Kapitel 13 || Cathleen

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Sam und Dean saßen mir gegenüber in den beiden Sesseln in Michaels Büro, der immernoch nicht wieder zurückgekehrt war. Wir hatten die Polizeisirene von draußen gehört und ein Blick aus dem Fenster ermöglichte mir, einen Leichenwagen in die Einfahrt der RAD einbiegen zu sehen.
Ich hatte es mir in Michaels Bürostuhl gemütlich gemacht und meine Füße auf seinem Schreibtisch hochgelegt. Die silbernen Schnallen meiner Bikerstiefel glänzten im Licht der Mittagssonne, die durch das große Fenster hinter mir fiel.
"Wann hat sie dir das gesagt?" Sam sah mich an, anders als Dean, der seinen Blick gesenkt hielt und durch Michaels altes Fotoalbum blätterte.
"Gestern." antwortete ich knapp. Meine Stimme brach, denn diese Rolle zu bekommen, war mein Todesurteil.
"Können wir nicht einfach Michael sagen, dass du die Rolle nicht willst, oder du meldest dich einfach krank?"
Seine hoffnungsvolle Stimme ließ meine Augen glasig werden. Dann erhob Dean das erste mal seit längerer Zeit die Stimme.
"Das wird nicht möglich sein. Irgendwie wird es sie trotzdem treffen." Er sah seinen Bruder ernst an.
"Ein Geist tut, was er will." murmelte Dean, als er sich wieder dem Album widmete.
Ich fuhr mir durch die Haare. Irgendetwas musste man doch tun können.

"Okay", meine aufgeregte Stimme durchbrach eine unangenehme Stille, "Cathleen ist anscheinend meine Tante. Und Victor unser Mördergeist. Wenn sie versucht, mich zu warnen, ist es möglich, dass sie weiß, wie man Victor besänftigen kann."
Ich nahm meine Füße von dem Schreibtisch herunter und stand auf. An den Regalen blieb ich stehen und ließ meinen Blick auf den beiden Winchesters ruhen. Auch Dean sah nun auf und legte das Album zur Seite.
"Einen Versuch ist es wert." meinte Sam. Ich nickte. Mir war flau im Magen und meine Hände zitterten, doch ich musste mich konzentrieren.
"Sam", ich fixierte den jüngeren Bruder, "wo ist Cathleen gestorben? Hast du das herausfinden können?"
Der Mann nickte und antwortete mir schnell.
"Auf der Bühne im Altbau."
Nachdenklich kaute ich auf meiner Lippe herum, bis mich der metallische Geschmack von Blut zurück in die Realität holte. Ich unterdrückte einen Kotzreiz.
"Die Bühne wird nichtmehr benutzt, sie müsste für mich allerdings frei zugänglich sein."
Es gab nur eine Möglichkeit, mit Sicherheit auf Cathleen zu treffen; der Ort an dem sie gestorben war. Ich spürte, dass sie dort war, auf mich wartete. Meine Tante wollte mir das Leben retten.
"Dann los. Wir dürfen keine Zeit verlieren, Victor kann dich jederzeit auch holen kommen." Dean stand auf, ich tat es ihm gleich, kam zu mir rüber und legte mir eine Hand auf die Schulter.
"Wir lassen dich nicht sterben, Evanna."
Für einen Moment vergaß ich, dass Sam in dem Raum war. Himmel, ich vergaß sogar, dass ich mich in Michaels Büro befand. Die grünen Augen, in die ich sah, hielten mich fest. Ich wagte kaum zu atmen, aus Angst, Dean könne bei der kleinsten Bewegung seine Augen von mir lösen.

Ich hatte viel durchgemacht.
Vampire, Dämonen, Geister, doch nie zuvor hatte es ein Geist genau auf mich abgesehen. Ich fühlte etwas, das mir so fremd vorkam, das ich so lange nicht mehr richtig gespürt hatte:
Angst.
Ja, ich hatte Angst. Das letzte Mal war mein Vater an meiner Seite gewesen. Er nahm mir die Angst, doch jetzt war er nicht da. Ich war alleine. Ich schloss die Augen und ließ meinen Kopf hängen. Eine Träne fiel auf den braunen Teppichboden. Meine Hand umfasste Deans auf meiner Schulter und ohne weiter zu zögern, schlang ich die Arme um ihn und legte meinen Kopf gegen seine Brust. Er zögerte, legte seine Hand dann jedoch auf meinen Rücken und streichelte sanft mit der anderen kaum merkbar meinen Kopf. Ich vermisste meine Eltern sosehr. Dabei kam ich mir vor, wie ein kleines Kind, doch es war mir egal. Meine Mutter hatte mir beigebracht, dass es okay war, Angst zu haben. Besonders wenn man so einen Job erledigte wie mein Vater und ich. Sie hatte es immer gut gehabt. Beth Desjardin kam aus einer Familie von Entertainern. Ihre Mutter, eine begnadete Tänzerin und ihr Vater, ein Musiker. Ich lernte meine Großeltern nie kennen, da sie früh starben, jedoch hörte ich nur Gutes von ihnen.
Ich löste mich aus der innigen, fast intimen, Umarmung und setzte mich zögerlich wieder in den Sessel.
"Dann sollten wir Cathleen finden."
Mit meinem Ärmel wischte ich mir die Tränen weg. Mein Blick wurde ernst, ich verdrängte die Angst, denn ich war nicht alleine. Ich hatte Sam und Dean. Beide sahen mich besorgt an, doch ich versicherte ihnen, dass ich es durchziehen wollte. Diese Sache wurde soeben persönlich.

Zentimeterhoher Staub lag auf den gestapelten Stühlen im alten Tanzsaal. Nur ein Scheinwerfer von den vieren, die über der Bühne hingen, funktionierte, als ich den dafür zuständigen Schalter betätigte.
"Nett hier." meinte Dean. Sam hustete und wirbelte mit seiner rechten Hand den Staub vor seiner Nase weg. Ich ging den Weg, der durch die gestapelten Stühle links und rechts von mir entstanden war, entlang. Langsam und wachsam. Meine Stiefel hinterließen Spuren auf den Treppen zur Bühne. Als ich mich in der Mitte positioniert hatte, sah ich kurz zu den beiden Brüdern. Dean hatte eine mit Steinsalz gefüllte Kanone am Gürtel, die wir eben aus dem Impala geholt hatten. Auch ich hatte eine genommen und sie ebenfalls an meinen Gürtel gesteckt.
Nichts geschah.
Ich ging auf der Bühne herum und sah sie mir genau an, die Hand immer auf der Waffe. Man konnte nie vorsichtig genug sein, besonders als Jäger. Das hatte ich besonders zu spühren bekommen, als ich die beiden Winchesters kennenlernte. Sie waren mißtrauisch mir gegenüber gewesen, doch dies legte sich mit der Zeit.
"Cathleen?", fragte ich leise, "Bist du hier?"
Für eine lange Zeit passierte nichts und ich gab die Hoffnung schon auf, da trat eine zierliche, blasse Gestalt aus dem Schatten in das schwache, leicht flackernde Licht des einzelnen, fast kaputten, Scheinwerfers.
Ich hörte, wie Dean die Waffe bewegte, doch ich machte ihm mit einer Handbewegung klar, ruhig zu bleiben und nichts unüberlegtes zu tun.
"Cathleen...du...wusstest du, wer ich bin, weil du die Schwester meiner Mutter bist?"
Ein leichtes, kaum merkliches Nicken als Antwort genügte mir.
Ich kam einen Schritt auf sie zu und sie tat es mir gleich. Cathleen streckte eine Hand nach mir aus und lächelte leicht. Als sie meine Wange berührte, wich jegliche Angst aus mir.
Sie führte ihre Lippen an mein Ohr und flüsterte mir etwas zu.
.Meine Augen weiteten sich bei ihren Worten.
"Aber...das ist..." ich musste mich davon abhalten, zu protestieren und lauschte weiter meiner Tante.
Ich nickte kurz, versicherte ich ihr, dass ich es tun würde.
"Pass auf dich auf, Evanna." keuchte sie zum Schluss und entfehrnte sich anschließend wieder von mir. Ich wollte sie fest halten, sie in den Arm nehmen, doch ich wusste es besser. Es ging nicht, sie war ein Geist und ich lebendig. Ich bemerkte nicht, dass Dean ebenfalls auf die Bühne gekommen war.
"Was hat sie gesagt?" fragte er und fixierte die Stelle, an der eben noch der Geist meiner Tante stand.
"Victor hat die Morde wirklich begangen. Als Rache dafür, dass er nie mit Cathleen tanzen konnte, da sie umgebracht wurde.", ich drehte mich um, "Rache an Michael, weil er sie umgebracht hat."

November Rain//Dean WinchesterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt