Kapitel 27

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"Und? Was sagst du?", riss Johannes ihn schließlich immer noch schrecklich begeistert zurück in die Realität.
Kris wirkte wie paralysiert, er schluckte schwer und sah dann mit glasigem Blick auf. Mehr als ein schwaches Lächeln und ein einfaches Nicken brachte er nicht zustande, doch die anderen zwei schienen seinen eher geringen Enthusiasmus gar nicht wahrzunehmen, da sie immer noch breit grinsten.
"Jungs, ich möchte nicht, dass das ein Lied wird", bat ich stotternd darum, aber diese Aussage, ich wurde einfach ignoriert: "Siehst du, Niels? Diese Stelle meine ich, die ist zu hart, da muss was anderes hin. Vielleicht etwas wie-" - "Dieses Lied kommt nicht auf unser Album!", brüllte ich schon fast, während sich meine Fingernägel schmerzhaft in die Handflächen der geballten Fäuste schlugen.

Ich schaute mit schlechtem Gewissen zu Kris, dessen Blick wieder auf dem Text haftete.
"Okay, dann nicht", sagte Niels leise und ruhig, nachdem kurze Stille eintrat und Jo Anstalten machte, mir zu widersprechen.
Resignierend nickte ich und wir begannen ohne Umschweife eine lange, intensive aber auch krampfhafte Probe, während der Kris kaum ein Wort verlor, seine Parts zwar souverän ablieferte, dabei mit den Gedanken aber ganz woanders zu sein schien, ehe er am Ende der erste war, der ohne große Verabschiedung verschwand, ohne mich noch einmal angesehen zu haben.

Ich erreichte meine Wohnung selbst immer noch total verwirrt und durch den Wind.
Niemand hätte diesen Text jemals sehen sollen erst recht niemals Kris. Es waren meine tiefsten Gedanken, die ich einfach nur mal niederschreiben musste, um meinen Kopf etwas zu erleichtern. Zu mehr sollten sie nicht dienen und sie sollten ganz bestimmt kein Song von uns werden, nicht im Radio gespielt werden, sicher nicht der nächste große Hit von Revolverheld, den Kris und ich zusammen auf etlichen Bühnen performen sollten.

Kris' Anblick, wie er verletzt auf den Zettel in seinen Händen starrte und die Worte, meine Worte, über ihn immer und immer wieder las, tauchte wieder vor meinem inneren Auge auf.
Ich konnte das nicht so stehen lassen; ich hätte es ihm direkt erklären und mich entschuldigen müssen, ich konnte diesen scheiß Text, der aus blinder Wut und Verzweiflung heraus entstanden war, doch nicht einfach die Gespräche der letzten Nacht kaputt machen lassen.

Von schlechtem Gewissen geplagt, öffnete ich meine Wohnungstür wieder, nachdem ich durch diese vor nicht einmal einer Minute meine Wohnung betreten hatte, als Kris, zu dem ich eigentlich jetzt fahren wollte, direkt vor mir stand.
Er zog seinen Finger, der gerade vor meiner Türklingel geschwebt hatte, erschrocken zurück und auch ich machte schnell einen Schritt nach hinten, legte mir meine Hand auf die Brust und atmete hörbar aus, nachdem ich kurz dachte, ich würde komplett durchdrehen und ihn schon vor mir sehen, obwohl er nicht da war.

"Was war das?", zischte er plötzlich, als wir beide uns gefangen hatten und sein Ausdruck sich in Wut umwandelte, "Was sollte dieser Text?"
Kris kam schnell und bedrohlich nah auf mich zu, so dass ich einige Schritte zurück machte, bevor er meine Haustür in ihre Angeln zuwarf und ich von deren Knall erschrak.
Ich erschrak vor der blanken und ungezügelten Wut, die sich in Kris' Augen unverkennbar widerspiegelte.

"Den sollten die Jungs doch niemals lesen, es tut mir-", begann ich kleinlaut, doch da wurde ich schon von ihm unterbrochen;
"Sollten sie nicht? Was sollen Jo und Niels denn denken, über wen das ist, hm? Hast du nur einmal nachgedacht?" Kris wurde immer lauter und brüllte mir nun fast schon mit hochrotem Kopf ins Gesicht; "Dass du überhaupt so etwas schreibst! Das ist komplett irre, Jakob!" - "Kris, ich... " - "Lass' dir verdammt nochmal schleunigst was einfallen."

Ich sah bloß beschämt und voller Schuld zu Boden, hoffte, dass diese plötzlich so unsagbar leise Stille nach diesen lauten, fast brennenden Worten, die noch in der Luft lagen, vorüber ging, doch dann begriff ich erst die Situation.

"Nein."
Meine Stimme war ruhig und doch bestimmt, fester, als meine Knie noch vor wenigen Sekunden.
"Wie bitte?", wisperte Kris scharf, mit zu Schlitzen verengten Augen, die mir klar machten, dass ich bloß nichts falsches sagen sollte.
"Es tut mir leid, dass die Jungs es gefunden und gelesen haben, das habe ich wirklich nicht gewollt, aber verdammt nochmal, alles, was darin steht, ist die Wahrheit! Ich habe all das gefühlt, in deinem ständigen Auf und Ab, ob du mich nun willst oder nicht! Jedes Mal hast du mich wieder fallen gelassen und mit mir gespielt und diesen scheiß Text zu schreiben, hat mir geholfen, darüber hinweg zu kommen, nicht so ein seelisches Wrack zu sein, wie du es aus mir machst. Wir haben uns zwar ausgesprochen, aber das macht es noch lang nicht ungeschehen, Kris!"

Völlig außer Atem wendete ich meinen Blick starr nicht von seinem Gesicht ab, dessen Ausdruck sich während meines Schreiens bei jedem weiteren Wort mehr gewandelt hatte. In was, konnte ich nicht sagen.

Ich erwartete alles, dass er zurück schrie, mich beleidigte, aus der Tür stürmte, vielleicht sogar einsah, dass ich Recht hatte.
Doch ich erwartete nicht, dass er einen schnellen Schritt auf mich zu machte und mein Gesicht fest in seine beiden Hände nahm.
Ich erwartete nicht, dass er seine Lippen so intensiv gegen meine presste, dass es fast schmerzte.
Ich erwartete nicht, dass er sein Becken hektisch an meins drückte und seine Hände an mir hinab rutschten, während der Kuss immer stürmischer und leidenschaftlicher wurde.
Ich erwartete nicht, dass ich meine Fingerspitzen in seinen Rücken krallte und mir immer heißer unter jeder seiner Berührungen wurde.

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 18, 2017 ⏰

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