Kapitel 14

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Am nächsten Morgen wachte ich irgendwann auf. Aufwachen in dem Sinne, dass ich mich nach einer Nacht voll quälendem Hin- und Herwälzen, zermarternden Gedanken, die mein Hirn schwer und neblig zu hingen und, wenn es hoch kommt, einer halben Stunde der Zeit, bei der man sich anschließend nicht sicher ist, ob man nun leicht geschlafen hat, oder nicht, aus einer Art Trance irgendwann in die Wirklichkeit und aus dem Bett verfrachtete.
Morgen war es auch noch nicht so wirklich, doch die Nacht schien überstanden und es wurde langsam hell. Da ich das mit dem Schlafen sowieso vergessen konnte, zog ich mir irgendeinen x-beliebigen Pullover über und zwang mich irgendwie schlurfender Weise auf die Terrasse nach draußen, wo die überraschend kühle Luft mir beißend und ernüchternd entgegen schlug und wo ich seit Stunden das erste Mal richtig atmen konnte.
Ein tiefer Zug in meine überanstrengten und müden Lungen, der nächste. Ich schloss die brennenden Augen und genoss das frische Gefühl, versuchte, mich nur darauf zu konzentrieren.
Auch ohne einen Blick in den Spiegel ahnte ich, wie ich aussah. Wie schrecklich ich aussehen musste. Es war schließlich nicht die erste Nacht meines Lebens, die ich durchmachte. Und wenn zu der sichtlich müden, gräulichen Haut und den dunklen Schatten unter eingefallen wirkenden Augen die unangenehme Hitze, verteilt auf dem ganzen Gesicht, die roten Flecken und die geschwollenen, geröteten und mit abgezeichneten Adern versetzten Lider, rund um die glasigen Augen vom stundenlangen Weinen, sich Fangen und dann noch mehr Weinen dazu kommt, sieht man eben so aus, wie man aussieht.
Ich verdrängte die Gedanken an letzte Nacht und schlang die Arme um meinen Oberkörper.
Einatmen.
Ausatmen.
Eigentlich wollte ich nur kurz frische Luft schnappen, doch hier draußen war nicht mehr daran zu denken, wieder in mein Zimmer zu gehen. Ins Zimmer, in das ich mich verkrochen hatte, weil ich zu weit gegangen war. Weil Kris mich verstoßen hatte. In dem ich die ganze Nacht über mich selbst geflucht hatte und es nicht verhindern konnte, still und heimlich vor mich hin zu heulen. Ich hatte das verdient. Was habe ich denn auch erwartet?
Mein Blick fiel auf die ziemlich gemütlich aussehende Hängematte, die mir, warum auch immer, bisher nicht aufgefallen war und in die ich mich wenig später, so wie ich war; Barfuß, in Boxershorts und Strickpullover, fallen ließ.
Mein Kopf war völlig leer und doch so dröhnend schwer. Ich beobachtete den Himmel, an dem irgendwann hinter Wolkenschleiern die Sonne auftauchte und sich langsam immer weiter nach oben klimmte. Wie weit sie weg war. Wie mickrig klein all die Probleme auf der Welt von dort aus waren. Fast nicht vorhanden, mehr als unbedeutend. Der Gedanke tröstete mich und ließ meine Augen zu fallen, wenig später schreckte ich jedoch wieder hoch.
"Beim Sonnenaufgang in der Hängematte liegen.", sang Johannes grinsend im Türrahmen stehend und hastete zurück ins Haus, um kurz danach mit einem Zettel und Bleistift zurückzukommen und etwas hinzu zu kritzeln, während ich nur gähnte.
Er sang weiter leise vor sich her, murmelnd und mit dem Stift im Mundwinkel.
"Beim Sonnenaufgang in der Hängematte liegen - Wir liebten das Leben, den Sommer in Schweden." Ich verdrehte die Augen. Wie konnte er nur direkt nach dem Aufstehen schon singen und an Songtexte denken? Für mich war es vielleicht sehr spät, doch für so ziemlich alle anderen war es noch früh am Morgen. "Das ist gut, genau die Line hat noch gefehlt.", murmelte er weiter zufrieden in seinen Bart hinein.
"Was machst du eigentlich hier draußen?", wollte Jo dann wissen.
"Deine Inspiration für neue Songtexte sein.", gab ich mit geschlossenen Augen zurück. Schlafen. Das wollte ich zumindest. "Und du?" - "Songtexte schreiben." Ich hörte sein Schmunzeln schon heraus. "Aber sonst bist du doch nie so früh schon auf", überlegte er und ließ es wie eine Frage klingen. Doch als ich ihm keine Antwort schenkte, verzog er sich mit einem "Ich mach' uns 'nen Kaffee" zurück ins Bungalow.
Ich setzte mich auf und drehte den kleinen Wasserhahn, der aus der Hauswand ragte, auf und wusch mir mit zwei Handflächen voll eisigem Wasser das Gesicht, in der Hoffnung, irgendetwas zu retten.
"Man, wie siehst du denn aus?", fragte Jo, plötzlich garnicht mehr so gutgelaunt, fast schon bestürzt, als er mit zwei Tassen in den Händen wieder kam und mich wohl erstmals musterte. Ich nahm ihm eine davon ab und sah zu Boden, spürte allerdings trotzdem seinen brennenden Blick auf mir.
"Geht es dir gut?" - "Ja, habe nur irgendwie nicht so viel Schlaf bekommen." Seine haselnussbraunen Augen verrieten, dass er mir nicht glaubte. Das würde ich wahrscheinlich selbst nicht.
"Ist es wegen eurem Streit?", fragte er behutsam nach einer Weile Stille, in der wir aneinander vorbei starrten und starken Kaffee tranken. Wenn ich ihm jetzt antworten würde, würden sich die nächsten Tränen ihren Lauf bahnen. Der Kloß in meinem Hals würde größer als ohnehin schon werden, meine Stimme dünn und krächzig und ich müsste endgültig mit der Sprache heraus rücken. Ich war nicht bereit dafür.
Doch im darauffolgenden Moment hielt ein Taxi vor uns und wirbelte Kies auf. "Was..." Johannes konnte seine Frage nicht zu Ende führen, da in dem Moment Kris aus dem Bungalow nebenan stürmte, mit seiner Reisetasche in der Hand.
"Kris, was soll das?", rief Niels ihm aufgebracht hinterher. "Ich halte es hier nicht mehr aus!", brüllte er schon fast zurück und ließ mich zusammenzucken.
"Ich verstehe dich nicht, lass uns doch reden!", flehte Niels, doch Kris riss die Tür des Wagens auf und sein kalter Blick erfasste nun mich. Er war so kalt, dass ich eine Gänsehaut bekam.
"Rede doch mit Jakob", erwiderte er, gerade noch laut genug, dass ich die Verachtung heraushören konnte.
Niels und Johannes folgten seinem Blick und ließen ihre verwirrt und überfordert auf mir ruhen, während ich nur dem Auto hinterher starrte, das immer kleiner wurde. In dem Kris saß, mit ihm ein Teil von mir.

•Du weißt nicht, was du fühlst.•Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt