Kapitel 23

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"Findest du es merkwürdig, dass ich etwas nervös bin?"
Johannes stand mit hochgezogenen Augenbrauen vor mir und sah mir abwechselnd und unsicher in meine Augen. Er massierte seine Hände und konnte kaum länger als fünf Sekunden in der selben Position ruhig stehen bleiben, nachdem er eben beim Interview noch so selbstverständlich locker die Fragen beantwortet hatte.
"Nein, das bin ich auch.", sagte ich, wie ich es auch meinte und zeigte ihm ein besänftigendes Lächeln.
Der Sänger atmete hörbar aus, setzte sich auf ein cremefarbenes Sofa und stütze sein Kinn in die Handflächen. Ich sah zwei Schauspielern dabei zu, wie sie gerade ihr Interview abgaben, und versuchte, nicht völlig durchzudrehen bei dem Gedanken daran, gleich vor laufender Kamera einen meiner besten Freunde zu küssen, der keine Ahnung davon hatte, dass ich schwul war. Schwul, ohne eigentlich überhaupt Erfahrung zu haben, wie es war, Männer zu küssen.
Wenigstens hatten wir das gemeinsam.

"Na, wie geht's euch?", drang Saschas Stimme an mein Ohr, zu dem ich mich verwundert umdrehte und wie versteinert stehen blieb.
"Was - was macht ihr denn hier?", stammelte ich hervor, mit einem steifen Blick direkt in das Gesicht von Kris, der lediglich zu Boden starrte.
"Wir werden eventuell auch noch interviewt. Natürlich wollen wir eure Knutscherei aber auch nicht verpassen, stimmt's?", grinste Sascha und stieß Kris zu seiner Linken mit dem Ellenbogen an, der sich als Antwort stumm neben Johannes fallen ließ.

"Johannes Strate, Jakob Sinn?", fragte eine junge Frau, die an einer der drei großen Kameras stand, lächelnd in unsere Richtung.
"Wären Sie soweit?"

"Was, jetzt?", hauchte ich und sah wieder zu Kris, begreifend, dass er zusehen würde. Dass er mitansehen würde, wie ich einen anderen Mann, Johannes, küssen würde und das in der Situation, in der wir gerade steckten.
Ich schluckte schwer, als Johannes auf mich zukam.
Ich schluckte die aufkommenden Gefühle und Gedanken herunter und stellte mich vor die weiße Wand. Es ging hier um einen guten Zweck, um nichts anderes. Es ging nicht um mich und Kris. Es war nicht mein Problem, dass er hier war.

"Hi, ich bin Amanda.", stellte sich die blonde Frau hinter der Kamera Nummer 1 mit einem Klemmbrett in der Hand vor.
"Das Interview habt ihr bei meinem Kollegen bereits abgegeben, also könnten wir gleich mit den Fotos starten, alles klar?"
Johannes' Adamsapfel bewegte sich sichtbar, als er schluckte und schließlich nickte, so wie ich.
"Okay.", lächelte Amanda motiviert.
"Die ersten Bilder machen wir im Stehen, nachher auch noch ein paar im Sitzen, um zu sehen, was bei euch besser passt.
Ich würde vorschlagen, dass du, Johannes, dich rechts neben Jakob stellst."
Er folgte ihrer Anweisung und fuhr sich durch die Haare.
Mein Blick flog zu Kris, der mittlerweile mit verschränkten Armen an eine Wand gelehnt neben Sascha stand und den Kamerabildschirm fixierte.

"Ihr könnt jederzeit loslegen.", warf Amanda ein, nachdem ein paar unbeholfene Momente verstrichen waren, und ich drehte mich schließlich zu Johannes.

Er grinste leicht und auch ich musste lächeln, was meine Aufregung plötzlich ungemein linderte.
"Sag' jederzeit Bescheid, wenn du abbrechen willst, okay?", flüsterte er.
Ich nickte schnell und spürte plötzlich seine rechte Hand auf meiner Hüfte liegen und wie er mich mit seiner linken Hand an meinem Hals ein Stück an sich heran schob.
Überrascht davon, wie schnell seine unsichere Nervosität verflogen war und ihn jetzt schon fast dominant wirken ließ, ließ ich meinen Blick langsam auf seine Lippen fallen, um mich zu konzentrieren.
Auch ich legte meine Hände dorthin, wo es mir am Natürlichsten vorkam und spürte Jos leichten Atem bereits auf meiner Unterlippe.
Endgültig schloss ich meine Augen gleichzeitig mit dem Abstand unserer Münder.

Anfangs streiften Johannes' weiche Lippen nur zaghaft meine, doch nachdem wir einen gemeinsamen Takt gefunden hatten, fanden sich unsere Lippen immer wieder von allein.
Ich ließ meine Hand instinktiv über den Stoff seines Shirts gleiten und spürte seinen starken Herzschlag, der genau so schnell gehen musste, wie meiner.
Es fühlte sich gut an, Johannes zu küssen und nach nur kurzer Zeit konnte ich mich bereits so fallen lassen, dass ich die vielen Blitzlichter und Geräusche gar nicht mehr wahrnahm.
Mein Freund war wirklich ein hervorragender Küsser und gab spürbar das Tempo an, wurde allerdings nicht zu fordernd.
Er presste seine Lippen immer öfter gegen meine und öffnete sie einen Spalt breit, so dass ich wieder seinen Atem wahrnehmen konnte und spürte, wie er kurz grinsen musste.
Seine Hand vergrub sich in meinen Haaren und plötzlich wurden seine kitzelnden Bartstoppeln so präsent, dass ich nicht anders konnte, als lauthals anfangen, zu lachen, in das Johannes sofort mit einstieg.
Wir alberten herum wie Teenager, was das Küssen absurd leicht machte und mir fiel die Anspannung ab, die während der ersten Küsse doch noch auf meinen Schultern gelegen hatte.
Schließlich wurden wir von Amanda unterbrochen, die schmunzelnder Weise meinte: "Okay, Jungs, ich glaube das reicht dann erstmal. Das habt ihr sehr gut gemacht!"
Ich wischte mir mit dem Handrücken über den Mund und sah prüfend zu Johannes, der dreckig grinste und mir sanft in die Seite stieß.
"Nicht schlecht, Sinn", hauchte er leise und ließ mich erneut auflachen, bis ich auf Kris' Blick traf.

Es war fast unheimlich, wie er dastand und mich intensiv und doch so verschlossen musterte, wenn man bedachte, wie oft seine braunen Augen mich in letzter Zeit gemieden hatten.
Mich durchzog ein schlechtes Gewissen, schnell gefolgt von Wut. Ich hatte keinen Grund dazu, mich schlecht zu fühlen, bloß weil ich meinen Spaß hatte. Er hatte schließlich auch scheinbar keine Gewissensbisse, mich so zu behandeln.
Tapfer hielt ich seinem Blick stand, bis Amanda mich erlöste.
"Wenn ich mir das so ansehe, haben wir schon wirklich gutes Material, aber zur Sicherheit, würdet ihr euch dort drüben nochmal auf das Sofa setzen?" - "Na klar", antwortete ich nüchtern, mit einem klaren Blick in Kris' Gesicht.
Ich platzierte selbstsicher meine Hände an Johannes' festem Körper und wandte auch jetzt meinen Blick noch nicht ab.
Ich wusste, dass es vollkommen lächerlich und erbärmlich war, doch ich wollte Kris wenigstens einen kleinen Eifersuchtsstich versetzen, auch wenn das vermutlich zwecklos war, doch ich konnte nicht anders. Ich hatte es satt, immer nur einstecken zu müssen und ich hatte es satt, mich so ohnmächtig zu fühlen.
Und tatsächlich; seine Fassade bröckelte, als Johannes' Lippen sich erneut gegen meine pressten.

Diesmal war ich der dominantere Einfluss des Kusses, er wurde schnell intensiv und die Kameras knipsten im gefühlten Millisekundentakt.
Johannes lehnte sich in meine Bewegungen und ich tat es ihm gleich, bis es mir schlagartig klar wurde.
Es fühlte sich wirklich gut an, ich hatte definitiv schon viel schlechtere Küsse, als den mit Jo, doch dieses Knistern blieb aus.
Dieses wunderschöne Knistern, das sich beim ersten Kontakt auf die Lippen legt und dann durch den ganzen Körper zuckt, einem fast den Verstand raubt.
Dieses Knistern, das mir nur dieser eine, besondere Mensch bescheren konnte.
Und dieser Mensch sah gerade dabei zu, wie ich mit voller Hingabe seinen besten Freund küsste.

Ich packte Johannes an den Schultern und unterbrach den Kuss ruckartig.
Verwirrt sah ich zu ihm, zu den Kameras, schließlich zu Kris.
Über die Entfernung und die noch immer blitzenden Lichter hinweg konnte ich nicht sicher sein, doch da glitzerten angesammelte Tränen in seinen Augenwinkeln.
Er schüttelte kaum merklich mit dem Kopf, bevor er sich von der Wand abstützte und prompt aus dem kleinen Raum ging, mich mit bebendem, schmerzendem Herzen zurückließ.

"Haben wir genug Bilder?", wollte ich hektisch und atemlos wissen.
Amanda nickte mit einem Blick in die Bildschirme und ich sprang auf, lief Kris hinterher, sah mich auf dem Platz vor dem Gebäude angekommen nach ihm um.
"Kris?"
Nichts.

"Kris!"
Meine Stimme wurde lauter, dringender, verzweifelter.

Und schließlich brach sie mit mir.

•Du weißt nicht, was du fühlst.•Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt