Kapitel 26

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Von den Ergebnissen der Verhandlung zwischen den beiden Rudeln erfuhr ich zeitnahe in der Schule durch einen Anruf von Mason. Ich missachtete das Handyverbot – wie so viele andere – und entschuldigte mich nach einer Nachricht von Mason auf die Toilette, um in Ruhe mit ihm telefonieren zu können.

Er teilte mir mit, dass ich um 19 Uhr meine Patrouille wie gehabt mit Phillip starten sollte und dass Paul dazu stoßen würde. Bei Pauls Namen stellten sich meine Nackenhaare auf, aber Mason ließ keine Widerrede zu. Er erklärte mir, dass sie sich bis auf Weiteres auf offene Kommunikation zwischen den Rudeln und eine gemeinsame Außengrenze geeinigt hatten, wobei unsere Gebiete beibehalten und dort die Patrouillen zum Großteil von eigenen Wölfen abgehalten werden sollten. Falls notwendig würden wir einen Wolf mehr abstellen, um die anderen zu unterstützen, aber allein dadurch, dass die Grenze zwischen unseren Gebieten nun fürs erste unbewacht sein sollte, würden wir zum Teil entlastet sein. Gemeinsame Patrouillen an denselben Grenzen würden nicht stattfinden, da sich Mason und Xavier einig gewesen waren, dass das nur zu Problemen führen würde. In diesem Sinne sollten sich Dustin und Paul auch nicht zur selben Zeit auf Patrouille befinden.

Mason hatte des Weiteren heraus gehandelt, dass wir durch die Ausweitung der Patrouillen falls nötig das Gebiet des anderen Rudels betreten durften, sie jedoch nur im Notfall unseres durchqueren durften und sich aus dem Waldstück, das unser Wohngebiet war, fernzuhalten hatten.

Zudem sollten außerordentliche Vorkommnisse sofort dem ranghöchsten Wolf auf Patrouille mitgeteilt werden, auch wenn er vom anderen Rudel war. Die offene Kommunikation würde da zum Dienst kommen, da sie uns ermöglichte auch untereinander unsere Gedanken zu hören. Entscheidungen und Befehle sollten zeitnahe alle Wölfe erreichen und nicht einem der Rudel enthalten werden und die Alphas würden sich zu festen Zeiten treffen und besprechen.

Die Dauer des Paktes war fürs erste situativ beschränkt. Solange Ungewissheit oder gar Gefahr von dem neuen Rudel ausging, würde das Abkommen bei Befolgung der Inhalte gültig sein.

Mason klang ausgelaugt am Telefon und ich empfahl ihm, sich für eine Weile aufs Ohr zu hauen. Die nächste Zeit würde nicht einfach werden. Trotz der Einigung würden weiterhin Spannungen bestehen bleiben – vor allem zwischen Dustin und Paul. Ebenso zeigten Sarah und Kyle offen ihr Misstrauen. Mason hatte sich da besser unter Kontrolle, auch wenn es hier immerhin um seine kleine Schwester ging, die umgekommen war.

Ich bewunderte ihn für seine Standhaftigkeit. Er war wie ein Fels in der Brandung für das Rudel, der objektiv für das Beste für alle entschied. Er hatte auch was Kumpelhaftes und war immer für einen Scherz zu haben, aber er benahm sich definitiv erwachsener und verantwortungsbewusster als Dustin, der als Beta noch eine Menge zu lernen hatte. Das war jedenfalls meine Meinung. Der Typ war genauso impulsiv wie Nele, wenn sie ihren Willen nicht bekam. Sicher, es war nicht ganz unverständlich, aber ihm schien irgendwie nicht ganz klar zu sein, welche Konsequenzen sein Handeln haben könnte. Selbst als stinknormaler 19-Jähriger hätte er sich mit seinem Verhalten ohne Weiteres in die Scheiße reiten können. Dadurch, dass er – und auch meistens sein Gegenüber – ein Wolfsgebiss mit messerscharfen Zähnen besaß, nahm die Sache nochmal eine ganz andere Dimension an.

~

An diesem Nachmittag nach der Schule erlebte ich Dustin ausnahmsweise mal ganz anders in einem fast schon intimen Moment. Intim insofern, dass er für diesen einen Moment wie ein normaler Mensch erschien. Mit Gefühlen und so – bis er mich entdeckte und ohne Grund ankeifte. Also so wie immer.

Er saß mit Nele auf dem Schoß bei sich zu Hause auf der Terrasse. Am Morgen noch bevor ich zur Schule aufgebrochen war, hatte er mir eine Nachricht geschrieben. 15.00 Uhr babysitten

Ich hatte mir Phillips Worte in Erinnerung gerufen – von wegen er hat ja auch Gefühle und tief in sich drin, sehr tief, ist er eigentlich kein Arschloch, sondern hat nur eine harte Zeit durchzustehen – und mir einen Wecker auf meinem Handy gestellt. In dem Moment war mir allerdings mehr danach zu Mute gewesen, ihm den Kopf abzureißen. Ich hatte mich beherrscht und auf den Weg zur Schule gemacht. Eben, als der Wecker losgegangen war, war die Kopf-abreiß-Laune dann jedoch zurückgekehrt.

Allerdings verschwand sie jetzt schon wieder in den Tiefen meines Hinterkopfes, wo ich ihn da so sitzen sah. Nele auf seinem Schoß gluckste. Er schien leise mit ihr zu reden und sein Lächeln hatte etwas Unschuldiges, Pures. Er wippte mit den Beinen leicht auf und ab und strich der Kleinen durchs Haar. Wieder sagte er etwas und sie kicherte. Sein Lächeln vertiefte sich und sein Blick schweifte in die Ferne. Kurz darauf sah er mich. Für eine Sekunde wirkte er fast schon peinlich berührt und mich erschlich das Gefühl, bei etwas Verbotenem ertappt worden zu sein, dann zog er die Stirn kraus und wurde unfreundlich wie immer.

„Das bist du ja endlich."

„Jaja, sorry, dass ich auch noch ein Leben habe", murmelte ich augenverdrehend, aber so, dass er es nicht hören konnte.

Nele drehte ihr kleines Köpfchen zu mir und grinste breit. Sie gab Dustin einen kurzen Kuss auf die Wange und kletterte dann mit seiner Hilfe von seinem Schoß. Trotz ihrer Größe kam sie mir vor wie sechs. Tja, das Verhalten machte eine Menge aus.

Ich kniete mich hin und breitete die Arme aus. „Na, junge Dame? Wen terrorisieren wir den heute?"

„Dich!", gluckste sie frech und sprang in meine Arme.

„Das halte ich zwar für keine gute Idee, aber wenigstens bist du ehrlich", erwiderte ich grinsend.

Ich hörte ein schnaubendes Geräusch aus Dustins Richtung. Er wandte gerade den Blick ab und seinen Gesichtsausdruck konnte ich mal wieder nicht deuten. Ich beschloss ihn zu ignorieren.

„Wollen wir mal sehen, ob Onkel Mason zuhause ist?"

Nele nickte fröhlich. „Wenn nicht, können wir dann sein Bett als Trampolin benutzen?", fragte sie mich mit großen Augen.

Ich lachte. „Wenn du dann diejenige bist, die ihm das gebrochene Lattenrost erklärt."

„Was ist ein Lattenrost?", hakte sie neugierig nach.

„Die Bretter unter der Matratze."

„Ah das. Papa nennt das immer Bettgefängnis, wenn wir Polizei spielen." Sie kicherte und fügte unbedacht hinzu: „Okay, ich erklär's Onkel Mason."

Für einen Moment wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Dustin spielte also tatsächlich hin und wieder mit dem Kind. Wow. Vielleicht war er ja doch gar kein so schlechter Vater – vor allem wenn man sein Alter bedachte.

Dann stand allerdings noch zur Frage inwiefern das „Bettgefängnis" beim Polizei spielen involviert war. Ich hoffte ja insgeheim, dass Nele Dustin unters Bett sperrte und nicht anders herum. Dominant genug, um die Rolle der Polizistin zu fordern, war sie auf alle Fälle.

„Na, dann ist ja gut", äußerte ich mich dann und beschloss mir für heute nicht noch weiter Sorgen um Dustins Erziehungsmethoden zu machen, sondern froh darüber zu sein, dass Nele beschlossen hatte mit mir zu sprechen. Noch ein Punkt für mich.

SheWolf || GERWo Geschichten leben. Entdecke jetzt