"Nun", sagte Sherlock, nachdem er Greg die gewünschten Informationen gegeben hatte und dieser durch einige Anrufe die notwendige Verhaftung veranlasst hatte", nun, mein Bruder mag nicht diesen Eindruck erwecken, aber er mag es, umworben zu werden. Jemand, der Interesse an ihm hat, sollte sich Zeit nehmen und ihn langsam und voller Romantik erobern."
Greg sah erstaunt von seinem Schreibtisch in seinem Büro bei New Scotland Yard auf.
"Und das sollte aus genau welchem Grund relevant für mich sein ... ?"
Sherlock schnaubte.
"Hören Sie, Greg. Mein Bruder hat Interesse an Ihnen, das hat er schon, seit er Sie das erste mal getroffen hat."
Greg starrte ihn mit offenem Mund an. Er hatte sich doch wohl verhört!
"Und da mir in letzter Zeit aufgefallen ist, dass auch Sie Interesse an ihm haben - und jetzt wagen Sie es nicht, das abzustreiten, vergessen Sie nicht, Sie sprechen mit Sherlock Holmes - jedoch keiner von euch beiden auf die Idee kommt, auf den anderen zuzugehen, habe ich gedacht, ich stoße Sie mal ein bisschen in die richtige Richtung. Sie sind wesentlich mutiger als Mycroft, und werden daher eher den ersten Schritt unternehmen. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, John wartet auf mich."
Und damit rauschte er aus Gregs Büro.
Greg schüttelte den Kopf.
Was zum Henker war das denn gewesen?
Er wollte sich wieder den Akten zuwenden, die auf seinem Tisch lagen, doch er konnte es nicht verhindern, dass seine Gedanken sich um Sherlocks älteren Bruder zu drehen begannen. Er seufzte. Ja, Sherlock hatte recht. Mycroft faszinierte ihn. Schon seit langem.
Wenn er im Yard auftauchte, dann meist um Befehle und Anweisungen zu erteilen. Er war arrogant, herrisch, distanziert; nicht umsonst wurde er "der Eismann" genannt. Man kuschte allgemein vor ihm; da niemand so recht wusste, welche Stellung er tatsächlich innehatte, er aber allein durch sein Auftreten eine Autorität und Selbstsicherheit verströmte, als könnte ihm niemand etwas anhaben und als sei es selbstverständlich, dass man seinen Worten gehorchte, war es allgemeiner Konsens, ihm sicherheitshalber nicht zu widersprechen.
Doch ... Greg wusste, dass es auch eine andere, eine menschliche Seite an ihm gab.
Greg hatte sie gesehen.
Für winzige Augenblicke hatte er sie hervorblitzen sehen.
Das erste mal war es gewesen am Tag ihres Kennenlernens. Mycroft hatte sich nach Sherlock erkundigt und ihm, Greg, Geld gegen Informationen angeboten. Er hatte es abgelehnt, und für wenige Sekundenbruchteile hatte er in den Augen des anderen die Sorge und Fürsorge für seinen Bruder aufleuchten sehen, bevor sich wieder die Maske des eiskalten Politikers darüber gelegt hatte.
Ein weiteres Mal waren sie sich in der Baker Street 221b begegnet, kurz nachdem John und Sherlock ein Paar geworden waren. Mycroft hatte sowohl John als auch Greg über Sherlock im Hinblick auf das Thema Drogen ausgefragt. Sie hatten ihm bereitwillig Auskunft gegeben, denn es gab dahingehend nur erfreuliches zu berichten, Sherlock war seit längerer Zeit stabil. Und da hatte Greg in Holmes' Augen so etwas wie Dankbarkeit gesehen...
Es hatte weitere solche Augenblicke gegeben. Und Greg war sich sicher, dass außer ihm und vielleicht noch John niemand, der nicht zur Familie Holmes gehörte, je die Gelegenheit haben würde, das zu bemerken. Und genau genommen gehörte ja auch John nun irgendwie zur Familie.
Greg seufzte erneut.
Trotz alledem ging es hier immer noch um Mycroft Holmes. Und der Gedanke, der sich gerade eben in Gregs Kopf geschlichen hatte, war völlig absurd. Der Gedanke oder eher der Wunsch, eines Tages ebenfalls zur Familie Holmes zu gehören, und zwar an der Seite dieses Mannes.
Er fuhr sich mit der Hand durch die grauen Haare und versuchte, sich wieder auf die vor ihm liegende Akte zu konzentrieren. Es funktionierte nicht. Seine Gedanken schweiften immer wieder ab.
Mycroft Holmes.
Sherlock hatte behauptet, Holmes würde sich für ihn interessieren. Und da er von "umwerben" und "erobern" gesprochen hatte, war auch klar, in welche Richtung dieses Interesse ging.
Aber ... stimmte das auch?
Greg war sich sicher, dass Sherlock keinem Irrtum unterliegen würde. Sherlock irrte sich nie, so sehr diese Tatsache Greg auch manchmal auf die Nerven ging, da Sherlock keine Gelegenheit ausließ, das jedem unter die Nase zu reiben.
Allerdings würde er es dem jüngeren Holmes zutrauen, schlichtweg die Unwahrheit zu sagen. Nicht aus Böswilligkeit, nein. Viel eher, um zuzuschauen, wie er sich zum Narren machte und sich köstlich zu amüsieren, und damit wenigstens für kurze Zeit der Langeweile zu entgehen.
Andererseits ... es gab jetzt John. John, der dafür sorgte, dass Sherlock deutlich weniger Langeweile hatte als früher. John, der ein solches "zum Narren halten" keineswegs gut heißen würde und, sollte er ihm dahinter kommen, Sherlock gewaltig die Hölle heiß machen würde. John war ein ernstzunehmender Faktor, der ganz klar gegen eine Fopperei von Seiten Sherlocks sprach.
Aber selbst wenn das so wäre ...
Was sollte er damit anfangen?
Er konnte schlecht zu Mycroft Holmes gehen und sagen:
„Hören Sie mal, ich steh auf Sie, und ich weiß, dass Sie auf mich stehen, also sollten wir nicht einfach ab sofort zueinander stehen?"
Greg grinste bei dieser Formulierung in sich hinein. Und stellte sich Holmes' Reaktion vor.
Vermutlich würde er eine Augenbraue anheben, ihn spöttisch ansehen und so etwas ähnliches sagen wie:
„Detectiv Inspector, Sie sollten dringend die Dosierung ihrer Psychopharmaka überprüfen lassen!"
Nein, dachte Greg kichernd, das wäre fast schon zu humorvoll und nicht beleidigend genug.
Eher in etwa:
„DI Lestrade, Sie sollten dringend überdenken, ob die Wahl alkoholischer Getränke in Ihrer Mittagspause Ihrer Karriere förderlich ist!"
Und dann würde er auf dem Absatz kehrt machen und gehen.
Greg begann bei der Vorstellung zu kichern.
In dem Moment klopfte Donovan an seine Bürotür.
Reiß dich zusammen, Lestrade, sagte er zu sich selbst; hier ist Arbeit zu tun, du bist nicht hier um für Mycroft Holmes zu ... schwärmen, wollte sein Hirn denken, aber er ließ das nicht zu und änderte das Wort ab in philosophieren. Ja, du bist nicht hier, um über Holmes zu philosophieren.
„Herein", rief er Donovan zu sich.
„Sally, was gibt's?"
Und während er ihren Ausführungen lauschte, hatte er das Thema Holmes für sich erst einmal abgehakt.
Er sah keine Möglichkeit, mit diesem Mann näher ins Gespräch zu kommen, da konnte Sherlock sich zurecht spinnen, so viel er wollte; es war so, und daher lohnte es sich auch nicht, weiter darüber nachzudenken.
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Fieber
Fiksi PenggemarGreg hat einen seltsamen Fiebertraum gehabt. Oder war es gar kein Traum? Sherlock betätigt sich als guter Samariter. Ganz uneigennützig? Am Ende ist die Grippe an allem Schuld... und das ist gut so. (eine kleine Mystrade Geschichte, in der auch John...