Kapitel 7

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"Kumpel."
Das ausgesprochene Wort hallte in mir wider.
So sah er mich.
Als Kumpel, als Freund, einfach als Jakob, den Schlagzeuger der Band, der in letzter Zeit aus ihm unerklärlichen Gründen irgendwie schlecht drauf war. Nicht mehr, nicht weniger.
Ich biss die Kiefer aufeinander und sah mich um. Eigentlich fast alle tanzten oder machten zumindest stümperhafte Bewegungen zur dröhnend lauten Musik, hatten Spaß, flirteten, lachten.
Nur ich saß an der Bar, Trübsal blasend und sich selbst bemitleidend. Ich erkannte mich nicht mehr wieder.

Ich stemmte mich vom Hocker und füllte etwas vom Inhalt der erstbesten Flasche, die mir entgegen kam, in ein frisches Glas, um es anschließend hinunterzuspülen, den Drang zu verspüren, mich von dem widerwärtigen Geschmack zu übergeben und daraufhin mehr davon zu trinken. Vielleicht nicht die beste Methode, über das Gespräch mit Kris hinwegzukommen, doch die naheliegendste. Nach einigen Schlücken war mir allerdings auch das egal.

"Hey Jakob, ist alles okay?"
Ich nickte eifrig, woraufhin Johannes' bunt angestrahlte Gesicht eine rasante 360 Grad-Drehung machte.
Er schien weder begeistert noch annähernd überzeugt. Es bildeten sich kleine Falten auf seiner Stirn und zwischen seinen Brauen.
"Du machst mir ganz schöne Sorgen in letzter Zeit, weißt du -" - "Jay, wir müssen zusammen einen trinken!" nuschelte Kris enthusiastisch mit erhobenem Finger in Johannes' Versuch eines Vater-Sohn-Gesprächs, nachdem ich ihn schon dabei beobachtet hatte, wie er torkelnd auf uns zugekommen war.
Er nahm die Glasflasche, die hinter mir stand, schenkte so ordentlich in unsere Gläser ein, dass beide über schwappten und stieß daraufhin diese klirrend aneinander.
Ich wollte sagen, dass auch er sich keine Sorgen machen brauchte, so wie auch Kris oder irgendwer sonst nicht, doch Jo kam mir zuvor.
"Übertreibt es nicht, okay?" - "Aye aye." Ich merkte die eigentliche Wirkung des Alkohols erst, als es plötzlich zum Problem wurde, Wörter zu formulieren und erstrecht auszusprechen.
Ich wusste, dass Johannes es nur gut meinte und dass er sich - selbst an seinem Geburtstag - Gedanken um mich machte, sollte nicht sein, tat mir leid und hätte mir ein schlechtes Gewissen verpasst, wenn der Promillepegel Platz dafür gelassen hätte.

Doch ich konnte mich gerade auf nichts anderes konzentrieren, als auf den deutlich angeschwippsten Kris, der sich schwer auf meine Schulter lehnte, da er sonst zu fallen drohte.
Er machte es mir aber auch ganz und gar nicht leicht. Immer, wenn ich ihm gerade entkommen war, ihm und jeglichen Gedanken zu ihm, stand er plötzlich wieder vor mir und brachte auf einen Schlag alles zurück.
Mir wurde heiß, mein Herz pochte und er rappelte sich vom Hocker neben mir auf, um sich vor mich zu stellen und an der langen Theke festzukrallen. Er sah gut aus, selbst jetzt.
Himmel, er sah so gut aus.
Er trug ein dunkelblaues Jeanshemd, gepaart mit einer engen, schwarzen Hose. Seine dunkelblonden Haare waren längst nicht mehr so gestylt, wie am frühen Abend, als er aufgekreuzt war und bevor er bestimmt zwanzig mal mit seiner Hand dadurch gefahren war.
Das Wrack meiner selbst spiegelte sich im Glas seiner filigranen Brille, bei der er immer gesagt hatte, er sähe damit aus, wie ein Bibliothekar. Ich hatte dann immer gelacht und ihm sagen wollen, dass er wunderschön aussah.
Er grinste, ich grinste.
Seine Nasenspitze war gerötet vom Schnaps und seine Wangen von der stickigen Luft und der Tanzerei.

Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Niels, der urplötzlich neben ihm auftauchte, kam ihm zuvor; "Ich habe euch ein Taxi gerufen, es wartet draußen." Im intensiven Blick seiner blauen Augen in meine, lag die klare Bitte.
"Ich will noch nicht gehen!", protestierte Kris wie ein trotziges Kleinkind. "Sieh' dich doch mal um, wir sind die letzten hier. Es ist spät, die Party ist vorbei." Er wendete sich mit einem Gähnen ab und ich sah ihm hinterher; tatsächlich. Die Musik war aus, das Licht an und bis auf Niels, Jo und Anna, die aufräumten, und Kris und mich waren alle gegangen. Ich hatte von all dem nichts mitbekommen und keinen blassen Schimmer, wie und wann es so spät geworden war.

"Ich glaube, ich hab' meinen Schlüssel vergessen."
Kris sah hilflos zu mir hoch, nachdem er seine Hosentaschen ausgeräumt hatte. "Komm' mit zu mir.", entschied ich und schleifte ihn mit ins Taxi, was wenig später vor meiner Wohnung hielt.
Die vielen Treppenstufen rotierten und wirkten fast unbezwingbar, doch nach einigen beinahe-Unfällen und damit verbundenen Kichereien kamen wir vor meiner Wohnungstür an.

"Hast du Bier da?", fragte Kris lallend, während er sich aufs Sofa fallen ließ. Ich holte zwei Flaschen aus meinem Kühlschrank, auch wenn ich wusste, dass wir mittlerweile mehr als genug hatten, und ließ mich ebenfalls neben ihm nieder.
"Kris?" Ich pulte nervös am aufgeweichten Etikett meiner Flasche. "Hm?"
Es wirkte, als würde er fast einschlafen. Ich wusste, ich würde mich nie wieder trauen, mit ihm zu reden. Nicht nüchtern.
"Das war echt ein schöner Abend."
Er sah zu mir auf. "Das finde ich auch. Du bist so ein guter Freund, ein so toller Mensch, Jay."
Seine Arme lagen plötzlich fest um mich, seine Schläfe an meiner. Ich atmete tief ein und legte meine Worte zurecht. Er wich langsam zurück und ich holte Luft, um sie auszusprechen. Doch bevor ich die Möglichkeit dazu hatte, lagen seine weichen Lippen auf meinen.
Kris küsste mich. Und das ganz und gar nicht zurückhaltend.

•Du weißt nicht, was du fühlst.•Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt