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Ich taste mich weiter durch die Scheune, immer leise, wer weiß, was hier außer mir noch ist. Das Messer halte ich in der Hand, zustechen kann jeder. Ich laufe auf kleinen Steinchen, jedes Mal, wenn ich welche wegkicke, bleibe ich wie erstarrt stehen. Wo ist Jimmy? Ist er vielleicht schon tot? Super, Lilly, du hast es geschafft, Joannes Anweisungen schon mal zu missachten! Um mich herum ist nur Gerümpel. Jedenfalls soweit ich das im Zwielicht erkennen kann. Trotzdem bin ich darauf gefasst, dass jederzeit ein anderer Tribut oder eine Mutation daraus hervorspringen könnte. Ich muss zugeben, dass ich dann schlechte Chancen hätte, aber zumindest kann ich versuchen, mich zu verteidigen. Ich gehe also weiter durch die Scheune, da sehe ich, dass rechts von mir ein weiterer Abschnitt ist. Und dort, nah an der Wand sehe ich etwas grünes. Ohne Zweifel: Da ist ein Tribut. Er hat mich noch nicht bemerkt, aber es könnte jeden Moment so weit sein. Ich hocke mich so leise wie möglich hin, jedoch fliegen ein paar Steine von ihren ursprünglichen Plätzen weg. Der Tribut wendet kurz den Kopf, aber ich kann sein oder ihr Gesicht nicht erkennen. Gerade rechtzeitig ducke ich mich hinter einer ungefähr ein Meter hohen Pappe. Soll ich ihn angreifen? Oder soll ich versuchen, unbemerkt von hier zu verschwinden? Hätte der Tribut eine Waffe, würde er sie dann nicht schon längst in der Hand halten? Ich beschließe, es zu riskieren. Mein Griff schließt sich fester um das Messer, dann springe ich aus meinem Versteck hervor. Ehe der Tribut reagieren kann, hat er mein Messer an der Kehle. Jetzt kann ich mir das angsterfüllte Gesicht genauer anschauen. Ich erkenne es sofort. Es ist der Junge aus Distrikt 7. "Bitte nicht", fleht er. "Was sollte mich davon abhalten?", frage ich so kühl wie möglich. Ich weiß, was mich davon abhält, ihn zu töten. Dass ich es mir nie verzeihen würde, einen unschuldigen Menschen umgebracht zu haben. "Ja, was eigentlich?", fragt der Junge. "Früher oder später muss ich sowieso sterben, damit dein Bruder überleben kann, richtig?" Ich wende den Blick ab. Aber er redet weiter. "Ich bin Alex. Und ich brauche ganz dringend Verbündete. Aber wenn du mich gleich töten willst... ich hätte euch nämlich ziemlich gut helfen können. Ich kann Bogenschießen. Und außerdem weiß ich, was das Vorbild für die Arena ist." "Das weiß ich auch", sage ich verächtlich,"Distrikt 12. Und übrigens: Was beweist, dass du mich nicht sofort tötest, wenn ich dich jetzt hier rauslasse?" "Vielleicht, dass ich keine Waffe habe? Aber ich weiß, wo dein Bruder hin ist." Das lässt mich aufhorchen. "Echt?" "Wenn du jetzt so freundlich wärst, mich hier rauszulassen, würde ich auch mit dir hingehen. Also, was sagst du?" Ich frage mich, was Joanne jetzt denkt. Ob sie mir raten würde, mich mit ihm zu verbünden oder ob sie sagen würde, dass ich ihn besser jetzt töten soll, wo ich eine Chance dazu hab. Ich mustere ihn. Er ist ziemlich groß und ich habe ihn sehr muskolös in Erinnerung. Wenn das stimmt, was er sagt, könnte er uns tatsächlich eine Hilfe sein. Heute muss ich wirklich zu viele Entscheidungen treffen. Aber ich beschließe, es zu riskieren und nehme das Messer von seiner Kehle weg. "Okay. Ich bin übrigens..." Alex winkt ab. "Ich weiß, ich weiß. Lass uns lieber etwas Sinnvolles tun!" "Wo ist Jimmy denn nun hin?", frage ich ungeduldig. "Alles mit der Ruhe. Was hast du vom Füllhorn gekriegt?" Ich zeige ihm die Nahrung und das Messer. Er hat einen Rucksack mit einem Schlafsack und ein paar Handschuhe vorzuweisen. Relativ wenig für einen so trainierten Tribut. "Wie alt bist du eigentlich?", frage ich. "Siebzehn. Du bist fünfzehn, ich weiß. Lass uns jetzt zu deinem Brüderchen gehen." Er lächelt mich kurz an, dann ist da wieder die steinharte Fassade. Ich kann mich nicht geirrt haben, das Lächeln habe ich bei der Eröffnung gesehen. Und bei den Interviews. Wieso er das gemacht hat, weiß ich nicht, aber ich kann mich nicht getäuscht haben. Sein Lächeln gefällt mir. Er gefällt mir insgesamt ganz gut. "Wie heißt er gleich?" "Nenn ihn einfach Jimmy." "Jimmy ist in die entgegengesetzte Richtung gelaufen, das habe ich gesehen. Ich weiß nicht, ob er die Arena schon erkannt hat. Der schnellste Weg jedenfalls geht über das Füllhorn. Jetzt ist die Frage, ob wir es jetzt schon wagen, obwohl sie noch kämpfen oder..." "Wir gehen", unterbreche ich ihn. "Jetzt." Etwas verwundert gibt er sein Okay. "Komm. Kannst du Messerwerfen?" "Nein, leider nicht." "Dann behalte ich es", sage ich. Ehrlich gesagt bin ich ziemlich froh, unsere einzige Waffe nicht aus der Hand geben zu müssen. Was Jimmy wohl zu unserem neuen Verbündeten sagen wird? Falls er überhaupt noch am Leben ist. Diesmal nicht so vorsichtig gehe ich den Weg durch die Scheune zurück, Alex folgt mir. "Wie willst du eigentlich an einen Bogen kommen?", frage ich ihn auf dem Weg nach draußen. "Lass das meine Sorge sein. Wenn du mir am Füllhorn dein Messer gibst, besorg ich mir einen." "Mach was du willst, solange ich das Messer nachher wiederkriege."

Die Tribute von Panem: Tödliche Entscheidung Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt