Kapitel 17

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Ich drücke meine Lippen ebenfalls auf seine, die so unfassbar samtig sind.
Süß, schüchtern und zart sind seine Bewegungen, sein Kuss.
Und dann, Verlangen.
Verlangen und Leidenschaft verlagern sich über den unschuldigen Kuss, zu schnell, als dass ich reagieren könnte, wenn ich wollte.
Ich verliere mich in dem Kuss, in dem Gefühl, das seine Lippen an meinen in mir auslösen, seine Nase gegen meine Nase gedrückt.
Es ist einer dieser Küsse, das weiß ich schon jetzt, die du nur ein einziges Mal in deinem Leben bekommst und nie vergessen wirst. Die sich richtiger als alles andere auf dieser Welt anfühlen.
Aufrichtig, lebendig.
Er küsst mich mit so einer Hitze, einer Leidenschaft, dass ich mich fühle, wie in einer dieser schrecklichen Kult-Romantik-Komödien aus den 80ern, die mit dem Liebespaar im Regen endet, sie sich küssen.
In diesem Moment wäre es mir scheißegal, würde es regnen.
Oder schneien.
Oder Steine hageln.
Denn es gibt nichts wahrhaftigeres, lebendigeres, als Kris und mich.
Unseren Kuss.
Ich fühle mich berauscht und gleichzeitig beruhigt. Meine Wangen unter Kris' Händen glühen, mein Körper bebt und ich kann nicht anders, als breit zu Grinsen, als er sich ein Stück von mir löst, um zu lächeln und mich dann wieder an sich zu ziehen, als würde er jedes gebrochene Detail reparieren wollen. Er atmet schwer und das alles geschieht in Zeitlupe, dieser Moment darf nie enden.

Ich fühle mich lebendig, vielleicht das erste Mal.

***

Ich hätte Johannes verfluchen können.
Ich hasste ihn.
Ich würde ihn vermutlich hassen, wenn ich nach diesem Kuss auch nur irgendwelche negativen Gefühle empfinden, gar zuordnen könnte.
Ich fuhr mit den Fingern ein weiteres Mal über meine Lippen, konnte es immer noch nicht glauben, was dort ein paar Stunden zuvor Kris' hinterlassen hatten.
Bis sein Handy klingelte und er sich abrupt von mir löste.
»Spontane Bandprobe heute Abend, 19 Uhr! -Jo«, las ich auf dem Nachhauseweg auch auf meinem Display.
"Dann bis heute Abend", hatte Kris gesagt, schmunzelte mir zu und schob mich galant in Richtung seiner Wohnungstür, um diese zu schließen und mich verwirrt, überfordert und überglücklich zurückzulassen.
Wahrscheinlich musste er das ebenso erstmal verarbeiten.
So einen Kuss musste man eben erst einmal verarbeiten.

Nun stand ich fast vor der Tür unseres gemieteten Bandunterschlupfs und war so nervös, wie selten in meinem Leben.
War Kris schon da?
Hatte er etwa Jo und Niels erzählt, was passiert war?
Wie würde es weitergehen?
Ich beschloss, mir erst einmal nichts anmerken zu lassen und drehte den Schlüssel im Türschloss.
Ein Paar hellblaue und ein Paar dunkelbraune Augen starrten mich geradewegs an und verstummten in ihrem Gespräch. Sie hatten über mich geredet, so viel war klar.
Von ihm keine Spur.
Johannes stand vom Barhocker auf und nahm mich zur Begrüßung in den Arm, ebenso wie Niels, etwas zögernd.
"Und warst du schon bei Kris?", fragte dieser ohne Umschweife.
"Niels!", zischte Johannes und wirkte wie seine Ehefrau, die vergeblich nach 50 Jahren Ehe versuchte, ihm Manieren beizubringen.
Unbeirrt ignorierte Niels ihn und zog seine Augenbrauen nur weiter in die Höhe.
Herzrasend atmete ich ein und grinste.
"Alles wieder gut."
Die Untertreibung des Jahres.

Er atmete erleichtert aus und in dem Moment stolzierte Kris herein.
Ich suchte seinen Blick mit meinen Augen, die ebenso breit strahlen mussten, wie mein Mund, doch er warf nur ein allgemeines, aber fröhliches "Hallo" in die Runde, ehe er seinen Kram auf dem Sofa ablud.
Er ließ sich kurz darauf auf dem roten Leder nieder, schlug die Beine übereinander und sah direkt zu Johannes, ohne auch nur den Hauch einer Kenntnis meiner Person zu zeigen, worüber ich vielleicht ein wenig enttäuscht war.
"Also, Strate. Was verschafft uns die Ehre?", wollte er wissen.
Auch wir übrigen Zwei sahen zu dem Sänger, der nun nervös wirkte und etwas kleinlaut, wie man es von ihm nicht kannte, sagte: "Ich habe Neuigkeiten, eine Ankündigung, was auch immer."
Ich zog erwartungsvoll meine Stirn in Falten, Niels verschränkte abwartend seine Arme. Bevor Jo weiter reden konnte, trat plötzlich Sascha aus unserer "Küche", falls man diese so nennen konnte.
"Huch, was ist denn jetzt los?", flüsterte Kris fast, sichtlich verwirrt über das ernste Gesicht unseres Managers.
"Hey Leute. Es kam alles ein bisschen anders, als erwartet. Wir müssen einiges besprechen, aber macht euch keine Sorgen.", erwiderte Sascha nachdrücklich.

Plötzlich klopfte es an der Tür, Johannes sah auf seine Armbanduhr und fluchte, dass "er" viel zu früh sei.
Ich beobachtete, wie Kris' Blick fragend zu Sascha, Niels, Jo und schließlich einem Mann der hinter der Tür auftauchte und Johannes mit einem ausgelassenen Händeschütteln und einem breiten Lächeln begrüßte flog, doch kein einziges Mal auf mir verweilte.

"Kann uns jetzt endlich mal jemand aufklären, was hier los ist?"

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