Kapitel 10

229 13 3
                                    

"Ich kann nicht glauben, dass wir das hier wirklich tun.", grinste Niels mit einem aufgeregten, kindlich vorfreudigen Schimmern in den Augen.
"Ich auch nicht, aber ist doch geil! Ich meine, wann haben wir das letzte Mal so etwas zusammen gemacht?", meinte Johannes, der noch am Innenspiegel herumfummelte und schließlich spaßhaft verführerisch mit den Augenbrauen wackelte und sich über die Lippen leckte, als er ihn eingestellt hatte und sich unsere Blicke darin trafen, was mich zum Lachen brachte und selbstverständlich mit einem Luftkuss erwidert wurde, den er sich in der Brusttasche verwahrte.
"Ich kann mich echt nicht dran erinnern. Scheiße, sind wir langweilig geworden.", lachte Kris, der es sich derweil auf dem Beifahrersitz bequem machte und gerade dabei war, mit dem Ene, Mene, Miste-Prinzip eins der verschiedenen Alben ein paar unserer Lieblingskünstler auszuwählen, welches wir als erstes hören sollten.
Die Wahl fiel auf Pearl Jam, Johannes startete den Motor des geliehenen Wagens und die lange Fahrt begann.
Eine Fahrt in ein paar Tage hinein, von denen ich mir, aus unerklärlichen Gründen, einiges versprach. Ein paar Tage, in denen wir uns auf nichts als unsere Freundschaft und einen Song darüber konzentrieren konnten. Ein paar Tage, weit weg von allem Stress, die wir allein mit dem verbringen würden, was wir am besten konnten und worin wir aufgingen; unserer Lebensaufgabe. Ein paar Tage, in denen ich Kris nicht aus dem Weg gehen konnte, so wie er mir nicht.
Tage, in denen viel Zeit zum Reden war und in denen sicherlich einige ruhige, abgelegene Momente auftauchten. Tage, für die ich mir zum gefühlt trillionsten Mal vornahm, mit Kris zu reden. Doch diesmal hatte ich ein anderes Gefühl dabei, einen festeren Entschluss, mehr Mut.

Gerade, als wir den Song "Sommer in Schweden" getauft hatten, beschlossen wir, genau dort hin zu fahren, um Inspirationen zu sammeln und auch einfach, weil uns danach war.
Es stimmte, wir waren früher viel spontaner gewesen und unternahmen damals nahezu jeden Monat so einen Trip - es hatte mir gefehlt, wie mir schon im stickigen Auto klar wurde, in dem wir aus vollem Halse mit den winzigen Boxen um die Wette schrien und uns über uns selbst und einander dermaßen kaputt lachten, dass uns nach kurzer Zeit die Bäuche weh taten.
Doch nach einigen Stunden Fahrt, in denen wir gut durchgekommen waren, und zwei Fahrten mit der Fähre, die vor allem Johannes sehr genoß, kamen wir in einem kleinen Ort in der Nähe von Oskarshamn an; dort, wo wir schon gemeinsam als Studenten und als frisch gegründete Band einen Sommer verbracht hatten - damals noch zu fünft. Nun war dies 11 Jahre her und viel hatte sich verändert.
Mit meinen Koffern in beiden Händen betrachtete ich die riesige Anlage, die sich vor uns erstreckte und unverändert aus der wohl schönsten und reinsten Natur bestand, die ich je gesehen hatte.
Viel Zeit zum Staunen blieb mir allerdings nicht, da die Jungs schon auf das Rezeptionshäuschen zusteuerten. Wenig später hielten wir 2 Schlüssel und einen Lageplan in der Hand, der uns auch nicht wirklich daran hinderte, uns heillos zu verlaufen und gefühlte Stunden jegliche Camper, die allesamt ausschließlich schwedisch sprachen, nach dem Weg zu unseren Bungalows zu fragen.
Doch nach einer halben Ewigkeit standen wir schließlich vor den Bungalows, die nur durch eine Wand getrennt waren und eine gemeinsame Terrasse hatten.
"Wer schläft mit wem?", fragte Niels schließlich, weshalb er von uns übrigen Drei ziemlich blöd angestarrt wurde, bis er anhand von Kris' und Johannes' Prusten realisierte, was er da gesagt hatte.
"Ich meine, wie wir die Bungalows aufteilen! Mann, Leute." Er errötete, was nun auch mich und ihn selbst zum Lachen brachte.
"Ich schlaf' immer gerne mit dir, Grötsch.", grinste Kris und fuhr ihm mit den Fingerspitzen sein Kinn und Schlüsselbein entlang, ehe Niels diese lachend wegschlug und ihn ins Bungalow schubste.
[Grönecke for the win.]
Mit den Worten "Na hoffentlich ist die Wand zwischen den Häusern dick...", stolzierte auch Johannes zur Glastür hinein und ließ mich schmunzelnd auf der Terrasse stehend zurück; meine dreißigjährigen Freunde waren Kleinkinder. Wahnsinnig idiotische Kleinkinder.
Doch im nächsten Moment verblasste das Grinsen und mich überkamen Zweifel. Zweifel, ob das alles so klappen würde. Ob es wirklich das Richtige war, mehrere Tage am Stück und ohne Pause miteinander zu verbringen und das, obwohl ich noch immer keinen Plan von Nichts hatte.
"Jay, kommst du oder was? Wir haben sogar 'ne Kaffeemaschine, ich fass' es nicht!" - "Ja, sofort."
Ich atmete tief durch und straffte die Schultern. Es würde schon alles gut gehen, oder?
Es musste.

•Du weißt nicht, was du fühlst.•Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt