Kapitel 9

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„Sally McDonald! Herein mit dir! Aber sofort!" Überrascht zuckte ich bei der Stimme meines Lehrers zusammen. Scheiße. Ich hatte mir echt Mühe gegeben erneut unbemerkt in die Jugendherberge hinein zu kommen, aber scheinbar nicht genug. Oder die Lehrer hatten bei der abendlichen Kontrolle meine Abwesenheit bemerkt und darauf geschlossen, dass ich Nele wegbringen würde. Larissa und Julie hatten das wahrscheinlich auch noch bestätigt. Das Problem lag nur darin, dass seit zehn Uhr Ausgangsperre war und die Uhr über dem Fahrstuhl der Jugendherberge halb zwölf las.

„Wo warst du?", fragte er stinkwütend und funkelte mich durch seine übergroße Brille an.

„Ich würde lügen wenn ich sagen würde, ich wäre auf Klo gewesen, aber ich denke sie wissen, dass ich heute unfreiwilliger Maßen babysitten musste. Also warum fragen sie überhaupt wenn sie schon wissen, dass ich das Kind wieder abgeben musste?"

Er schnappt entsetzt nach Luft. „So eine Frechheit", brummelte er wütend und dann etwas lauter: „Aber sicher nicht bis fünfundzwanzig vor Mitternacht!"

„Ähm doch, sehen Sie ja."

Sein Kopf ähnelte langsam aber sicher immer mehr einer Tomate. Ups, ich sollte das mit dem provozieren lieber nur auf Dustin beschränken. „Du kannst froh sein, dass wir morgen schon zurückfahren, sonst würde ich dich jetzt in ein Taxi setzten!", fuhr er mich an und scheuchte  mich mit einer Handbewegung in den geöffneten Fahrstuhl.

„Machen Sie doch was sie wollen", murmelte ich, sodass er es nicht hören konnte und wir fuhren schweigend in unser Stockwerk.

„Morgen will ich dich pünktlich beim Frühstück sehen! Das gibt noch ein Nachspiel, Fräulein!", rief er mir drohend hinterher und ich verdrehte die Augen. Ja, ja, irgendwer muss ja den Abwasch machen, wenn das Personal der Jugendherberge unterbesetzt ist. Mason und Co. für die blöde Versammlung verfluchend, schlich ich in mein Zimmer und schloss die Tür leise hinter mir ab.

Sofort wurden die Lampen über Julia und Larissas Bett angeknipst und sie setzten sich wie von der Tarantel gestochen auf.

„Und?", fragte Julia grinsend

„Was und?", erwiderte ich seufzend. Ich hätte es wissen müssen.

„Wie war das Make-Out mit Neles Daddy?", löcherte mich Larissa mit einem verschmitzten Grinsen.

  „Ist 'Make-Out' ein neuer Begriff fürs Fresse polieren?", hakte ich nach.

  „Quatsch! Wir wollen wissen, ob du was mit ihm hattest!"  

Ich bekam einen Hustenanfall, den man auch mit Brechreiz vergleichen konnte. „Nein danke, ich verzichte", brachte ich schließlich angewidert heraus. Allein schon der Gedanke.

„Noch lieber würde ich mit einem Baum rummachen..."

„Einem Baum? Iih nee!"

„Häh?", fragte ich und dann ging mir auf, dass ich meine Gedanken laut ausgesprochen hatte.

„Warum denn? Ist er alt und fett?", fragte Julie verwirrt.

„Nein, jung und arrogant", erwiderte ich und seufzte genervt. „Themenwechsel bitte."

„Aber jung und gutaussehend ist wichtiger als arrogant", protestierte Julia und ignorierte meine Aufforderung.

„Ich hab nichts von 'gutaussehend' gesagt", schnauzte ich und sie riss geschockt die Augen auf. „Sorry", murmelte ich sofort reuevoll mit einem Blick auf Larissas ebenfalls geschocktes Gesicht. „Bin ein bisschen reizbar heute."

„Schon okay", beruhigte mich Julia. „Man kriegt ja nicht jeden Tag ein kleines Kind aufgebrummt."

Ich lächelte beide flüchtig an und verschwand ins Bad um zu duschen. Gott sei Dank waren sie verständnisvoller als ich es verdient hatte.

Das Verwandeln war anstrengender als erwartet und das merkte ich gut. Mal abgesehen davon, dass es ungewohnt war, ließen meine Knochen mich spüren wie hart das verformen war. Muskelkater war noch ein untertriebener Begriff. Ich hatte das unbestimmte Gefühl das ich heute Nacht sehr gut würde schlafen können.

~

„Mädels aufstehen! In einer halben Stunde gibt es Frühstück und in einer Stunde will ich eure vollständig gepackten Koffer im Bus sehen, klar?", weckte mich der genervte Ausruf unseres Lehrers. Verdammt. Das war mal eine nette Art geweckt zu werden. Und die Kopfschmerzen machten es auch nicht besser.

„Jaja wir sind schon lange wach", hörte ich Larissa erwidern und auch wenn meine Augen noch geschlossen waren, wusste ich, dass sie ihre bei der Aussage theatralisch verdreht hatte.

„Ach sind wir?", murmelte ich verschlafen. Mir wurde die Bettdecke weggerissen.

„Ja sind wir", grinste mir Julia munter entgegen und tatsächlich rannten die zwei schon hektisch durchs Zimmer, vollständig in Alltagsklamotten bekleidet und packten ihre Koffer. Es war wohl überflüssig zu erwähnen, dass ich kein Morgenmensch war.

„Los, hopp, hopp jetzt Schätzchen, du willst doch nicht schon wieder zu spät kommen", forderte Larissa mich augenzwinkernd auf. Warum zur Hölle waren die beiden so früh schon so energiegeladen?

„Gestern war es nicht mein Wecker, der nicht geklingelt hat", konterte ich und ließ ein grinsen zu.

„Jaja, aber deinen hast du auch nicht gestellt!", feuerte sie schmollend zurück. „Und jetzt ab ins Bad. Ich fang' schon mal an deine Sachen zu packen."

Ich wuschelte ihr durch die Haare. „Was würde ich nur machen wenn ich euch nicht hätte?"

„Verrotten", kommentierte Julia vor ihrem Koffer kniend, während Larissa ihre Haare richtete.

„Ha ha", bemerkte ich trocken, aber wenn man es ein bisschen netter ausdrücken würde hatte sie wohl Recht.

~

„Immer mit der Ruhe, Süße", begrüßte uns Sarahs Stimme sobald wir den Speisesaal betraten. Irgendwie hatte ich gehofft, dass sie heute nicht hier aufkreuzen würde. Auf jeden Fall würde ich mir Nele – so süß sie und wie nahe verwandt wir auch waren – nicht noch einmal anschwatzen lassen.

„Ja, aber hallo! Siehst du, du alles aufgegessen! Konntest gar nicht genug davon kriegen, was? Und dein Daddy erzählt mir, du hättest keinen Hunger?", plapperte Sarah auf Nele ein. Sie saß mit dem Rücken zu uns und bemerkte erst, dass ich hinter sie getreten war, als Nele begeistert in die Hände klatschte und sich nach mir ausstreckte. Vorsichtig nahm ich sie auf den Arm.

„Hey Sarah, hey Nele!" Etwas leiser fügte ich an das Kind in meinem Arm hinzu: „Sei so lieb und stopf ihr das Maul wenn du die Weltherrschaft übernimmst." Sie grinste freudestrahlend. Ich grinste zurück. Sarah war schon länger in diesem Geschäft und sollte eigentlich wissen, dass man sie nicht verhätscheln brauchte, da ihre Gedanken schon auf dem Niveau eines Erwachsenden zu sein schienen.

„Kannst du sie heute wieder ...", begann Sarah und lächelte entschuldigend.

„Nein", unterbrach ich sie und schüttelte den Kopf. „Wahrscheinlich hast du es gestern nicht mitbekommen, weil du mit Austin geknutscht hast, aber ich fahr' gleich nach Hause. Genauer gesagt in ungefähr einer halben Stunde und ich steh nicht so auf Anzeigen wegen Kindesentführung. Sag ihrem Arschloch von Vater, er soll mal nachdenken wo seine Rolle in dem ganzen Schauspiel ist und mich in Ruhe und Frieden meine Klassenfahrt beenden lassen, okay?"

Nele kicherte – ja sie war verdammt schlau, da merkte man es wieder – und auch Sarah grinste breit. „Danke!"

Ich runzelte die Stirn. „Das wollte ich ihm schon immer mal sagen! Aber jetzt kommt es ja von dir und ich bin nur die Botin!"

Ein Wort: Verdammt. Erweiterung: Aber er hat es verdient das mal zu hören zu bekommen!

SheWolf || GERWo Geschichten leben. Entdecke jetzt