verantwortlich

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Greg blieb tatsächlich die ganze Nacht am Krankenbett. Besonders gut schlief es sich nicht, sitzend im Stuhl, die Arme auf dem Bett verschränkt, den Kopf darauf abgelegt. Es war unbequem, und er dämmerte mehr vor sich hin, als dass er wirklich schlief.

Aber er wollten da sein, wenn Myke erwachen würde. Es war ihm wichtig.

Erst in den frühen Morgenstunden schlummerte er ein.

Eine Krankenschwester weckte ihn schließlich.

"Entschuldigen Sie, Sir. Ich muss Ihren Freund jetzt mitnehmen. Ich muss ihn zu einigen Untersuchungen bringen."

Greg blinzelte verschlafen.

"Kann ich hier im Zimmer warten?"

Sie nickte.

Mycrofts Bett wurde aus dem Zimmer geschoben.

Einige Minuten später betrat ein junger Pfleger den Raum. Er stellte ein Tablett auf den kleinen Tisch.

"Das ist für Sie, Sir. Essen Sie etwas. Sie helfen ihrem Freund nicht, wenn Sie selber zusammen klappen."

Er nickte Greg freundlich zu.

Greg war dankbar. Besonders für die große Tasse voll Kaffee, der erstaunlich gut schmeckte. Er aß etwas Brot mit Marmelade und mit Käse, und spürte, dass ihm das gut tat.

Eine Stunde später hatte er sich vom Automaten im Flur einen weiteren Kaffee geholt.

Er saß wieder an dem kleinen Tisch, als die Tür sich öffnete und das Bett mit Mycroft darauf wieder ins Zimmer geschoben wurde.

Zu Gregs grenzenloser Erleichterung hatte er die Augen auf.

"Hallo, Greg", krächzte er.

"Myke!"

Er sah die Krankenschwester fragend an.

Die lächelte.

"Ich lasse Sie beide mal alleine. Eine halbe Stunde, DI Lestrade. Dann müssen Sie gehen. Mr. Holmes braucht Ruhe."

Und sie verließ das Zimmer.

Greg zog den Stuhl an das Bett und setzte sich. Er nahm ganz vorsichtig Mycrofts Hand.

"Hey", sagte er.

"Du hast mir einen Riesenschrecken eingejagt."

"Tut mir leid", krächzte Mycroft.

"Anstatt dich ins Bett zu legen und dich auszuruhen, hast du einfach Tabletten geschluckt und weitergemacht. Das war dumm von dir."

"Greg, ich kann mich nicht einfach mal ein paar Tage ins Bett legen, ich werde gebraucht ..."

"Unsinn", schimpfte Gregory. "Ja, du wirst gebraucht. Ich brauche dich. Alles andere kann warten."

Mycrofts Augen wurden riesengroß.

"Du brauchst mich?"

"Ja, Myke. Ich habe mich in dich verliebt. Du hast dich einfach so in mein Herz geschummelt. Und wenn dir jetzt etwas geschieht, wenn du nicht mehr da wärst, dann würde mein Herz in Stücke brechen, verstehst du?"

Greg grinste.

"Mein Gott, Myke, ich glaube, ich habe noch nie so was kitschiges gesagt. Und falls doch, habe ich es noch nie so ernst gemeint."

Gregory sah Mycroft liebevoll an.

„Hör mal, versprich mir, dass du so etwas dummes nie wieder tust. Sonst werde ich dich höchstpersönlich und eigenhändig übers Knie legen und dir den Hintern versohlen, hast du mich verstanden?"

Myke versuchte sich an einem Grinsen.

„Ist das ein Versprechen, DI Lestrade?"

Gregory grinste auch, doch dann wurde sein Gesichtsausdruck streng.

„Mycroft Holmes, ich meine das wirklich ernst. Du bist jetzt nicht mehr allein, und darum geht es jetzt nicht mehr nur um dich. Wenn man sich liebt, dann übernimmt man Verantwortung füreinander. Ich fühle mich daher für dein Wohlergehen verantwortlich. Und auch du bist verantwortlich, dass es mir gut geht. Und es geht mir nicht gut, wenn du bewusstlos in einem Krankenhausbett liegst."

Mycroft schluckte.

„Gregory, ich bin ... es anscheinend einfach nicht gewohnt, dass sich jemand so um mich sorgt."

Greg sah ihn verwundert an.

„Deine Familie ..."

„Nun ja, unsere Eltern haben immer Leistung gefordert, und unsere Leistung geliebt ... jedenfalls hat es sich so angefühlt. Vielleicht haben sie auch Sherlock und mich geliebt, aber sie haben es nicht gezeigt. Und nun sind sie schon lange tot. Und mein Bruder ... ich bin mir sicher, dass ihm etwas an mir liegt ... allerdings versteht er zu den meisten Zeiten meisterhaft, das zu verbergen."

„Freunde?"

„Nun ..." Mycroft sah verlegen zu Boden. Und Greg begriff: so etwas wie Freundschaft hatte es bisher nicht in Mycrofts Welt gegeben.

„Aber ... ich bin ... doch nicht ein erster Mann ... oder?"

„Nein Greg. Ich habe schon einmal geliebt. Aber es ist lange her und es war nicht gut. Lass uns jetzt nicht darüber reden."

Gregory nickte.

„Nun, jedenfalls, Myke, bin ich jetzt für dich da und passe auf dich auf, okay?"

Die Zimmertür flog auf, während Gregory den letzten Satz gesagt hat, und Sherlock stürmte ins Zimmer, mit John im Schlepptau.

„Schwager Greg, bist du dir bewusst, dass du den letzten Satz gerade zu Mister Oberkontrollfreak, Mister Ich-bin-die-graue-Eminenz-der-britischen-Regierung, Mister Ich-kenne-jede-Überwachungskamera-der-Stadt-London-persönlich-und-spreche-sie-mit-Vornamen-an, Mister Schau-meine-Schutzbefohlenen-schräg-an-und-ich-verfluche-dein-Geschlecht-bis-ins-siebte-Glied gesagt hast?"

„Ich freue mich auch, dich zu sehen, Bruderherz", krächzte Mycroft immer noch mit schwacher Stimme, während John „Sherlock!" schimpfte und Greg nicht umhin konnte, zu kichern.

Sherlock trat an Mycrofts Bett.

„Na ja", sagte er, „schön jedenfalls, dass du auf dem Weg der Besserung bist. John, können wir wieder gehen?"

„Sherlock!", schimpfte John erneut.

„Na hör mal", sagte der. „Schau dir die beiden doch an. Hier ist doch bestimmt gerade der Kitsch in Strömen geflossen, und ich fürchte, das wird hier gleich noch weitergehen. Und das will ich mir nicht antun."

„So was könnte dir natürlich nie passieren, oder?", sagte John, nahm den Alufolienring aus der Jackentasche, drehte ihn hin und her und sah ihn versonnen an.

„John!", sagte Sherlock scharf und rauschte aus dem Zimmer.

John schmunzelte und lief hinterher.

Greg und Mycroft sahen den beiden etwas verwundert nach.

Greg war jedoch zu sehr auf Myke fixiert und Mycroft schlicht zu erschöpft, um die Schwingungen hinter der letzten Szene richtig zu deuten.

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