Legolas
Wir liefen den ganzen Tag hindurch, bis wir schließlich am frühen Abend vor einer Mauer aus riesigen Bäumen standen. Die Stämme waren ineinander verwachsen, sodass man kaum erkennen konnte, wo ein Baum aufhörte und der nächste begann. Die Stämme der Bäume waren extrem dick, ebenso wie die Äste. In einem der Bäume, vor dem der Pfad endete, befand sich ein Tor. Anscheinend war der Torbogen in den Baum hineingehauen und die Torflügel dann fest darin verankert worden. Ich sah vor dem Tor keine Wachen, was mich verwunderte. Doch als wir nur noch wenige Meter vom Tor entfernt waren, sprangen von oben aus dem dichten Geäst der "Mauerbäume" drei Elben herab. Sicher und geschmeidig wie Katzen landeten sie auf dem Boden und stellten sich sofort wieder aufrecht hin. Ich war schwer beeindruckt. Einen Sprung aus einer solchen Höhe hätte noch nicht einmal ich oder überhaupt irgendein Elb aus meinem Volk völlig unbeschadet überstanden und wir waren schon sehr geübte Kletterer. Wir konnten auch durchaus von ziemlich hohen Bäumen springen und sicher auf dem Boden landen, aber von einer solchen Höhe aus sicherlich nicht. ,,Ach ihr beiden seid es", meinte einer der Elben, ,,Und anscheinend habt ihr Besuch mitgebracht...." ,,Ja, allerdings", sagte Mithrellas, ,,Und zwar hohen Besuch. Denn dieser Elb ist der Enkel Orophers." Die Wachen wechselten vielsagende Blicke. ,,Ihr seid für Orophers Enkel und den Zwerg verantwortlich", meinte der Elb, der die ganze Zeit schon sprach. Dann rief einer der anderen Elben: ,,Öffnet das Tor!" Kurz darauf bewegten sich die riesigen Torflügel, die doch tatsächlich aus Holz bestanden. Mithrellas und Seregon gingen voran und ich folgte ihnen. Arod, auf dessen Rücken noch immer Gimli saß, führte ich an den Zügeln mit mir. Wir durchschritten das riesige Tor und Gimli und ich staunten nicht schlecht. Die Bäume schienen innen hohl zu sein und zwar bis fast nach ganz nach oben, wo der Stamm sich in die dicken Äste aufteilte. Treppen, manche mit, manche ohne Geländer, waren an den Holzwänden angebracht und führten wie eine Wendeltreppe nach oben. In regelmäßigen Abständen waren Durchgänge in den Wänden eingelassen und vor diesen Durchgängen wurde die Treppe von Plattformen unterbrochen. Von oben hingen Lampen an dicken Seilen herab und verströmten ein schönes, warmes Licht. Manche Lampen hingen nur einige Meter über unseren Köpfen, während andere in schwindelerregender Höhe an kürzeren Seilen hingen. Einige Meter von uns entfernt befand sich ein Torbogen, der nicht ganz so groß war wie der Eingang und in dem sich ein aufwändig geschmiedetes Gittertor befand. Dieses war allerdings geöffnet. Wahrscheinlich wurde es nur bei Nacht geschlossen. ,,Wenn ihr das hier schon so faszinierend findet, dann wartet, bis ihr den Rest der Stadt und den Palast seht", meinte Mithrellas. ,,Wie funktioniert das? ", fragte ich, ,,Sind die Bäume ausgehöhlt worden?" Mithrellas lachte kurz auf. ,,Nein, die Bäume sind von Natur aus hohl", erklärte er. Das verwirrte mich aber nur umso mehr. ,,Aber dann müssten die Bäume doch tot sein", entgegnete ich, ,,Sie können doch dann kein Wasser mehr in die Blätter leiten." ,,Die...sagen wir Wände sind drei bis fünf Meter dick. Das reicht vollkommen aus um genügend Wasser in die Blätter zu transportieren", erklärte Mithrellas. Wir traten aus dem "Mauerbaum" durch den zweiten Torbogen hindurch ins Freie. Vor uns erstreckte sich eine riesige Fläche mit denselben Bäumen wie die der "Mauer". Einige Bäume standen einzeln da, aber die meisten waren zu zweit oder zu dritt ineinander verwachsen, ebenso wie an der Mauer. Türen befanden sich in den Baumstämmen und an einigen führten auch Treppen außen am Stamm entlang nach oben, was mich ein wenig an Lorien erinnerte. Das Blätterdach der Bäume war so dicht, dass man nicht hindurchsehen konnte. Viele Elben liefen umher und gingen ihren alltäglichen Aufgaben nach. ,,Folgt uns, wir bringen euch zu König Thoron", sagte Mithrellas, ,,Denn ich finde, er sollte erfahren, welch hohen Besuch wir haben." Die Zwillinge führten uns durch die Stadt hindurch. Gimli, der inzwischen selbst lief, und ich wurden neugierig beäugt. Schließlich erreichten wir wieder eine "Baummauer", die aber bei weitem nicht so hoch und dick wie die am Rand der Stadt war. Dahinter befand sich eine Baugruppe, die höher war wie alle anderen Bäume. ,,Gleich werdet ihr den Palast bestaunen können", teilte Mithrellas mit, während wir, nach einigen Absprachen mit den Palastwachen, durch das Tor gingen. Hinter der Mauer befand sich ein kreisrunder Hof, in dessen Mitte sich der Palast, aus sechs ineinander verwachsenen Bäumen bestehend, befand. Staunend drehte ich mich einmal um mich selbst, was Mithrellas schmunzeln ließ. ,,Mithrellas!", ertönte eine erfreute, weibliche Stimme. Der Angesprochene drehte sich lächelnd um und lief der Elbin, die auf ihn zurannte, mit offenen Armen entgegen. ,,Elloth!", rief er erfreut, als sie ihm im wahrsten Sinne des Wortes in die Arme sprang. Die Beiden umarmten sich kurz. ,,Ich habe auf dich gewartet, aber du bist nicht gekommen", meinte Elloth und sah ihn besorgt an. ,,Es ist etwas dazwischen gekommen", erklärte Mithrellas, ,,Aber keine Sorge, es geht mir gut, melethril (Liebste)." Also waren Elloth und Mithrellas ein Paar. Ich lächelte leicht, als die beiden sich kurz küssten. ,,Ich muss mich jetzt verabschieden, meine Freunde warten auf mich", sagte Seregon da plötzlich, neigte leicht den Kopf, warf seinem Bruder noch einen undefinierbaren Blick zu und ging. ,,Also dieser Elb ist sehr eigenartig", brummte Gimli. ,,Ja, allerdings", stimmte ich dem Zwerg zu und sah Seregon nachdenklich hinterher. ,,Ihr habt Besuch mitgebracht, wie ich sehe", stellte Elloth nach einem Blick zu Gimli und mir fest. ,,Mae", antwortete Mithrellas, ,,Wir haben sie einen Tag lang verfolgt, deshalb komme ich erst heute." ,,Mae govannen", sagte Elloth lächelnd. Also sprachen sie hier im Süden ebenfalls Sindarin. ,,Le suilon Elloth", entgegnete ich, ,,Im Legolas (Seid gegrüßt Elloth. Ich bin Legolas)." ,,Ihr sprecht unsere Sprache?", fragte Elloth erstaunt. ,,Nun ja, das liegt im Auge des Betrachters", antwortete ich. Elloth verstand, was ich meinte und nickte lächelnd. ,,Und wer seid Ihr?", fragte sie dann an Gimli gewandt, ,,Es kommt nur sehr selten vor, dass ein Zwerg nach Caras Calen kommt." ,,Ich bin Gimli Gloinssohn, ein Zwerg aus Durins Volk", stellte Gimli sich stolz vor, erfreut darüber, dass man ihn nicht vergessen oder gar übersehen hatte. Elloth nickte lächelnd. ,,Legolas, Ihr habt etwas wichtiges vergessen zu erwähnen", meinte Mithrellas dann. Fragend sah ich ihn an, ebenso wie Gimli und Elloth. ,,Er ist nicht einfach irgendein Elb aus dem Norden, Elloth. Er ist der Enkel Orophers", erklärte Mithrellas. Elloth machte große Augen. ,,Ist das wahr?", fragte sie mich. ,,Mae", antwortete ich, ,,Allerdings kann ich mir nicht erklären warum Mithrellas diese Tatsache die ganze Zeit herumposaunt..." ,,Oropher ist hier sehr bekannt", sagte Elloth, ,,Denn er war der erste Elb, der gemeinsam mit einem Zwerg reiste und ihn Freund, sogar Seelenbruder nannte." ,,Thorins Ururgroßvater", murmelte ich leise. ,,Ich glaube wir haben später noch genug Zeit, um uns alles mögliche zu erzählen", unterbrach Mithrellas das Gespräch, ,,König Thoron sollte erfahren, dass wir Gäste haben." Elloth nickte. ,,Natürlich", sagte sie, ,,Ich weiß wo er sich gerade befindet. Kommt."
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Struck by Fire ⚜A Middleearth Story | Book 2⚜
FantasyDie Suche nach der Feuerrose führt Legolas und Gimli bald außerhalb der bekannten Regionen Mittelerdes, während Thranduil im Waldlandreich jeden Tag auf Legolas' Rückkehr wartet. Doch dann geschehen merkwürdige Dinge und der blinde König befürchtet...