Epilog

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"No matter what they take from me, they can't take away my dignity, hat einmal eine amerikanische Sängerin gesungen. Sie ist schon lange tot und eigentlich soll man über Tote nichts Schlechtes sagen. Aber ich muss sagen, dass das, was sie da verbreitet hat, eine Lüge ist. Denn weiter heißt es: Because the greatest love of all is happening to me und dem kann ich in meinem Fall nicht widersprechen. Aber meine Würde wurde mir genommen. Meine Würde wurde mir in dem Moment genommen, als man mich zwang, einen der beiden Personen zu töten, die ich über alles liebe. Ich habe mich für Jimmy entschieden. Vielleicht war es ein Fehler. Wahrscheinlich war es ein Fehler. Aber ich kann es nicht mehr rückgängig machen. Und meine andere Wahl wäre es gewesen, Alexander Frazier aus Distrikt 7 zu töten, in den ich mich während der Hungerspiele auf unklärliche Weise verliebt habe. Natürlich, ich hätte auch nichts tun können. Aber dann hätten sich die Spielmacher einen ausgesucht. Oder beide getötet. Vielleicht uns alle drei. Mein Ziel war es gewesen, seit der Name Jim Eisenberg bei der Ernte ausgerufen wurde, Jimmy überleben zu lassen. Ich wollte, dass er ein glückliches langes Leben hat. Genau das Gleiche wollte er für mich erreichen. Nur habe ich Fehler gemacht. Viel zu viele Fehler. Ich habe ihn kaum noch beachtet, nicht darauf geachtet, wie er sich fühlt. Und als Jimmy erfahren hat, dass ich mit Alexander Frazier zusammen bin, hat er mir nicht mehr vertraut. Und er hat die Lust am Leben verloren. Immer, wenn ich mit ihm geredet habe, hatte ich das Gefühl, ich rede mit einem Fremden. Das war nicht mehr der Jimmy, den ich kannte. Er hat keine Witze mehr gemacht. Er sah traurig aus. In seinen schönen blauen Augen fehlte der Glanz. Ihm fehlte die Hoffnung. Aber ich habe mir geschworen, ihn trotzdem nach Hause zu holen. Aber als ich dann da stand, umgeben von Feuer, neben mir zwei Jungen, der eine mein Bruder und der andere mein Freund, habe ich aus dem Gefühl entschieden. Ich will gar nicht behaupten, dass ich daran gedacht hätte, wie traurig Jimmy in den letzten Tagen war und dass er das Leben satt hat, denn das wäre genauso eine Lüge wie dass man mir nicht meine Würde wegnehmen kann. Ich habe an mich gedacht, wie schon so oft. Und jedes Mal, wenn ich an mich gedacht habe, habe ich jemand anderen verletzt. Ich hätte mich freuen sollen. Dass unsere Familie doch wieder komplett sein kann. Dass wir nach Hause können. Zusammen. Eigentlich ist es mehr, als ich mir je erhoffen könnte. Aber ich habe nicht an meine Familie gedacht. Ich habe nur daran gedacht, wie schmerzhaft es wäre, Alexander zu töten. Und dann habe ich mich für die andere Möglichkeit entschieden.
Ich weiß, dass das, was ich getan habe, falsch war. Ich weiß, dass ich bestraft werden müsste. Ich weiß, dass ich selbstsüchtig und unmenschlich bin. Und dass ich mich in keinster Weise verteidigen kann. Alles, was ich sagen kann, ist, dass es keine schlimmere Bestrafung gibt, als jede Nacht aufs Neue zuzusehen, wie man seinen Bruder ermordet."

Das erzähle ich den Menschen vor mir. Hinter mir ist der braune Sarg mit Jimmys Körper darin. Jimmys totem Körper. Gleich wird er zu Grabe getragen werden.

Die Tribute von Panem: Tödliche Entscheidung Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt