2. Kapitel

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Der Unterricht ist beendet und ich begebe mich mit meinen Büchern zu den Spinden.

Ich denke immer noch an das komische Gefühl, das ich bei der Ankunft des neuen Klassenkameraden Lucius hatte.
In der Ferne sehe ich, wie er sich mit den anderen Jugendlichen unterhält und es sieht so aus als hätte er schon ein paar Freundschaften geschlossen, vermutlich mehr als ich in all den Jahren.

»Lucius ist wirklich nett, findest du nicht? Man redet im ganzen College von nichts anderem mehr, auch in den anderen Klassen.«

»Bitte Azura, fang du jetzt nicht auch noch damit an.«

»Komm schon Lilith, ich weiß, dass du das auch denkst, ich habe gesehen wie ihr euch heute in der Klasse angesehen habt.«

»Was? Hast du das auch bemerkt? Ich dachte es wäre nur eine Ausgeburt meiner Fantasie.«

»Eine Ausgeburt deiner Fantasie? Bring mich nicht zum Lachen. Lilith, wieso bist du nur immer so unsicher? In der Klasse haben wir es alle bemerkt.«

Stimmt, meine Unsicherheit; ich lebe damit seit ich geboren wurde, oder zumindest seit ich mich erinnern kann. Alles was mich betrifft, alles was mich darstellt... ich habe immer den Eindruck, dass es nicht genug ist, dass ich nicht auf der selben Ebene bin wie die anderen.
Damit meine ich jetzt nicht, dass ich ein hässliches Mädchen bin, ich habe mich noch nie als solches betrachtet, ich finde mich, mh... mittelmässig, normal, nichts besonderes. Dennoch habe ich immer beachtlichen Erfolg beim anderen Geschlecht gehabt, auch wenn ich mich persönlich, noch nie insbesondere für jemanden interessiert habe; außer für Lukas, natürlich.

Er war ein älterer Junge, der eine Klasse über meiner war. Er sah wirklich gut aus, war aber bekannt für seinen freien Geist und seine grosse Leidenschaft, hübsche Mädchen verführen zu wollen; ich habe geglaubt, ihn verändern zu können, aber so war es nicht und ich habe mich daran verbrannt. Ich habe ihm meinen ersten Kuss gegeben und noch am selben Abend haben wir uns so sehr gestritten, dass wir uns fast gegenseitig hassten; als er mir klar und deutlich sagte, dass für ihn der Kuss überhaupt nichts bedeutete. Als verliebtes kleines Mädchen, habe ich schlecht reagiert. Glücklicherweise ist das für mich nun eine alte Geschichte.

Ich öffne, immer noch in meinen Gedanken versunken, meinen Spind und stehe dann vor dem Spiegel, den ich Anfang des Jahres an das Türchen gehängt habe. Meine schokoladenfarbigen Augen sind umringt von einem schwarzen unregelmässigen Strich. Wie üblich ist der Kajal verschmiert; ich bringe ihn schnell mit den Fingern wieder in Ordnung und kämme ein paar widerspenstige Haarsträhnen meiner dunklen, langen, von Natur aus glatten Haaren zurecht. Sie sind so selbstverständlich, so offensichtlich, ich hasse sie. Meine Lippen sind auf den richtigen Punkt voll und seit immer in einer auffallenden Farbe, vermutlich weil sie im Kontrast zu meiner sehr hellen, fast weißen Haut stehen.

Ich lege meine Bücher schnaubend ab und schließlich schließe ich den Spind.

»Lilith, hörst du mir zu? Ich glaube, dass du ihm gefällst, du solltest dich ihm vorstellen, schließlich ist er der Neuankömmling.«

»Bist du verrückt geworden Azura? Er sieht überhaupt nicht schüchtern aus, hättest du Recht, wäre er schon längst gekommen und hätte sich selbst vorgestellt, so wie er es bei den anderen auch gemacht hat.«

Während unseres Dialoges, spüre ich ein seltsames, leichtes, stechendes Ziehen in der Brust, so folge ich meinem Instinkt und drehe mich um. Ich erstarre.
Da ist er, am anderen Ende des Korridors. Der Rücken ist an den Spinden angelehnt, die Arme vor seiner harten Brust verschränkt und sein Gesicht in meine Richtung gedreht, sodass mir jegliche Bewegung schwerfällt. Kein Lächeln, kein Zeichen, er ist reglos, als würde er mich aufmerksam studieren.

Schwarzer DiamantWo Geschichten leben. Entdecke jetzt