Der Süden

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Legolas
Arod trabte über die weite Steppe. Die Sonne schien heiß und erbarmungslos vom Himmel herab, sodass selbst mir als Elb langsam ein wenig zu warm wurde. Gimli, der hinter mir im Sattel saß, schwitze, als würde er neben Arod herlaufen und beschwerte sich immer wieder, dass es so heiß war. ,,Bei dieser Hitze helfen noch nicht einmal unsere lorischen Mäntel...", brummte er. Die Luft flimmerte sogar ein wenig vor Hitze. Am Horizont sah ich, dank meinen scharfen Elbenaugen, schon die ersten Ausläufer des großen Waldes, zu dem wir reisten. Inmitten dieses Waldes musste sich Caras Calen, die Grüne Stadt befinden. Dort war das nächste Ziel, die nächste Etappe der Suche nach der Feuerrose. Es war ein weiter Weg gewesen, den wir zurückgelegt hatten. Vor ungefähr eineinhalb Monaten hatten Gimli und ich Erebor verlassen und waren über Rohan und Gondor weiter in den Süden gereist. Die Grenze Südgondors hatten wir vor fünf Wochen hinter uns gelassen. In Minas Tirith hatte ich einen Brief an meinen Vater geschrieben, in dem ich ihm mitteilte, was bis jetzt geschehen war.

Lieber Vater,
Ich grüße dich aus Minas Tirith. Wenn du das hier liest, oder wohl eher vorgelesen bekommst, sind Gimli und ich wahrscheinlich schon im wilden Süden auf dem Weg nach Caras Calen. Mir geht es gut, bis jetzt verlief die Reise gut und ruhig, doch mein Gefühl sagt mir, dass sich das im Süden ändern könnte. Ich versuche trotzdem, mein Versprechen zu halten und auf mich aufzupassen. Denn was ich verspreche, halte ich auch, soweit das in diesem Fall funktioniert. Ich sende in diesem Brief auch herzliche Grüße von Eomer aus Rohan und natürlich von Aragorn, Arwen und auch von Eldarion aus Gondor, wobei ich nur letztere in die Geschehnisse der letzten Zeit eingeweiht habe. Allerdings nur teilweise, denn ich erwähnte die Feuerrose noch nicht einmal ihnen gegenüber. Es erschien mir klug, Großvaters Warnung zu beachten und nicht zu vielen davon zu erzählen.
Ich bitte dich, dir nicht zu große Sorgen um mich zu machen und deine Gedanken auch anderen Dingen zu widmen. Wenn du Hilfe bei politischen Angelegenheiten brauchst, steht Aragorn dir gerne zur Seite, so sagte er mir. Grüße Feren und Großvater von mir, obwohl sich das wahrscheinlich sowieso gerade von selbst erledigt hat, da Feren dir den Brief wahrscheinlich vorliest und Großvater hinter dir steht oder neben dir sitzt, mit einem Lächeln auf den Lippen. Ich verspreche dir, dass ich nicht ohne das Heilmittel zurückkehren werde, egal, wie lange die Suche dauert.
Habe Vertrauen in dich und glaube daran, dass du auch ohne meine Anwesenheit stark bist. Großvater und Feren helfen dir dabei. Und verliere niemals die Hoffnung.

In Liebe, Legolas

,,Legolas?", riss mich Gimlis Stimme aus meinen Gedanken, ,,Hast mir überhaupt zugehört?" ,,Nein, tut mir leid", entgegnete ich. ,,Da vorne stehen ein paar Bäume an einem kleinen Bach", sagte Gimli, ,,Ich würde sagen wir bleiben hier und ruhen uns aus. Ich gehe sonst noch ein und Arod scheint auch ziemlich zu schwitzen." Ich sah die Bäume und den kleinen Bach, der sich wie ein dünnes, silbernes Band durch das braun-grüne Gras der Steppe schlängelte. ,,In Ordnung", sagte ich und lenkte Arod auf die Baumgruppe zu. Kurz darauf stoppte ich den Hengst und stieg ab. Gimli tat es mir gleich, auch wenn er halb von Arods Rücken fiel. Arod, nun von unserer Last befreit, beugte sofort den Kopf zum Bach und trank daraus. Ich tat es meinem Pferd gleich. Ich kniete mich ans Ufer, formte die Hände zu einer Schale, befüllte sie mit Wasser und trank es. Das kühle Wasser tat gut und ich spritzte mir noch etwas davon ins Gesicht. Gimli lag immer noch auf dem Boden. ,,Gimli, das Wasser ist schön kühl", sagte ich und schritt durch das flache Bett des Baches zum anderen Ufer in den Schatten der Baumgruppe. Arod führte ich an den Zügeln mit mir. Im Schatten waren die Temperaturen angenehm, nicht so heiß wie in der Sonne. Ich nahm Arod Sattel und Zaumzeug ab, was den Hengst sichtlich erfreute, denn kurz darauf sprang er fröhlich wiehernd durch den Bach. Gimli hatte sich inzwischen zu mir in den Schatten geschleppt, nahm seinen Helm ab und schmiss ihn auf den Boden. Das Gesicht des Zwerges war rot und verschwitzt. Ich beachtete Gimli nicht weiter, sondern packte unsere geleerten Wasserschläuche aus und befüllte sie mit den klaren Wasser des Baches. ,,Das kühle Nass ist eine Wohltat", brummte Gimli. ,,Du sagst es", stimmte ich ihm zu, ,,Selbst für mich wird es in der Sonne langsam zu warm." ,,Aber zum Glück haben wir ja ein schattiges Plätzchen gefunden", sagte Gimli, ging zu einem der Bäume und setzte sich davor, den Rücken an den Stamm gelehnt. ,,Wie viel Proviant haben wir noch?", fragte er. ,,Einige Scheiben Lembasbrot und noch ein klein wenig Pöckelfleisch aus Gondor", antwortete ich, nachdem ich in der Tasche nachgesehen hatte. ,,Dann gib mir doch mal etwas davon. Ich bin am Verhungern", meinte Gimli. Ich griff in die Tasche, zog ein Päckchen Lembasbrot heraus und warf es zu Gimli. Ein Grinsen stahl sich auf meine Lippen, denn ich wusste, was der Zwerg jetzt sagen würde. ,,Nichts gegen elbisches Brot, aber zuerst brauche ich etwas Fleisch", sagte er da auch schon. Ich lachte kurz auf. ,,Du bist wirklich gut zu durchschauen, mellon", meinte ich, ,,Denn warum glaubst du, habe ich dir das Brot gegeben?" Gimli lachte kurz auf, während ich ihm das letzte Stück des Pöckelfleischs gab und mir selbst etwas Lembas nahm. Großen Hunger hatte ich nicht, weshalb ich Gimli das restliche Pöckelfleisch überließ. Während dem Essen schwiegen wir und beobachteten Arod, der noch immer durch den Bach sprang, als hätte er zu viel Energie. ,,Wie lange brauchen wir noch bis zum Wald?", fragte Gimli. ,,Ich sehe bereits die ersten Ausläufer des Waldes dort im Südwesten", sagte ich und deutete dorthin, ,,Morgen werden wir ihn sicher noch vor Sonnenuntergang erreichen." ,,Gut gut", murmelte Gimli und im nächsten Moment hörte ich sein Schnarchen. Ich grinste nur in mich hinein. Die ganze Nacht saß ich da und hing meinen Gedanken nach, die sich irgendwann wie von selbst auf meinen Vater fokussierten. Wie es ihm wohl ging? Ob er meinen Brief schon erhalten hatte? Ich wusste, dass er sich um mich sorgte, schon immer hatte er das getan. Doch hatte er es nie gezeigt, denn durch den Tod meiner Mutter wurde sein Herz gebrochen. Der einzige Grund, warum er noch nicht in den Westen gesegelt war, war ich. Er war für mich hiergeblieben und hatte wegen mir diese starke und dennoch kalte und unnahbare Fassade errichtet. Nur damit ich nicht sah, wie sehr er gebrochen war. Damit ich nicht mit ihm litt. Doch ich hatte auch so gelitten, denn mir fehlte eine Mutter und zudem hatten mein Vater und ich uns immer weiter auseinander gelebt. Aber als ich nach dem Ringkrieg und meinen Reisen mit Gimli wieder in meine Heimat zurückgekehrt war, hatte sich alles auf einen Schlag geändert. War ich doch sonst immer der Schwächere gewesen, egal in welcher Hinsicht, so war es jetzt mein Vater der, zum ersten Mal mir gegenüber, Schwäche zeigte. Sehr viel Schwäche. Noch immer saß mir der Schock tief in den Knochen, der mir in jener Nacht durch Mark und Bein gefahren war, als mein Vater tränenüberströmt auf dem Fenstersims gestanden und sich fallen lassen hatte. Ein Schauer fuhr mir über den Rücken, als ich daran dachte, was wohl passiert wäre, wenn ich nicht zum Fenster gerannt wäre und ihn festgehalten hätte...

Struck by Fire ⚜A Middleearth Story | Book 2⚜Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt