Kapitel 20

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Kris reagierte schlicht und ergreifend überhaupt nicht auf das Anschmiegen und die Küsse der Blondine. Sein Blick war immer noch starr und emotionslos auf mich gerichtet und es zeichnete sich nicht eine einzige Regung auf seinem Gesicht ab. Nicht mal ein Hauch von schlechtem Gewissen oder wenigstens ein Anflug von gewisser Scham mir gegenüber war zu erkennen, während ich immer wieder mit flimmernden Lidern fassungslos zwischen den beiden hin und her sah und versuchte, auch nur irgendetwas zu sagen, mein Kinn jedoch lediglich zitterte und ich keinen Ton zustande brachte.

Doch dann - wahrscheinlich bereits nach Sekundenbruchteilen, die sich für mich jedoch wie eine kleine Unendlichkeit angefühlt hatten - huschte plötzlich und nur für einen klitzekleinen Moment ein dreckiges, fast schon siegessicheres Schmunzeln über Kris' Gesicht.
Ich bemerkte das kurze Zucken seiner rechten Augenbraue, ehe sich für mich alles in Zeitlupe abspielte und er sich plötzlich doch der blonden Frau zuwandte, die immer noch nicht von ihm abgelassen hatte. Er platzierte seine Hände an ihrer Taille, ließ sie von da aus an ihren Rücken und schließlich an ihren Hintern gleiten, währenddessen seine Lippen bereits auf ihren lagen und er sie hingebungsvoll küsste.

So, wie er mich bloß zwei Tage zuvor geküsst hatte.
So, wie ich mir erhofft hatte, dass er niemand anderen küssen würde.

Mit einer raschen, simplen Bewegung trat Kris seine Wohnungstür wieder zu und ich wankte einen Schritt zurück. Ein bestialischer Schmerz breitete sich in meinem Körper aus, ich hörte ein albernes Kichern der Frau aus Kris' Wohnung und unterdrückte einen wütenden und zugleich verletzten Schrei durchs gesamte Treppenhaus.

Verwirrt flüchtete ich aus dem Wohnkomplex an die kühle Nachtluft, wo ich Kris' Verhalten zu verstehen versuchte, um letztendlich doch zu keinem Entschluss zu kommen; selbst als ich endlich an meiner Wohnung ankam. Stattdessen hatten sich bis dahin die Fragen gehäuft und meine heillose Überforderung stieg bis ins Unermessliche, das Stechen in meiner Brust wurde beinahe unerträglich und langsam keimte auch Wut in mir auf.
Machte er sich einen Spaß daraus, mich so aus der Bahn zu werfen, mir das Herz zu brechen, so mit mir und meinen Gefühlen zu spielen?
Was war ich denn nun für ihn und was machte diese Frau bei ihm?
Wieso hatten diese braunen Augen mich heute bei dem Bandmeeting so eindringlich angesehen, um mir nur wenige Stunden später lediglich mit diesem kurzen Blick unter die Nase zu reiben, dass er sich gleich mit der Blondine amüsieren würde?

An die Decke meines Schlafzimmers starrend, merkte ich erstmals Tränen, die in meinen Augen aufstiegen, als ich mich fragte, ob ich vielleicht bloß eine Spielfigur in irgendeinem von Kris' dämlichen Spielchen war. Plötzlich stellte ich alles in Frage, das mit ihm und uns in Verbindung stand, nur um mich am Ende weinend und kraftlos unter meiner Bettdecke zu verkriechen, als könnte sie die Realität von mir abschirmen.

***

Irgendwann musste ich wohl weggedämmert sein, denn als ich die Augen aufmachte, waren meine Tränen getrocknet und haben gereizte Lider zurückgelassen. Brennende Lider und dahinter ein heilloses Chaos, ein völliges Wrack von Emotionen.
Nach einiger Zeit fand ich die Kraft, nach meinem Handy zu greifen, um Niels zu schreiben, dass ich heute nicht zum vereinbarten Treffen kommen würde.
Ich schrieb ihm, dass ich krank wäre.
In gewisser Hinsicht war das nicht einmal gelogen.
Es machte mich krank, wenn ich daran dachte, Kris zu begegnen, wie er mit mir umsprang. Wie er mich im Griff hatte, was ihm entweder garnicht bewusst war, oder - was fast noch schlimmer war - ihm egal war.
So kannte ich ihn nicht.
Doch so, wie ich jetzt in meinem Bett kauerte, so schrecklich verletzlich, kannte ich auch mich nicht.

Ich wollte uns nicht mehr so kennen.

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Kurze Anmerkung: Ich habe die Story von •Halt dich an mir fest• umbenannt, weil mich gestört hat, dass der Name nichts mit dem Inhalt zu tun hatte.
Außerdem weiß ich, dass ich euch versprochen hatte, dass bald wieder regelmäßiger Kapitel kommen, aber wahrscheinlich wird das erstmal nicht der Fall sein - es nervt mich selbst, aber geht nicht anders.
Over and out

•Du weißt nicht, was du fühlst.•Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt