Wir frühstückten in Schweigen gedeckt. Phillip hörte nicht auf ständig mit einem leichten Grinsen hochzuschauen und es fing an zu nerven. Sollte er doch bitte sagen, was ihm so Lustiges auf der Seele lag. Jetzt wo unsere Nerven sowieso alle bereits blank lagen, trieb mich das in den Wahnsinn. Auch Dustin begutachtete ihn mit einem schlecht gelaunten Gesichtsausdruck. Wenn sich unsere Blicke trafen, sah er demonstrativ weg. Ich hatte das Gefühl als hätte ich etwas verpasst, aber ich kam nicht drauf klar, was es sein könnte. Jedenfalls war ich froh, dass Dustin aß und Phillip sich irgendwann nach nebenan in mein Zimmer verabschiedete und mit Mason um die Wette schnarchte.
Ich war hellwach, da ich vorhin doch noch gut vier Stunden Schlaf bekommen hatte und das fürs Erste reichen würde. Also beschloss ich aufzuräumen. Geschirr hatte sich in den letzten Stunden eine ganze Menge angesammelt und auch ansonsten kam es mir plötzlich so vor, als wäre das Häuschen zu einem Saustall mutiert. Ich war froh, dass ich etwas zu tun hatte.
Dustin sah mir eine ganze Zeit lang stumm zu, doch als ich nach einer Weile wieder die Küche betrat, fand ich ihn mit dem Kopf auf seine Unterarme gesunken schlafend vor. Zum ersten Mal seit Stunden sah er tatsächlich friedlich aus. Die Wunde über seiner Augenbraue hatte schon angefangen zu heilen und seine Dreads vielen aus dem unordentlichen Dutt auf seine Stirn. Überrascht stellte ich fest, dass er nicht schnarchte wie der Rest des männlichen Teils des Rudels – jedenfalls nicht in dieser Position.
Ich ließ ihn liegen und bewegte mich nun noch einen Ticken leiser vorwärts. Trotz der Ablenkung wurde ich von Minute zu Minute unruhiger. Das Putzen und Aufräumen ließ mir viel zu viel Raum zum Denken, aber meine Kopfhörer wollte ich auch nicht benutzen, aus Angst möglicherweise einen Alarm zu überhören.
Warum kehrte Pascal nicht zurück? Warum war auch sonst nichts zu hören? Was war Marcels Ziel? Wieso gab es keine Hinweise auf seine Intention oder sein Versteck? Und noch viel wichtiger: Ging es Nele gut?
12 Stunden nach Neles Verschwinden
Gegen halb zwölf dann hörte ich wie Masons Schnarchen unregelmäßiger wurde, was bedeutete, dass es nicht mehr lange dauerte, bis er aufwachte. Ich beschloss etwas zu essen zu machen, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass er seit gestern Abend viel in den Magen bekommen hatte. Und ich sollte Recht behalten.
Mit leuchtenden Augen betrat er wenig später die Küche. „Boah, ich verhungere."
„Kann ich mir vorstellen. Warte noch kurz, dann bin ich fertig."
„Gut. Ich kümmere mich dann so lange um den hier." Er hievte Dustin so vorsichtig wie möglich hoch und beförderte ihn in sein Zimmer.
„Hast du ihm was eingeflößt, oder warum ist der so ausgeschaltet?", fragte er mich bei seiner Rückkehr.
Ich zuckte mit den Schultern. „Muss die Erschöpfung sein."
Ich servierte das Essen und schon stürzte sich Mason drauf. Lächelnd beobachtete ich ihn. Ich nahm mir auch etwas, aber beließ es bei einer kleinen Portion. Mein Appetit war derzeit nicht das, was er einmal gewesen war. Mason dagegen schlug sich den Magen voll. Erst bei den letzten paar Happen wurde er langsamer und starrte teilweise sekundenlang bewegungslos Löcher in die Luft.
„Was ist?", riss ich ihn aus seinen Gedanken.
Er zuckte leicht zusammen und blickte mich an. „Nele", erwiderte er kurz angebunden. „Ich mach' mir Sorgen."
Ich begutachtete die Maserung des Tisches. „Ich weiß. Mir geht's genauso. Ich wünschte, Pascal würde bald mit guten Neuigkeiten zurückkehren."
„Wir müssen sie finden", sagte Mason verkrampft, fast schon wie in Trance. „Ihr darf nichts zustoßen. Das bin ich Mel schuldig."
Ich schluckte bei den Worten. „Damit hat keiner gerechnet, Mason. Hätte auch keiner gekonnt. Niemand hätte das verhindern können. Und wenn, dann jemand vom anderen Rudel, indem sie Marcel – was weiß ich wie – aus dem Verkehr gezogen hätten."
„Wir haben sie ungeschützt gelassen", protestierte Mason schwach.
„Ganz ehrlich: Sie war im Obergeschoss eines verschlossenen Hauses, mitten in unserem Revier, und mit zwei Menschen anwesend. Sag bloß ich bin die einzige, die niemals gedacht hätte, dass sich einer an die Kleine ran trauen würde. Allein bei Dustins Temperament."
Mason lachte humorlos auf. „Ich weiß. Das ist alles so surreal. Marcel ...", er stieß die Luft aus und suchte nach Worten, „ich weiß nicht, ob ich mich zusammenreißen kann, wenn ich ihn sehe. Nach Mels Tod war ich mehr damit beschäftigt Dustin unter Kontrolle zu kriegen, als das ich selbst trauern konnte. Pauls Anblick hat mich nahezu kalt gelassen. Ich hab' einfach nichts gefühlt. Das konnte ich nicht verantworten. Ich hab' versucht meine Fahrlässigkeit wieder gut zu machen und ein guter Alpha zu sein ... nach den letzten Ereignissen erschleicht mich aber mehr und mehr das Gefühl, versagt zu haben."
„Ach, quatsch. Mason, du bist ein super Alpha. Wenn wir dich nicht hätten, würde alles drunter und drüber gehen. Das hier ist nicht deine Schuld und Mels Tod war es ganz bestimmt auch nicht. Wer auch immer das sagt, ist ein Idiot."
Er schwieg auf meine Worte und ich merkte, dass er versuchte mir zu glauben. Er hatte wohl mit das schwerste Los gezogen. Während sich alle mit ihren Sorgen und Problemen an ihn wendeten, musste er sich gegenüber den anderen verschließen.
„Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn alle es gewusst hätte. Dass sie meine Schwester ist, meine ich", sagte er dann leise. „Keiner hätte sich getraut sie anzurühren – wahrscheinlich nicht mal Dustin. Keiner legt sich mit der kleinen Schwester des Alphas an."
„Wer weiß das schon. Guck' dir Marcel an. Der Psychopath hat den kleinen Bruder seines Betas getötet. Ein Rudelmitglied. Solche Menschen kennen keine Grenzen." Ich strich ihm behutsam über den Arm. „Da bekommt der Begriff Tier eine ganz andere Bedeutung."
„Trotzdem war es die falsche Entscheidung. Ich hätte sie besser beschützen müssen."
„Mason. Ich will nicht behaupten, dass ich Melly in irgendeiner Weise gekannt hab' oder nachvollziehen kann, warum sie was gemacht hat, aber von dem, was ihr mir erzählt habt, hab' ich den Eindruck bekommen, dass es die richtige Entscheidung war. Meinst du nicht, ihr wäre eine Last mehr zu tragen gegeben worden, wenn sie gewusst hätte, dass sie die kleine Schwester des Alphawolfes ist? Das ist mit Erwartungen verbunden und sie schien das alles nie gewollt zu haben, also vielleicht war es besser so, verstehst du?"
Wieder schweig er eine ganze Zeit. „Vielleicht hast du Recht. Und jetzt ist es eh zu spät." Ich sah die Träne seine Wange runter rollen, noch bevor er sie vor mir verbergen konnte. Ich beugte mich zu ihm herüber und schloss ihn sanft in die Arme. Für einen Moment verkrampfte er sich, doch nur wenig später schien er sich zu entspannen.
„Danke", murmelte er irgendwann.
Ich lächelte, auch wenn er es nicht sehen konnte. „Das ist das mindeste, was ich tun kann." Ich erinnerte mich noch an den Tag, an dem wir uns zum ersten Mal getroffen hatten. Eigentlich war es noch gar nicht so lange her, aber es kam mir vor wie Jahre. Ich hatte ihn anfangs für eingebildet gehalten - und unglaubwürdig, angesichts der Tatsache, was für eine verrückte Story er mir damals einfach so mir nichts dir nichts aufgetischt hatte -, aber heute sah ich das anders. Er hatte eine Menge Verantwortung auf seinen Schultern zu tragen und die Schuldgefühle mussten ihm das Leben schwer machen. Er tat mir leid, aber das änderte nichts an dem Respekt, den ich ihm gegenüber verspürte.
Jemand räusperte sich lautstark an der Tür. Erschrocken fuhren Mason und ich auseinander.
Dustin musterte uns mit nichts als Eiseskälte in seinem Blick, der an mir hängen blieb. „Wir müssen reden."
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SheWolf || GER
مستذئب// NICHT ÜBERARBEITET // Sally führt ein eher schlichtes Leben mit Adoptiveltern und einer nervigen kleinen Schwester. Zufällig findet sie auf einer Klassenfahrt heraus, dass sie eine Zwillingsschwester hat - beziehungsweise hatte! Sie starb kurz vo...