fürsorglich

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„Sherlock!", bellte Mycroft durchs Telefon.

„Jaaaa???"

Einen Augenblick wieder Schweigen.

Dann hörte er Mycroft, der sich mühsam beruhigte:

„Habt ihr genug Hühnersuppe, dass ihr eine Portion für Lestrade erübrigen könnt?"

Sherlock grinste.

„Selbstredend, Bruderherz. Ich bin sicher, die gute Mrs. Hudson kocht uns jederzeit neue."

„Gut. Ich werde vorbeikommen und einen kleinen Topf abfüllen. Und nun gib mir mal John."

Sherlock grinste und reichte sein Handy an John weiter.

„John? Hör mal. Ich werde gleich zu DI Lestrade fahren und ihm ein paar Dinge vorbeibringen. Ein paar Lebensmittel. Wärst du bitte bereit, mir ein Rezept auszustellen, für die wichtigsten Erkältungsmedikamente, die ich ihm dann aus der Apotheke besorgen kann, und wenn möglich auch eine Krankschreibung für die nächsten Tage? Ich weiß, dafür müsstest du ihn eigentlich sehen, aber da du nun selber flach liegst ... und bei einer Erkältung braucht man doch einfach nur Ruhe ... Danke John."

Und noch ehe John überhaupt zu Wort gekommen war, hatte er aufgelegt.

„Und was gibt das jetzt?", fragte John verblüfft.

„Nun, mein Bruderherz wird nun endlich mal über seinen Schatten springen und den ersten Schritt machen."

„Sherlock, welchen ersten Schritt? Oh ... oh, du meinst ... Mycroft und Lestrade? Dein Ernst?!"

Sherlock nickte und nieste heftig.

Johns Kinnlade befand sich in etwas in Höhe seines Bauchnabels.

„Im Ernst? Die beiden? Wirklich???"

Ungefähr eine Stunde später tauchte Mycroft auf, holte Suppe, das Rezept und die Krankschreibung.

Er bedankte sich höflich bei John, warf Sherlock einen finsteren Blick zu („Hey, ich finde, bei mir solltest du dich auch bedanken, Mycroft!") und war auch schon wieder verschwunden.

...

So kam es, dass bei Greg Lestrade am frühen Nachmittag die Türschelle ging. Er hatte sich gerade eine Thermoskanne mit Tee gekocht, die Teebeutel dazu hatte er sich von seiner alten, freundlichen Nachbarin ausgeliehen, und sich dann mit einer dicken Flauschdecke auf sein Sofa zurückgezogen. Er hatte kurz überlegt, den Fernseher anzuschalten, musste aber feststellen, dass er selbst dazu zu kaputt war und hatte einfach für ein Nickerchen die Augen geschlossen.

Noch bevor er allerdings in den Schlaf sinken konnte, schellte es.

Mühsam rappelte Greg sich auf.

Wer konnte das sein? Vielleicht der Postbote?

Schniefend trottete er zur Tür und öffnete.

Und zu seinem größten Erstaunen stand Mycroft Holmes vor ihm im Hausflur. Mycroft Holmes, der an jedem Arm einen großen Weidenkorb trug.

„Darf ich reinkommen?"

Greg war viel zu schlapp, um etwas anderes zu tun als mit dem Kopf zu nicken.

„Zur Küche?", fragte Holmes.

Greg zeigte den Weg, und trottete dem anderen hinterher, der nun zielstrebig in seine Küche marschierte.

Ohne recht zu begreifen, was eigentlich los war, sah er zu, wie Mycroft Holmes die beiden Körbe auf seinem Tisch abstellte.

„Mir Holmes, was ... äh ..."

„DI Lestrade, mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie erkrankt sind. Und da es meinem Bruder und Dr. Watson nicht besser geht, sind die beiden nicht in der Lage, Sie zu unterstützen. Da ich Ihren beruflichen Stress kenne, weiß, dass sie kaum mal zu Hause sind und sich daher die Vermutung aufdrängt, dass sie kaum etwas an Lebensmitteln im Hause haben, habe ich mir die Freiheit genommen, das nötigste für Sie zu besorgen."

Und er begann, auszupacken.

Brot. Käse. Tomaten. Sandwichcreme.

Verschiedenes Obst, Orangen zum Auspressen.

Eier, Schinken, Milch.

Tee.

Nudeln und fertige Pastasoße.

Aus dem zweiten Korb holte er einen Topf,

„Hühnersuppe von Mrs. Hudson ..."

sowie eine Tüte mit dem Aufdruck einer Apotheke.

„ ... und ein paar Medikamente. Der gute John war so freundlich, und der Apotheker hat genau notiert, wie Sie das alles anwenden und einnehmen sollen."

Zu guter Letzt zog er einen Umschlag aus seiner Manteltasche.

„Hier drin befindet sich eine Krankschreibung für den Rest der Woche. Dr. Watson ..."

Mycroft legte das Papier auf dem Küchenbord ab.

„Haben Sie heute schon etwas gegessen, DI?"

Greg schüttelte den Kopf.

„Nun, dann wird es Zeit. Wünschen Sie, dass ich ihnen etwas Hühnersuppe warmmache, oder möchten Sie lieber ein Sandwich?"

„Sandwich", krächzte Greg. Er fühlte sich nicht in er Lage, die etwas überfallartige Fürsorge des anderen abzuwehren.

Moment mal, hatte er gerade das Wort Fürsorge in einem Satz mit Mycroft Holmes gedacht? Er musste grinsen. Mycroft Holmes, der fürsorgliche Eismann. Greg konnte nicht anders und begann zu kichern.

Holmes schaute ihn mit einer heraufgezogenen Augenbraue an.

„Alles in Ordnung, DI?"

Greg nickte.

„Sorry", sagte er, „das Fieber ..."

Einige Minuten später fand er sich selber an seinem Küchentisch sitzend und ein Sandwich verspeisend, dass ihm Mr. Holmes zubereitet hatte.

Bei klarem Verstand hätte er die Situation vermutlich aufs höchste erstaunlich gefunden. Aber so war sein Geist fiebergetrübt, und das erleichterte ihm, das ganze einfach hinzunehmen wie es war.

Und während Sherlocks Bruder ein Glas mit frisch gepresstem Orangensaft vor ihm abstellte und anschließend das benutze Geschirr in die Spülmaschine stellte, die Küche aufräumte und sich dann mit den Worten: „Ich werde morgen wieder nach Ihnen sehen, Gregory!", verabschiedete, stellte er fest, dass er begann, diese Fürsorge zu genießen.

Ja, es war schön, dass jemand sich um ihn kümmerte.

Und ja, es war noch schöner, dass dieser Jemand ausgerechnet Mycroft Holmes war.

FieberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt