Legolas
Wie ich bereits vermutet hatte, erreichten wir den Wald nach einem weiteren Zwei-Tages-Ritt. Gegen Mittag verschwanden wir zwischen den Bäumen, rasteten aber noch nicht, sondern ritten weiter, bis es dunkel wurde. Der Wald erinnerte mich an meine Heimat. Die Bäume waren hoch, hatten dicke, knorrige Stämme, ein verzweigtes Geäst und saftig grüne Blätter. Das Sonnenlicht schien grün durch die Blätter hindurch oder fiel in kleinen goldenen Punkten durch das Blätterdach in das dichte Unterholz. Ich sah konzentriert auf den Waldboden vor uns. ,,Hier scheint ein Pfad zu sein", meinte ich schließlich, ,,Oder zumindest war hier ein Pfad. Er wurde lange nicht mehr genutzt. Sehr lange." ,,Führt er in die Richtung, in die wir gehen müssen?", fragte Gimli, der hinter mir leider nicht ganz so viel zu sehen bekam. Ich holte die Karte aus meiner Tasche und sah kurz darauf. ,,Ja, wenn wir Glück haben, führt uns dieser Pfad vielleicht sogar direkt zur Grünen Stadt", antwortete ich und steckte die Karte wieder weg. Während Arod in gemächlichem Schritt dem Pfad folgte, sahen Gimli und ich uns um. Die Temperaturen waren hier unter dem Blätterdach angenehmer. Nicht zu heiß und nicht zu kalt. Es war wirklich ein wunderschöner Wald, der voller Leben und Energie war. Dadurch fühlte ich mich gleich wohler, wäre da nicht dieses Gefühl gewesen. Dieses Gefühl, dass wir beobachtet wurden. Die ganze Zeit spürte ich bohrende Blicke auf mir. Ja, nicht nur einen, mehrere, was mich schon jetzt in Alarmbereitschaft versetzte. Aber so oft ich mich auch umsah, ich konnte nichts und niemanden entdecken, außer vielleicht einem Eichhörnchen oder einem Vogel. Schließlich wurde es langsam dunkel. ,,Dort hinten ist ein umgestürzter Baum", sagte ich zu Gimli und deutete rechts neben den Pfad. Ich gab Arod ein Zeichen dort hin zu laufen und das rohirrische Pferd verließ den Pfad. Vor dem Baumstamm stoppte ich Arod und stieg ab. ,,Hier bleiben wir über Nacht", sagte ich zu Gimli, der ebenfalls von Arods Rücken gestiegen war und sich umsah. Zwar fühlte ich mich nicht wirklich wohl dabei, über Nacht hierzubleiben, da ich mich noch immer beobachtet fühlte, doch ich musste Arod eine Pause gönnen. Schließlich war er kein Elbenpferd und trotzdem die ganze Strecke bis hierher tapfer gelaufen. Gimli setzte sich, den Rücken an den Baumstamm gelehnt, auf den Boden. ,,Wer übernimmt die Nachtwache?", fragte der Zwerg. ,,Ich", antwortete ich knapp und fügte in Gedanken noch hinzu: Das ist sicherer für uns, da meine Sinne schärfer sind. ,,Und warum immer du?", fragte Gimli. Ich seufzte. ,,Weil ich nicht so viel Schlaf brauche wie du", sagte ich, ,,Und außerdem habe ich schärfere Sinne, sodass ich Gefahren früher bemerke." Während ich sprach, sah ich kurz in das Blätterdach über uns. Von dort schienen die bohrenden Blicke jetzt zu kommen. Gimli war mein Blick natürlich nicht entgangen. ,,Was siehst du?", fragte er daraufhin flüsternd und seine Hand legte sich um den Griff seiner Axt. ,,Nichts", antwortete ich, ,,Ich spüre nur schon länger Blicke, die uns beobachten und verfolgen." ,,Na wenn das so ist, dann bleibe ich auch wach", brummte Gimli. Doch das hielt keine drei Stunden an und so hielt dann doch ich die Nachtwache, während Gimli und auch Arod schliefen. Meinen Bogen hatte ich die ganze Zeit über in meiner Hand, um schnell handeln zu können, falls etwas oder jemand uns angriff. Es war noch immer der lorische Bogen, das Geschenk Galadriels an mich, welchen ich bei mir trug. Die ganze Nacht über saß ich da und starrte in den dunklen Wald, ständig bereit, bei Gefahr sofort zu handeln. Gerade als es zu dämmern begann, meinte ich ein leises Flüstern in den Bäumen über unserem Nachtlager zu hören und danach herrschte wieder Stille. Allerdings kann Stille oft auch verräterisch sein, denn jetzt war es definitiv zu still. Ich nahm langsam und so unauffällig wie irgendwie möglich, einen Pfeil aus meinem Köcher und legte ihn an die Bogensehne. Dann stieß ich Gimli mit dem Fuß an und der Zwerg schreckte auf. Schnell hielt ich ihm den Mund zu, damit er nichts sagte, denn ich wollte noch so unauffällig wie möglich bleiben. Gimli begriff, dass etwas nicht stimmte und zückte seine Axt. Ich lauschte und hörte hinter mir beinahe lautlose Schritte, die sich uns näherten. Ich wartete noch einen Moment und drehte mich dann blitzschnell um, den Bogen mit dem Pfeil zum Zerreißen gespannt. Tatsächlich hatte sich jemand von hinten an mich herangeschlichen. Offensichtlich ein Mann, genauso groß wie ich und mit ungefähr demselben Körperbau. Seine Kleidung erinnerte mich ein klein wenig an einen lorischen Elben, doch nur ansatzweise. Die Kapuze seines grün-braunen, leichten Umhangs hatte der Mann tief ins Gesicht gezogen, sodass ich sein Gesicht nicht erkennen konnte. Er hatte ebenfalls einen Bogen in der Hand, mit einem Pfeil gespannt und auf mich gerichtet. Kurz betrachteten wir uns nur. ,,Eine falsche Bewegung und der Zwerg stirbt", sagte der Mann dann mit einer wohlklingenden Stimme, die nur einem Elb gehören konnte. Hinter mir hörte ich ein wütendes Brummen und sah über meine Schulter. Gimli war offenbar von hinten angegriffen worden. Seine Axt lag auf dem Boden und er selbst stand ein wenig hilflos da, denn ein weiterer Mann, vermutlich auch ein Elb der seine Kapuze ebenfalls tief ins Gesicht gezogen hatte, stand hinter ihm, hielt ihm den Dolch über das Herz und mit der anderen Hand den Mund zu. Würde Gimli sich wehren, müsste der Elb nur mehr Druck auf den Dolch ausüben, um ihm ins Herz zu stechen und zu töten. Ich zögerte einen Moment, doch dann ließ ich meine Waffen sinken. ,,Wer seid ihr und was tut ihr hier?", fragte der Elb mit dem Bogen. ,,Wir sind einfache Reisende", erklärte ich, legte meinen Bogen auf den Boden und hob die Hände, um meine Aussage noch deutlicher zu machen. ,,Eure Namen?", fragte der Elb leicht genervt. ,,Warum sollten wir zwei Fremden unsere Namen nennen?", fragte ich zurück. Der Elb nickte mit dem Kopf hinter mich, wo Gimli gerade warnend brummte. Sagen konnte er ja nichts. Der zweite Elb drückte meinem Seelenbruder den Dolch stärker auf die Brust. ,,Schon gut", sagte ich ergeben, ,,Mein Name ist Legolas Thranduilion und das ist Gimli Gloinssohn." ,,Offensichtlich Nordmänner", meldete sich der Elb bei Gimli zu Wort. ,,Und wohin soll eure Reise führen?", fragte der Elb mir gegenüber. ,,Nach Caras Calen", antwortete ich knapp. Die beiden Elben sahen sich kurz an. ,,Seit 9000 Jahren sind keine Nordmänner mehr hierher gekommen", sagte der Elb vor mir, ,,Warum also jetzt plötzlich wieder und dann auch noch ein Elb und ein Zwerg gemeinsam? Zudem interessiert mich, woher ihr die Karre habt auf der der Weg verzeichnet ist. Im Norden existieren solche Karten doch überhaupt nicht, bis auf eine einzige, soviel ich weiß. Allerdings ist es schier unmöglich, dass ihr in ihren Besitz gekommen seid." ,,Die Karte ist...ein Familienerbstück", antwortete ich und das stimmte ja auch so ungefähr. Der Elb seufzte und nahm die Kapuze ab. Ein makelloses Gesicht, spitze, elbentypische Ohren und dunkelbraunes, fast schwarzes Haar kam zum Vorschein. ,,Spiel keine Spielchen", sagte er, ,,Die Karte kann kein Familienerbstück sein!" ,,Ist sie aber", beharrte ich und sah dem Elb in die braunen Augen. Er machte ein paar Schritte auf mich zu und dabei blitzte etwas am Kragen seines Gewandes auf. Ich sah es mir genauer an und erkannte eine kleine Nadel mit einem Wappen darauf, wie man sie manchmal von einem König als Zeichen für eine große Tat bekam. Das erstaunlich war allerdings, dass mir das Wappen nur allzu vertraut war: Es war das Wappen des Waldlandreiches. Ich begriff schnell, dass dieser Elb, oder sein Vater oder Großvater, meinen Großvater gekannt haben musste. ,,Die Nadel", sagte ich zu dem Elb, ,,Ich kenne dieses Wappen. Woher habt Ihr das?" ,,Familienerbstück", antwortete der Elb, allerdings nicht spöttisch, sondern voll im Ernst. ,,Dann hat Euer Großvater oder Vater meinen Großvater gekannt", sagte ich, ,,Er hat den Süden hier erforscht und die Karte gezeichnet." Der Elb sah mich kurz erstaunt aber auch ungläubig an. ,,Beweist es", forderte er, ,,Beweist, dass Ihr der seid der Ihr behauptet zu sein." Das war doch eigentlich klar gewesen. Aber ich hatte nichts von meinem Großvater, außer die Ähnlichkeit in der Erscheinung und das würde dem Elb nicht als Beweis reichen. Doch da fiel mir etwas ein. Natürlich hatte ich etwas von meinem Großvater: Der Schlüssel, den ich an der Kette noch immer um den Hals trug. Langsam holte ich den Schlüssel unter meiner Kleidung hervor und zeigte ihn dem Elb. ,,Das ist das Einzige was ich von ihm habe", sagte ich. Der Elb betrachtete den Schlüssel. ,,Einen Schlüssel wie diesen gibt kein zweites Mal", murmelte er und sah mir dann wieder ins Gesicht, ,,Gut, ich glaube Euch. Aber sollte ich herausfinden, dass Ihr lügt, wird das schwerwiegende Konsequenzen haben." Er legte seine Hand an sein Schwert, um seine Aussage noch deutlicher zu machen. ,,Ich schwöre, ich lüge nicht", sagte ich, ,,Und Gimli kann es bezeugen, wenn er denn wieder sprechen kann und nicht mehr bedroht wird." Der zweite Elb ließ daraufhin von Gimli ab und schlug ebenfalls die Kapuze zurück. Mir fiel auf, dass sich die beiden Elben ähnelten wie ein Ei dem anderen, nur waren die Augen des zweiten Elbs noch dunkler wie die des ersten. Gimli warf ihm einen wütenden und empörten Blick zu. ,,Ja, ich kann bezeugen, dass Oropher sein Großvater ist", sagte Gimli. ,,Wenn das so ist, werden wir Euch in die Grüne Stadt begleiten", meinte der Elb vor mir, ,,Mein Name ist übrigens Mithrellas und das ist mein Bruder Seregon." Also lag ich mit meiner Vermutung, dass die beiden Zwillinge waren, richtig. Seregon, der noch immer hinter Gimli stand, nickte mir nur kurz zu. Er schien nicht sehr gesprächig zu sein ,,Wie weit ist es noch bis nach Caras Calen?", fragte ich Mithrellas. ,,Ein Tagesmarsch für einen Elben", antwortete dieser. Dann schweifte sein Blick zu Gimli. "Allerdings könnte es mit Gimli an unserer Seite etwas länger dauern", meinte er dann. ,,Was soll das denn jetzt heißen?", fragte Gimli empört. ,,Bitte verzeiht, aber es ist nunmal die Wahrheit, dass Elben schneller und ausdauernder sind wie Zwerge", meinte Mithrellas. ,,Dafür haben wir Arod", meinte ich, ,,Gimli kann auf ihm reiten. ... Sofern wir ihn wiederfinden, denn offenbar habt Ihr ihn erschreckt und er ist durchgegangen." ,,Bitte verzeiht das, aber wir konnten schließlich nicht wissen, mit welchen Absichten Ihr hier seid. Deshalb haben wir ihn weggelockt, damit Ihr nicht mehr so schnell hättet fliehen können", erklärte Mithrellas, ,,Seregon, könntest du ihn holen?" Seregon nickte und verschwand kurz im Unterholz. Kurz darauf kame er mit Arod wieder. Der weiße Hengst kam mir freudig entgegengetrabt und stieß mich freundschaftlich an der Schulter an. ,,Dass du dich so leicht weglocken lässt, mellon...", meinte ich tadelnd, schmunzelte aber. Eine Weile später liefen wir auf dem alten Pfad weiter in Richtung Caras Calen. Gimli saß auf Arods Rücken und wir drei Elben liefen nebenher. Ich unterhielt mich mit Mithrellas und er erzählte mir ein wenig über die Grüne Stadt. Er war eine Frohnatur, das war mir jetzt schon klar, und mochte es gerne gesellig. Ganz im Gegenteil zu seinem Zwillingsbruder, wie es schien. Seregon lief die ganze Zeit über schweigend neben uns her und starrte geradeaus. Ich hatte schon versucht, mich mit ihm zu unterhalten, doch er gab nur sehr knappe Antworten, wenn er überhaupt antwortete. ,, ...Nicht wahr, Seregon?", meinte Mithrellas, nachdem er von einigen Festlichkeiten erzählt hatte, die in nächster Zeit in Caras Calen stattfinden würden. Er hatte die Festlichkeiten beinahe schon angepriesen und ich wusste, er liebte diese Feste, die vielen bunten Farben der Bänder, die die Straßen schmückten, das Gerede und Gelächter der versammelten Elben, die Musik und den Tanz. Seregon gab nur ein kurzes, unverständliches Gemurmel von sich. Mithrellas blieb stehen und mit ihm alle anderen. ,,Was ist nur los mit dir? In letzter Zeit bist du noch stiller und verschlossener wie sonst", fragte Mithrellas und sah seinen, um wenige Minuten älteren, Bruder, wie ich mittlerweile erfahren hatte, besorgt an. ,,Es ist nichts", entgegnete Seregon, ,,Also hör auf, mich so besorgt anzusehen." Mit diesen Worten lief er einfach weiter. Das war eine klare Ansage gewesen, doch ich sah, dass Mithrellas zunehmend verwirrt, aber auch misstrauisch wurde. ,,Vielleicht hat er nur einen schlechten Tag", versuchte ich, Mithrellas ein wenig zu beruhigen, aber es schien nicht viel zu bringen.¤¤¤¤¤¤¤¤
Kurze Info:
Im Lauf der Geschichte kann es sein, dass es zu unheimlichen und auch blutigen Szenen kommt. Um die unter euch zu warnen, die soetwas nicht mögen oder davon Angst bekommen oder was auch immer, kennzeichne ich diese Kapitel so:* = blutige und/oder unheimliche Szene(n) enthalten, die aber nicht wirklich verstörend oder so sind
** = blutige/unheimliche Szene(n) enthalten, die schon etwas krasser sind
[*** = nichts für schwache Nerven!!! Das wird aber höchstwahrscheinlich nicht passieren]
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Struck by Fire ⚜A Middleearth Story | Book 2⚜
FantasyDie Suche nach der Feuerrose führt Legolas und Gimli bald außerhalb der bekannten Regionen Mittelerdes, während Thranduil im Waldlandreich jeden Tag auf Legolas' Rückkehr wartet. Doch dann geschehen merkwürdige Dinge und der blinde König befürchtet...