Kapitel 30

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8 Stunden nach Neles Verschwinden

„Lass deine Pfoten von mir, du Idiot! Das tut zur Hölle nochmal weh!"

Dustin kam rein gestürmt, nur bekleidet in Shorts. Er ließ sich aufs Bett fallen und hielt mir den Erste-Hilfe-Kasten hin. „Sal, mach' du das. Bei Austins Grobmotorik entzünden sich die Wunden nur."

Austins Lachen war ein paar Zimmer weiter zu hören. „Siehst du, der ist kerngesund."

„Wer war das?", fragte meine Mutter alarmiert.

Ich seufzte und nahm den Erste-Hilfe-Kasten mit einer Hand entgegen. „Einer der Jungs."

„Ist er verletzt? Ich habe was von Wunden gehört."

„Ja, das ist der Zwischenfall, der mich gestern Abend aufgehalten hat", log ich schnell. „Kleiner Unfall. Halb so wild eigentlich. Er macht nur gerne eine Szene."

Dustin sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ich streckte ihm die Zunge raus und lauschte auf die Worte meiner Mutter. „Na dann ist ja gut", meinte sie gerade. „Wir haben schon gedacht, es sei was Schlimmeres passiert." Ich schluckte und sah auf den Boden. Im Hintergrund hörte ich die Stimme meines Vaters.

„Stimmt", antwortete Ma ihm. „Sag' mal Sally Schatz, solltest du um diese Uhrzeit nicht in der Schule sein?"

Verdammt. „Der erste Kurs ist heute ausgefallen", log ich wieder. „Ich mach' mich gleich auf den Weg, wenn ich hier fertig bin."

Ma seufzte. „Gut. Komm' nicht zu spät! Dein Abitur ist wichtig."

Ich verdrehte innerlich die Augen, während ich nach der Wundsalbe kramte. „Ist gut." Wir verabschiedeten uns und ich ließ mich neben Dustin aufs Bett fallen.

„So, so", sagte er spöttisch. „Der erste Kurs heute ist aufgefallen."

„Klappe", fuhr ich ihn an, aber mit weniger Nachdruck als sonst. Seine nackte Brust vibrierte aufgrund seines stummen Lachens. Ich begutachtete seine Wunden und machte mich dann ans Werk.

„Du machst das nicht zum ersten Mal", bemerkte er nach einer Weile.

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich hab' 'ne kleine Schwester, die von Inline Skates über Waveboard bis City Roller alles probiert und sich jedes Mal erfolgreich auf die Nase gelegt hat."

„Verstehe", erwiderte er und schwieg wieder. Auch ich fuhr stumm fort. Mir war bewusst, dass er nicht in die Weltgeschichte starrte sondern mich ansah, aber ich gab mein Bestes, mich nicht davon stören zu lassen. Als ich allerdings die Wunde über seiner Augenbraue behandelte, lenkte es mich dann doch ab. Ich wusste auch nichts zu sagen, um ihn von mir und meiner Arbeit abzulenken. Sonst war unser Gesprächsthema immer Nele und das war jetzt alles andere als angemessen. Mal abgesehen davon stritten wir eigentlich sowieso nur den Großteil der Zeit.

Mir war auch bewusst, dass er mich eigentlich nur so anstarrte, weil ich aussah wie Melly. Wahrscheinlich zum ersten Mal fragte ich mich, wie es für ihn sein musste, mich jetzt jeden Tag zu sehen, aber mit der harten Realität vor Augen, dass ich nun mal nicht Mel war und sie auch nie wieder durch diese Wälder hier streifen würde.

Dustin hob plötzlich seine Hand und kam damit auf mich zu. Ich hielt inne und beobachtete wie sie immer näher kam. Nur ganz eben strich er damit über meine Stirn.

„Worüber denkst du nach?", fragte er mich. „Du weißt schon, dass Sorgenfalten bleiben, oder? Nicht schön." Versuchte er hier gerade zu scherzen?

Ich sagte nichts für einen Moment. Dazu war ich viel zu überrumpelt. „Guck' dich mal lieber selbst im Spiegel an", erwiderte ich dann mit einem schwachen Grinsen und klopfte mit meinem Zeigefinger gegen seine Stirn. Dann verschwand mein Grinsen. „Ich hab' bloß drüber nachgedacht, wie's dir gerade wohl geht", sagte ich ehrlich.

SheWolf || GERWo Geschichten leben. Entdecke jetzt