Ich atme die Waldluft tief ein. Das habe ich gebraucht. Keine Medizin kann das Gefühl von Wald ersetzen. Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. Breiter, als ich je dachte, dass ich lächeln kann. Ich breite die Arme aus, bereit, alle zu ignorieren und einfach zu entspannen. Viel erkennen kann ich nicht, aber es reicht aus, um zu sehen, wie Jimmy auch lächelt. Er schaut mich an. Dann hebt er mich hoch. Ich muss lachen. Das letzte Mal hat Jimmy mich hochgehoben, als wir ungefähr sechs waren. Wie lange das schon her ist...
Alex scheint nur von uns beglückt zu sein, nicht von der vollkommenen Schönheit der Natur. Jimmy setzt mich wieder auf dem Boden ab.
Mein Lächeln verschwindet auch nicht, als wir weitergehen. Aber ich spüre den Durst. Wieder einmal. Ich muss zwar erst einen Tag ohne Wasser auskommen, aber wir sind heute die ganze Zeit gelaufen. Ich bin sowieso schon geschwächt, der Wassermangel hilft auch nicht besonders bei dem Heilprozess meiner Wunde. Nach einer Weile bleibt Jimmy, der schon die ganze Zeit vornewegläuft, vor einer Reihe von dichten Büschen stehen. "Hier sieht es gut aus", sagt er. "Was willst du denn hier?", frage ich. "Na schlafen", er rollt mit den Augen. "Hier sind wir gut geschützt und die Blätter schützen uns vor Regen." Da hat er recht. "Worauf wartest du denn dann noch?", frage ich ungeduldig. "Auf Alex' Zustimmung. Alex?" Eine Hand kommt aus den Blättern. Ich zucke zusammen, dann erkenne ich, dass es Alex ist. "Schnell, kommt hier rein", flüstert er. Jimmy und ich brechen durch die Büsche, schon das zweite Mal heute, dass ich von Laub umgeben bin. "Was denn?", frage ich leise,"ist es zufällig Wasser?" Ich kann Alex inzwischen nicht mehr erkennen. "Nein", kommt es von rechts,"es sind Waffen. Bögen." Jimmy hinter mir scheint sich ruckartig bewegt zu haben. "Wo?" "Hier im Baum! Ich wollte eben schon mal gucken, ob die Luft hier rein ist, da bin ich gestrauchelt und wollte mich an dem Baumstamm abstützen und dann..." Er hält mehrere wunderschön gefertigte Bögen mit Köchern hoch. "Wie kommen die den hierher?", frage ich. Alex zuckt mit den Schultern. "Keine Ahnung. Vom Füllhorn sind die nicht, die sehen anders aus..." Ich mustere die Waffen. Plötzlich kommt mir ein Gedanke. "Wenn die Bögen nicht vom Füllhorn sind", überlege ich laut,"dann müssen sie ein Teil von Distrikt 12 sein..." Jimmy nickt. "Lasst uns jetzt hier unser Lager aufschlagen. Hier rumzustehen und nachzudenken bringt uns kein Trinkwasser", schlägt er schließlich vor. Also brechen wir endgültig durch das Buschwerk und stehen auf einer kleinen Lichtung. Sehr nah am Zaun, aber vielleicht ist das auch ein Vorteil, weil die anderen Tribute wahrscheinlich tiefer im Wald sind und niemanden hier erwarten. Und die Karrieros sind wahrscheinlich noch mitten in der Stadt. Hoffentlich."Lilly, übernimmst du die erste Wache?", fragt Alex. Ich nicke. "Wer kommt dann nach mir?", frage ich. Jimmy erklärt sich für die zweite Schicht bereit, ich soll ihn um Mitternacht wecken. Das kriege ich hin. Als beide im Bett sind, schaue ich dem Mond beim Wandern zu. Ich denke an Alex' angenehmen Geruch. An die Karrieros. Das Mädchen aus Distrikt 7. Erst später wandern meine Gedanken zum Morgen. Dass es erst etwa 16 Stunden her sein soll, dass wir in einem brennenden Holzhaus eingeschlossen waren, ist kaum vorstellbar. Ich schmiere noch einmal die Verbrennungssalbe auf meine Wunde und muss daran denken, dass fast alles so passiert, wie es Katniss in den 74. Hungerspielen passiert ist. Erst hatte ich kein Wasser, dann Verbrennungen. Nur dass ich jetzt schon wieder nichts zu Trinken habe und wir uns morgen unbedingt tiefer in den Wald hineinwagen müssen, wenn wir noch länger als zwei Tage überleben wollen. Ich seufze und starre in die Dunkelheit. Was würde ich jetzt für einen Schluck Wasser geben... Irgendwann beschließe ich, dass jetzt Mitternacht ist und wecke Jimmy. "Was ist?", flüstert er. "Aach, darauf habe ich den ganzen Abend gewartet, dich aus deinen süßen Träumen zu reißen", seufze ich. "Haha, Lilly, unglaublich witzig. Ich darf dich darauf hinweisen, dass seit Mitternacht mindestens zwei Stunden vergangen sind?" Oh. Das war nicht geplant. "Ist doch nicht so tragisch", winke ich ab,"Alex hat in der ersten Nacht ohne Pause Wache gehalten, also kann er ruhig etwas mehr Schlaf vertragen", wispere ich zurück und will gerade meinen Schlafsack ausrollen, als Jimmy wieder etwas sagt. "Ihm hast du in der allerersten Nacht in den Hungerspielen dein Leben anvertraut?" "Ja, habe ich und ich würde es jederzeit wieder tun", gebe ich zurück, etwas verärgert darüber, dass Jimmy Alex so schlecht redet. "Du etwa nicht?" Jimmy antwortet nicht, irgendwann gehe ich schlafen.
Am nächsten Morgen schüttelt Alex mich unsanft wach, das rieche ich schon. Ich weiß, dass er es nicht böse meint, also öffne ich meine Augen mit einem Lächeln auf den Lippen. "Guten Morgen", murmele ich,"was gibt's?" "Zwei Sachen. Die erste ist, dass eben gerade eine Kanone abgeschossen wurde, was einen Feind weniger bedeutet, das zweite, dass wir in ungefähr zehn Minuten aufbrechen. Wir wären dir also beide sehr dankbar, wenn du jetzt endlich mal dein Zeug zusammenpacken würdest", sagt er mit einem schelmischen Flackern in den Augen. Immer noch nicht ganz wach rolle ich mich aus dem Schlafsack und suche meine Sachen zusammen. Jimmy hält sein Schwert griffbereit und bahnt sich bereits einen Weg durch das Gebüsch. "Was denn so eilig?", frage ich. "Ich tu dir doch nur einen Gefallen, damit du dich nicht durch das Gebüsch kämpfen musst. Wie geht's eigentlich deinem Bein?" Ich krempele meine Hose hoch und sehe eine Wunde, die ungefähr halb so groß ist, wie die, die gestern noch an ihrer Stelle war. Ich probiere vorsichtig, aufzutreten. "Schon wieder ganz gut", antworte ich auf Jimmys Frage und diesmal lüge ich nicht.
Als wir wieder auf dem Trampelpfad stehen und ich mich gerade beraten will, läuft Alex einfach los, mit mehreren Bögen und einer Menge Pfeile bewaffnet. Ich tausche einen Blick mit Jimmy, der zuckt mit den Schultern und folgt Alex' Beispiel. Weil mir kaum etwas anderes übrig bleibt, renne ich Jimmy hinterher, der schon fast hinter einer Wegbiegung verschwunden ist und begebe mich auf die Suche nach Wasser.
Als ich Jimmy und Alex eingeholt habe, lächeln beide. Ich weiß nicht, warum genau sie lächeln, aber wenn ich sie glücklich mache, ist mir der Grund egal. Schweigend laufen wir weiter, immer tiefer in den Wald hinein, mein Mund wird immer trockener. Ich will reden, lachen, aber ich will die magische Stille des Waldes nicht zerstören. Als ich mir gerade ein Herz fasse und doch anfangen will, zu reden, kommt Jimmy mir zuvor. "Wir sind drei relativ viel versprechende Tribute, die sich verbündet haben, was ist so schwer daran, uns ein bisschen Wasser zu schicken?" Alex läuft unberührt weiter und ich traue mich nicht, zu antworten. Irgendetwas scheint uns zu fehlen, was das Publikum will. Tragik? Nein, wenn wir etwas haben, dann Tragik. Stärke? Unwahrscheinlich, immerhin hat Alex zwei Tribute getötet, wir können alle mit einer Waffe umgehen und haben uns aus einem brennenden Haus gerettet. Recourssen haben wir auch genug, bis auf Wasser ist alles Wichtige vorhanden und heute ist der vierte Tag. So viel kann eine Flasche Wasser, die uns Dreien erstmal vollkommen ausreichen würde, noch nicht kosten. Was wollen die Sponsoren? Liebe? Aber Jimmy liebt mich und ich liebe ihn. Was wollen sie noch von uns? Vielleicht haben wir auch einfach keine Sponsoren mehr. Oder meine Medizin war so teuer, dass sie kein Geld mehr haben. Vielleicht will Joanne auch noch abwarten, bis wir Wasser gefunden haben und schickt es uns erst in allerletzter Sekunde, wenn wir schon nicht mehr laufen können. Oder wir sind ganz in der Nähe von einer Wasserquelle. Das wäre eindeutig mein Favorit.Es kommt kein Wasser. Wir schleppen uns immer weiter, es ist heiß und unser Körper ist nicht mehr in der Lage, die Hitze auszugleichen. Mein Mund fühlt sich an wie Sand, meine Kehle ausgetrocknet. Wir reden immer noch nicht, es ist zu anstrengend, inzwischen tut es sogar weh. Immerhin können wir wieder in einem normalen Tempo gehen, die Medizin hat wahrhaft Wunder bewirkt. Trotzdem würde ich sie sofort wieder hergeben und ihre Wirkung rückgängig machen, wenn ich dafür Wasser bekäme. Je länger wir so laufen, desto dümmer kommt mir meine Idee, in den Wald zu gehen, vor. Wenn uns hier ein Tribut fände, wären wir alle drei tot, sogar Celestia wäre allein gegen uns drei angekommen, wenn sie nur ein Messer hätte. Ich zittere viel zu stark, um zu treffen, der einzige, der vielleicht eine Chance hätte, ist Jimmy, weil er einfach mit dem Schwert auf unseren Gegner blind einschlagen müsste. Aber es kommt auch kein Tribut. Ich öffne meinen Zopf, einfach weil ich das Gefühl haben will, dass es zumindest einem Teil meines Körpers gut geht. Aber meine Haare sind fettig und hängen in Strähnen herunter, was mich nur noch schlechter fühlen lässt. Nach einer Weile gibt Jimmy mir ein bisschen zu Essen, aber ich verspüre keinen Hunger. Der Durst überlagert alle anderen Bedürfnisse und so laufe ich mit dem Trockenobst in der Hand weiter. Wahrscheinlich ist es sogar besser, wenn ich es erst esse, wenn ich hungrig bin, denn obwohl wir sehr sparsam waren, gehen auch unsere Nahrungsvorräte langsam zur Neige. Ich schüttele die Gedanken ab und gehe weiter, versuche, irgendwo Anzeichen für Wasser zu sehen. Es ist schon früher Nachmittag, als Alex, der noch immer vorneweg läuft, sich zu Wort meldet. "Vielleicht sollten wir mal abseits vom Weg suchen, es ist nämlich ziemlich unwahrscheinlich, dass das Wasser gleich nach der nächsten Biegung auf uns wartet." "Meinetwegen", krächze ich und Jimmy zuckt müde mit den Schultern. Ich denke daran, wie eifrig und stark er heute morgen noch war, aber jetzt sind wir alle verwundbarer denn je.
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Die Tribute von Panem: Tödliche Entscheidung
FanfictionPanem, ein Jahr nach Kriegsende. Das Kapitol gestürzt, alle Bewohner auf die Distrikte verteilt. Lilly Eisenberg, 15 Jahre alt, lebt mit ihrer Familie in Distrikt 5. Eigentlich geht es ihnen gut, wenn da nicht dieser eine Tag wäre. Der Tag der Ernte...