Kapitel 15

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"Was meint Kris?"
Niels klang ungeduldig, fordernd, fast schon gereizt. Er schob den Stuhl neben Johannes an und setzte sich mit verschränkten Armen dazu, zwei Augenpaare starrten mich verwirrt an und warteten eine Antwort ab.
Ich nahm die beiden zwar wahr und irgendwo wusste ich auch, dass ich antworten sollte, antworten musste. Doch ich machte keinerlei Anstalten, auch nur irgendwie zu reagieren. Ich war nicht in der Lage dazu, meine Stimme wiederzufinden.
Ich sah lediglich mit brennenden Augen resigniert in die Richtung, in die das Taxi verschwunden war. Kris' Taxi, das er gerufen hatte, um hier wegzukommen. Von mir wegzukommen. Vor mir zu flüchten.
"Ich halte es hier nicht mehr aus."

"Jakob!" Ich fuhr herum zu Niels und Jo, die mich mit einem merkwürdigen Ausdruck lang und intensiv musterten.
Ich wollte antworten, klappte meinen Mund auf und zu, aber es wollte mir einfach nicht gelingen, einen Ton hervorzubringen.
Nach gefühlten Minuten entfuhr meinem trockenen Hals ein Krächzen und wurde allmählich zum ziellosen Stottern, was Niels sichtlich den letzten Nerv raubte.
"Was ist das eigentlich für ein Kindergarten hier, verdammt? Kann jetzt endlich mal jemand Klartext reden, was hier los ist? Wir sind doch erwachsene, zivilisierte Menschen, die dazu noch jahrelang befreundet sind, also Scheiße, was habt ihr für ein Problem?!"
Er wurde immer lauter und ich immer kleiner. Johannes versuchte, ihn zu beruhigen, aber ich verstand ihn gut. Diese Geheimniskrämerei war für mich mindestens genau so schlimm, wie für ihn, doch das konnte ich ihm nicht sagen. Ich konnte rein gar nichts sagen, was ihn schließlich dazu veranlasste, so prompt aufzustehen, dass er beinahe den Klappstuhl unter ihm mit sich riss und fluchend im Bungalow verschwand.

Ich saß noch immer auf der Terrasse und Johannes saß noch immer vor mir mit Hoffnung in den Augen und seiner Hand beruhigend auf meinem Knie. Doch ich spürte all das nicht, ich fühlte mich, als hätte ich mich von meinem Körper losgerissen und ihn leblos zurückgelassen. Ich fühlte schreckliche Einsamkeit, Angst und die Erkenntnis, verlassen geworden zu sein. Von dem Menschen, den ich liebte, der mich hasste.

***

Die Autofahrt nach Deutschland verlief still. Seitdem Kris gefahren war, war es nur noch still. Für uns war klar, dass wir nicht, wie eigentlich geplant, noch eine Nacht in Schweden bleiben würden, stattdessen packte jeder still seine Tasche und wir setzten uns still in den Wagen. Es traute sich niemand, wenigstens das Radio anzumachen oder auch nur zu seufzen.
Stille, durch und durch.
Der Einzige, der etwas sagen sollte, war ich. Niels war sauer, verwirrt, aufgebracht, irritiert. Natürlich, sein bester Freund reiste einfach ab ohne irgendeine Erklärung und ich war der Grund dafür.
Johannes versuchte noch, mich verstehen zu können und ruhig zu bleiben, Mitleid zu haben, doch es fiel einfach schwer, wenn man keinen Schimmer hatte, worum es ging und langsam bröckelte die Fassade.
Ich konnte nichts tun. Die Leere hatte sich ausgebreitet und Besitz von mir genommen. Die Leere, an deren Stelle sonst Leben war, Licht war, Wärme war, Liebe war. Kris war, in mir.

Nach geschlagenen Stunden kamen wir in Hamburg an, ich war schrecklich erleichtert und freute mich bloß noch auf mein Bett nach weit aus mehr als 30 Stunden Schlafentzug.
Dann spürte ich Niels' Blick zum ersten Mal durch den Spiegel auf mir und zuckte wenig später zusammen, so unerwartet war es, als er seine Stimme erhob.
"Wir fahren zu Kris."
Geschockt flog sowohl Jos, als auch mein Kopf zu seinem nüchternen Gesichtsausdruck herum. "W-was?", war die einzige, heisere Reaktion meinerseits.
"Du klärst das mit ihm." Es klang wie ein Befehl, als hätte ich nicht das Recht, ihm zu widersprechen. Mir wurde schlecht.
"Glaubst du, das ist wirklich eine so gute Idee? Du hast doch gesehen, wie aufgebracht der war.", warf Johannes kleinlaut ein.
In meiner Magengegend zog sich alles zusammen, bei der Vorstellung, Kris nochmal gegenüber treten zu müssen, wenn er so voller Hass gegenüber mir war. Ich könnte das nicht noch einmal verkraften. Nicht heute, nicht nach dem Auftritt.
"Die beiden müssen das verdammt nochmal klären." - "Muss das denn jetzt auf der Stelle..." - "Ja, das muss jetzt sein, Johannes!"
An Niels' Hals stach eine bedrohlich aussehende Ader hervor, während er immer lauter wurde. Und es herrschte wieder Stille.
Bis wir vor Kris' Haus zum Stehen kamen und ich schwer schluckte.
"Das kannst du vergessen.", flüsterte ich fast und fing an, zu zittern.
"Jakob, bitte.", sagte Niels nun viel sanfter und bittend. In seinem Blick lag Reue und Schuldbewusstsein; er hasste es, laut zu werden und wenn es dann mal passierte, tat ihm das eigentlich sofort leid, so wie jetzt.
"Es macht mich einfach krank. Ich verstehe das nicht... Ich bin ja garnicht wütend auf dich, aber auf die Situation. Das ist so kindisch. Wir sind eine Band, die besten Freunde, was kann da so schlimm sein, dass es alles durcheinander bringt?"
Plötzlich kam ich mir unglaublich lächerlich vor. Er hatte Recht, so wie immer, aber das änderte nichts daran, dass ich einfach nicht zu Kris konnte.
"Ich weiß, das ist schwer...", ich atmete tief aus und brauchte etwas, bis ich weiter reden konnte, "ich möchte es ja auch endlich klären. Und ich verspreche dir, dass ich das tue, nur bitte nicht jetzt. Bitte, zwing' mich nicht dazu."
Und dann sah ich ihn weich werden. Das erste Mal an diesem Tag lockerten sich seine Gesichtszüge und er gab tatsächlich nach.
Im nächsten Moment startete der Motor und meine Muskeln entspannten sich langsam, doch nur bis zur Erkenntnis, das ich lediglich ein wenig Zeit gewonnen hatte.

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Es tut mir so leid, dass in letzter Zeit so wenig kam, doch das wird sich demnächst leider auch nicht ändern können und die Abstände zwischen den Kapiteln bleiben teilweise so lang.
Sorry, ich gebe mein Bestes.
Danke für euer Verständnis.
💗

•Du weißt nicht, was du fühlst.•Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt