Kapitel 25

176 7 0
                                    

Ich kramte meinen Schlüssel aus meiner Jackentasche, während ich die Treppen zu meiner Wohnung hinauf trottete.
Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung in der ungefähren Richtung meiner Wohnungstüre wahr und verharrte auf der letzten Stufe, als ich die Silhouette erkannte.
Es verstrichen einige Momente, in denen ich einfach nur dastand und mich um keinen Millimeter regte und er vom Boden vor meiner Tür aufstand und unbeholfen mit seinen Fingern spielte.
Wir sahen uns einfach nur stumm in die Augen, während ich zum ersten Mal nicht derjenige war, der Unsicherheit und Verletzlichkeit ausstrahlte, sondern seinen Blick standhaft erwiderte, bis ich die schwere, unbehagliche Stille nicht mehr länger aushielt.

"Was machst du hier, Kris?"
Ich kam langsam auf ihn zu, er wandte den Blick von mir Richtung Boden und trat zur Seite, so dass ich die Türe aufschloss und er mir einfach in die Wohnung folgte.
"Deine Nachbarin hat mich in den Flur gelassen, ich glaube, sie wohnt oben drüber.", antwortete er fast stotternd und leise.
Ich zog meine Jacke aus, hing sie über einen Stuhl und warf den Schlüssel auf den Tisch. Ich strich mir durchs Gesicht und sah ihn wieder an.
"Nein, Kris. Was machst du hier?"
Ich klang müde, enttäuscht und das war ich.

Noch immer konnte er mich nicht ansehen, seine Schultern waren zusammengesunken und er kaute auf seiner Unterlippe.
"Ich... Ich... Jakob, es tut mir leid."
Zum ersten Mal überforderte mich sein Anblick nicht mehr. Ich verkrampfte nicht oder verspürte einen deutlich schnelleren Herzschlag oder empfand eine Welle von zu vielen Emotionen auf einmal.
Ich drehte mich von ihm weg, schlich in die Küche und kam daraufhin mit zwei gefüllten Wassergläsern wieder.
Kris setzte sich neben mich auf das Sofa, das kühle Glas umklammernd und noch immer in Jacke und Schuhen.
Ich wusste, dass nun endlich das klärende Gespräch folgen würde, das ich mir schon so lang herbeigesehnt hatte. Doch trotzdem saßen wir da; jeder am anderen Ende des Sofas, vor uns her starrend, schweigend und ich hatte keine Ahnung, was er mir zu sagen hatte.

Nach etlicher verstrichener Zeit, schien Kris seine Stimme wiedergefunden zu haben, wenn auch nur dünn und zerbrechlich.
"Ich wollte heute Abend kommen. Das wollte ich wirklich, Jakob. Aber... Ich konnte es einfach nicht."
Er ließ seinen Kopf nach vorn fallen und schien immer mehr anzuspannen.
"Ich wusste einfach nicht, was ich hätte sagen sollen, ich weiß es ja noch immer nicht", brachte er immer leiser hervor, bis seine Stimme schließlich zitterte;
"Es tut mir so schrecklich leid..."

In meinem Kopf löste sich eine Art Blockade; ich hatte so lang auf diese Worte gewartet. Irgendetwas, dass auch nur auf irgendeine Weise zeigte, dass das, was er mit mir gemacht hatte, nicht an ihm vorbei gezogen, kein Scherz von ihm gewesen war.
"Ist schon okay,", erwiderte ich, was ihn überrascht aufschauen und mich die angesammelten Tränen in seinen Augenwinkeln bemerken ließ, "wenn du jetzt endlich ehrlich zu mir bist."
Kris' Adamsapfel bewegte sich sichtbar, als er schwer schluckte und schließlich nickte; "Das hast du verdient."

Er stellte sein Wasserglas auf den Tisch und faltete seine Hände miteinander, während seine Ellbogen auf den Knien aufgestützt waren. Auf die sich immer wieder von neuem bildenden Blasen im Wasser starrend, schienen die Momente in Zeitlupe zu vergehen.
"Ich hab' das alles nie gewollt."
Er drehte seinen Kopf langsam zu mir, sein Blick plötzlich wieder so fest und trotzdem sanft, wie seine Stimme.
"Als du mich in Schweden geküsst hast... Ich weiß es nicht, da ist etwas mit mir passiert. Ich meine, vermutlich war da schon vorher irgendwas, als ich nach Johannes' Geburtstag hier geschlafen habe, aber es war mir nie so richtig klar."
Mit seiner rechten Hand fuhr er sich durch die dunkelblonden Haare, die ihm sofort wieder strähnenweise in die tiefe Stirn fielen.
Seine hellbraunen Augen konzentrieren sich wieder auf meine, während ich nichts anderes tun konnte, als abwartend neben ihm zu sitzen.
"Und ab da war alles einfach nur so verwirrend. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte, wie ich mit dir umgehen sollte und mit mir selbst. Und ich hab' mich falsch entschieden, das weiß ich. Ich war ein verdammtes Arschloch und nicht da für dich, obwohl du mich gebraucht hättest, ich... stattdessen habe ich dir nur weh getan."
Ich spürte Tränen in meinen Augen aufsteigen und mein Gesicht heiß werden. Trotzdem lenkte ich den Blick nicht von seinem Gesicht ab, das voll von Ehrlichkeit und Reue war.
Seine Worte setzten so vieles in mir frei.
Es schien, als müsste er sich sammeln, bevor er weitersprechen konnte.
"Ich weiß, dass ich dich verletze, andauernd. Und das widerspricht all meinen Gefühlen zu dir."
Kris legte behutsam seine Hand auf meinen Oberschenkel, was mich so sehr zusammenzucken ließ, dass er sie wieder zurück in seinen Schoß zog.

"Was hatte diese Frau zu bedeuten?", fand ich endlich meine gebrochene Stimme wieder, obwohl ich so viel Angst vor der Antwort hatte.
"Nichts, ehrlich, sie -" Ich sah gequält zu ihm hoch, er stoppte und verlangsamte seine Stimme;
"Sie ist mir egal, ich kannte sie so gut wie garnicht. Ich konnte nicht wissen, dass du auf einmal vor meiner Tür auftauchst. Ich... Ich schätze, ich musste mir beweisen, dass ich nicht... Dass ich..."
Weiter kam er nicht, er legte seine Hände in den Nacken und schloß die Augen. Ich fragte mich, für wen von uns beiden das alles schwerer sein musste.
"Ich bin nicht..." - "Kris"
Die erste Träne bahnte sich den Weg über meine Wange, doch er reagierte nicht auf meine Bitte.
"Ich bin nicht so wie du." - "Schwul! Ich bin schwul! Wieso verdammt hast du so eine Angst davor?", es platzte nur so aus mir heraus, ich sprang vom Sofa auf, ballte die Fäuste und rang nach Luft. Die Luft in diesem Raum war plötzlich viel zu wenig, so verbraucht.
Kris tat es mir gleich und erhob sich ebenfalls von der weichen Polsterung, sah mich mit glasigen Augen an.
"Jakob, bitte... Das ist alles so neu für mich.", flehte er leise und machte mir klar, wie sehr ich geschrien hatte.
"Glaubst du denn, für mich nicht?", gab ich ruhig zurück. Langsam und verzweifelt schüttelte Kris mit dem Kopf.
"Ich wünschte, ich könnte dir versprechen, dass das mit der Zeit besser wird. Ich wünschte, ich könnte dir all das Glück schenken, dass du verdienst und dir einfach das geben, was du brauchst, aber so bin ich nicht."
Seine Stimme brach, während die Tränen nur so aus seinen Augen traten und ich nach seinen Händen griff, die diese wegstreifen wollten.
"Ich hab' dich so sehr verletzt, ohne, dass ich etwas dagegen tun konnte, das wird sich immer wiederholen, Jakob. Ich denke... Ich weiß nicht, ob ich genug für dich bin, aber du bist alles für mich."

Kris wandte seinen Blick ab und schluchzte leise vor sich hin, als auch ich meine Gefühle nicht mehr im Griff hatte.
Ich schloß meine Arme so fest um seinen bebenden Oberkörper, wie ich nur konnte, als könnte ich all die Scherben zwischen uns zu einem Ganzen zusammendrücken.
Er vergrub sein Gesicht in meiner Halsbeuge, während er sich langsam zu beruhigen schien und meine Umarmung erwiderte.
"Du bist alles, was ich jemals wollte, Kris."

•Du weißt nicht, was du fühlst.•Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt