc. In der Regel überspringt sie sie beim Lesen einfach und konzentriert sich beim Schreiben ihrer eigenen Werke mehr auf das Verhalten, die Gedanken und die Gefühle ihres Protagonisten. Ihren Lesern gefällt es, ihr gefällt es, alle sind glücklich - bis ein Kritiker mit erhobenem Zeigefinger auftaucht und sie sachlich darauf hinweist, dass entscheidende Umstände nicht deutlich gemacht werden.
Maria denkt kurz darüber nach. In vielen Ratgebern steht, dass man möglichst alle Sinne einbringen soll, um den Leser in das Geschehen hineinzubringen. Ergo hat der Kritiker recht, denn genau das hat Maria nicht getan. Sie wird die Stelle also zu gegebener Zeit ändern und eine längere Beschreibung des stinknormalen Wetters, der Geräusche - die ihren Protagonisten in dieser Situation absolut nicht interessieren -, und der Stadt, die im Kapitel danach eh wieder verlassen wird, einbauen.
Oder?
Ich sage: nein. Möglicherweise wird sie den ein oder anderen Satz über diese Dinge verlieren, aber sie wird sich nie in poetischen Ergüssen über die unvergleichliche Schönheit dieses Kieselsteins ergehen. Einfach, weil es nicht ihr Ding ist.
Jeder hört andere Musik, Pop, Rock, Schlager, Klassik, whatever und das, was einem bei dem einem Lied gefällt, muss deshalb nicht in jedem anderen vorkommen.
Versteht ihr, was ich meine? Die Kritik, die Maria erhalten hat, mag nach dem strikten Regelwerk durchaus berechtigt sein, aber das heißt nicht, dass sie zwingend von Maria umgesetzt werden muss. Man sollte immer nur so weit gehen, wie man sich auch wohl fühlt. Ein Buch, dass in dem verzweifelten Versuch, alles richtig zu machen, geschrieben wird, wird mit großer Wahrscheinlichkeit nicht besser, als ein anderes.

Denkt über die Kritik nach, fragt bestenfalls nach, falls irgendetwas unklar ist, aber lasst euch damit nicht verrückt machen und erst recht nicht verbiegen.

Was heute von der Mehrheit als "schlecht" empfunden wird, kann in ein paar Jahren ein Bestseller geworden sein. (Ich würde wirklich gern mit Beispielen punkten, aber mir fallen partout keine ein - vielleicht wenigstens Gedichte. Vergleicht ein Gedicht aus der Romantik mit einem aus der Moderne. In der jeweils anderen Zeit wären sie vermutlich als Mist abgestempelt worden). Es ist noch immer euer Buch.

(Was aber nicht heißen soll, dass man Kritik völlig missachten sollte)

Wo wir schon beim Thema sind - was Kritik angeht, gibt es ja auch die verschiedensten Versionen auf Wattpad. Ein paar ganz besondere Exemplare sind mir letztens wieder mal über den Weg gelaufen.
Nummer 1 hat um Kritik gebeten. Weil ich nett bin (wehe, jemand behauptet etwas anderes!) habe ich das natürlich auch getan. Auf ... meine Art. Die möglicherweise etwas zu direkt war, zumindest war die Reaktion darauf sehr knapp. Nummer 1 hat sich zwar bedankt, aber es klang doch recht angepisst.
Mein Geheimtipp aus dieser Situation für alle anderen: Wenn ihr explizit um Kritik bittet, solltet ihr nicht damit rechnen, Lobeshymnen zu hören. Zu einer ordentlichen Kritik gehört zwar (zumindest aus Gründen des Respekts), dass man auch einige positive Dinge nennt, aber in diesem Fall liegen die Dinge etwas anders. Wenn mich jemand um Kritik bittet, gebe ich sie ihm, aber dann sehe ich auch keinen Grund, mich mit positiven Dingen aufzuhalten. Darum bin ich immerhin nicht gebeten worden. Zumal diese positiven Sachen in der Regel Standardphrasen sind, die eben der Höflichkeit halber geäußert werden, um nicht nur Negatives anzusprechen. Weil ich nett bin (ihr erinnert euch?) fange ich meistens trotzdem mit wenigstens einer positiven Sache an.

Nummer 2 war das komplette Gegenteil. Hat mich glatt gebeten, seine Geschichte zu lesen. Was jetzt auch kein Weltwunder ist, das fragen immer mal wieder besonders Autoren, die kaum Leser haben, von Kritik ganz zu schweigen. Und weil ich nett bin ... naja, ihr wisst schon.
Aber so war es eben nicht. Am Anfang der Nachricht habe ich Nummer 2 bereits in die Kategorie "möchte Kritik haben" eingeordnet. Das hat sich auch nicht geändert, als Nummer 2 ehrlich zugab, sich mehr Leser zu wünschen (wer tut das nicht?). Danach ist mir aber alles aus dem Gesicht gefallen.
Errät jemand, warum?
Feedback ist Nummer 2 nicht so wichtig.
Und zack, leuchtete der rote Such-dir-doch-nen-anderen-Dummen Knopf auf. Etwas netter formuliert, aber ein eindeutiges nein.
Geheimtipp Nummero zwei heißt somit: Wenn ihr wollt, dass ich euer Buch lese, schreibt nicht sowas. Trotz viel zu vielen angefangen Geschichten tue ich den meisten nämlich durchaus den Gefallen - nur nicht solchen Leuten.

Kleiner Exkurs in meine Wattpaderlebnisse, der doch nicht ganz so klein geworden ist *räusper*.
Was ich eigentlich noch ansprechen wollte, ist der innere Kritiker.

In Autorenkreisen gefürchtet und gehasst, oft wird die Empfehlung ausgesprochen, ihn mit einer komplizierten Zauberformel während des Schreibprozesses aus dem Kopf zu verbannen.

Nun, ich weiß nicht, wie's euch geht. Mein innerer Kritiker ist mit allem anderem inneren gleichzusetzen (abgesehen vom inneren Schweinehund - eher das Gegenteil. Innere Stimme, Ratgeber, Gesprächspartner etc.). Also weder furchterregend noch gehasst, viel mehr mit einer samtweichen Stimme ausgestattet, die mich manchmal fast in den Wahnsinn treibt.

Nicht ganz. Wenn ich so genau darüber nachdenke, habe ich gar keinen richtigen inneren Kritiker (besagte Person dort oben existiert natürlich dennoch), zumindest keinen, der mit mir spricht (wie besagte Person oben). Es ist mehr so ein Gefühl.

Das Gefühl, dass alles scheiße ist, könnte man es nennen. Ich würde aber für "ich stehe kurz davor, in Tränen auszubrechen und alles hinzuschmeißen" plädieren.
Und das tritt tatsächlich nicht beim Schreiben, sondern erst danach auf.

Ich weiß, es ist schwer zu hören, aber ... Dieses Gefühl hat tatsächlich oft recht. Meiner Erfahrung nach.
Aber auch das nicht bedingungslos - man sollte es nicht überbewerten. Wenn man glaubt, dass alles ein einziger Mist ist, stimmt das nicht zwingend. In der Regel ist dieses doch sehr subjektive Empfinden ein wenig übertrieben. Fakt ist: es zeigt uns, dass etwas verbessert werden könnte, dass wir mit dieser Stelle nicht zufrieden sind.

Wenn man ihn nicht zwingend verbessern will, würde ich empfehlen, betreffenden Text vorerst zur Seite zu legen. Manchmal hat das Gefühl auch nur einen richtig beschissenen Tag und am nächsten wisst ihr nicht, warum es überhaupt da war.

Einen Tipp, wie man am besten damit klar kommt, kann ich euch leider nicht geben. Ich persönlich komme dagegen an, indem ich es gar nicht erst zulasse. Wenn ich überarbeite (und da ist einiges wirklich mies), überarbeite ich. Es bleibt kein Platz für die niederschmetternden Gedanken und Gefühle, weil ich voll und ganz darauf konzentriert bin, es zu verbessern.
Bedauerlicherweise kann ich mich nur selten vollkommen auf eine Sache konzentrieren, weswegen Musik dann die restliche Ablenkung schafft. Wenn ich dann doch mal am schwarzen Loch stehe und kurz davor bin zu verzweifeln, höre ich einfach auf. Das ist das Geheimnis.
Eine Pause machen, sich mit etwas anderem beschäftigen und später mit einem anderen Blick zurückkehren.

Oder, in Extremfällen, doch die komplizierte Zauberformel der Schreibratgeber nutzen und dem nörgelnden Kritiker eins auf's Maul geben. Anschreien ist auch sehr befriedigend, fast so gut wie beleidigen.



* Namen aufgrund der Privatsphäre geändert. Möglicherweise könnte sich die Autorin selbst dahinter verstecken, möglicherweise nicht.

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