6.

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Am nächsten Tag ging ich nicht zum Unterricht, auch nicht am nächsten oder übernächsten. Genau genommen ging ich die ganze Woche nicht zum Unterricht. Ich ging nicht zum Frühstück, zum Mittagessen oder zum Abendessen. Essen ließ ich mir bringen, falls ich essen wollte.
Ich ließ mir die Hausaufgaben von Hermine bringen und wechselte mit niemandem außer ihr und Ginny ein Wort. Niemanden außer Kira ließ ich an mich ran.
Abgesehen von Draco natürlich. Jeden Nachmittag, nachdem sein Unterricht endete, trafen wir uns in unserer Nische. Dann gingen wir in den Raum der Wünsche oder zu Zeno in die Küche.

Eine Woche nach dem Tod meiner Eltern, lag ich am Vormittag in meinem Bett und versuchte den Stoff der letzten Stunden nachzuholen, als es an meinem Fenster klopfte. Es war eine Eule.
Die Eule hatte eine kleine Nachricht für mich, in der stand:

Miss Anderson,
bitte seien sie um dreizehn Uhr bei mir im Büro.
Dort werde ich sie und Mr. Malfoy zu der Beerdigung ihrer Eltern geleiten.
Das Passwort ist Gummibärchen.
Professor Dumbledore

Drei Stunden später stand ich fertig vor dem Spiegel.
Ich trug ein kurzes langärmliges schwarzes Spitzenkleid zusammen mit einer durchsichtigen Strumpfhose und schwarzen High Heels. Darüber trug ich einen schwarzen Mantel. Meine Haare hatte ich in weiche Wellen gedreht und hinter meiner Sonnenbrille verbargen sich meine mit wasserfesten Wimperntusche geschminkten Augen.
Ich warf einen letzten Blick in den Spiegel, dann schnappte ich mir meine schwarze Tasche, deren Inhalt hauptsächlich aus Taschentüchern bestand, und machte mich auf den Weg zu Dumbledores Büro.

Als ich das Büro betrat, warteten Draco und Dumbledore schon auf mich.
Beide trugen dunkle Kleidung. Während Dumbledore einen dunkelgrauen Umhang an hatte, trug Draco einen schwarzen Smoking, in dem er zugegebenermaßen verdammt gut aussah.
,,Guten Tag, Miss Anderson.", begrüßte Dumbledore mich höflich.
Draco dagegen trat an mich heran und flüsterte mir zu:
,,Alles in Ordnung?"
Ich nickte.
,,Miss Anderson. Mister Malfoy. Ich möchte sie wirklich nicht unterbrechen, allerdings sollten wir nun los, damit ich sie noch pünktlich hinbringen kann.", sagte der Professor.
,,Natürlich.", sagte Draco.
,,Bitte nehmen sie meinen Arm.", sagte Dumbledore.
Wir taten, was er sagte, und sofort apparieten wir.
Nur einen Moment später standen wir vor dem eisernen Tor des magischen Friedhofs.
,,Ich bitte sie darum, mir eine Nachricht zu schicken, wenn sie abgeholt werden möchten.
Miss Anderson, sie sind ja vorübergehend von allen schulischen Aktivitäten, deshalb können sie solange bleiben wie sie wollen. Mr. Malfoy sollte sich dagegen morgen Abend wieder in der Schule befinden. Ich werde nun wieder gehen. Mein herzliches Beileid noch einmal.", sagte Dumbledore und bevor ich oder Draco etwas sagen konnten, war er auch wieder verschwunden.

Ich atmete einmal tief durch.
,,Bereit?", fragte Draco mich.
Ich schüttelte den Kopf und brach in Tränen aus.
Sofort spürte ich wie er mich in den Arm nahm.
,,Alles wird wieder gut.", flüsterte er mir immer wieder zu.  
Einige Minuten später hatte ich mich wieder beruhigt. Draco sah mir in die Augen und fragte mich noch einmal:
,,Bereit?"
Dieses Mal nickte ich, er nahm daraufhin meine Hand und zog mich zu dem Friedhofseingang.
Kaum hatten wir das Tor passiert, kamen auch schon Narzissa und Lucius auf uns zu.
Narzissa war wie immer bildhübsch und trug ein langes schwarzes Kleid kombiniert mit einem schwarzen Umhang. Lucius dagegen sah sehr müde und fertig aus.
,,Draco! Hailey! Da seid ihr ja.", sagte Narzissa und umarmte uns.
,,Kann ich dich kurz sprechen?", fragte sie mich.
Ich sah kurz zu Draco und er nickte mir fast unmerklich ermutigend zu.
Ich nickte zu Narzissa und ließ langsam Dracos Hand los.
Narzissa und ich entfernten uns ein paar Schritte von den Malfoy-Männern, dann begann sie zu sprechen:
,,Wie geht es dir?"
,,Es geht.", antwortete ich.
,,Nach der Beerdigung werden vermutlich alle dir ihr Beileid aussprechen und, wenn alle gegangen sind, wird der Testamentsvollstrecker uns bei dir zuhause das Testament verlesen. Ist das in Ordnung für dich?" 
,,Ja, das ist in Ordnung."
,,Gut. Wenn du möchtest kannst du dich jetzt von deinen Eltern verabschieden.", sagte Narzissa und deutete in Richtung eines Hauses, in welchem vermutlich die Verstorbenen für die Beerdigung fertiggemacht werden.
Ich nickte und ging in das Haus.
Der Raum, den ich betrat, war leer und gedämpft beleuchtet und hinter einer Glaswand standen zwei geöffnete Särge, in denen meine Eltern lagen.
Völlig erstarrt und leichenblass lagen sie mit geschlossenen Augen da.
Mir stiegen Tränen in die Augen und mir wurde schwindelig.
Ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen war, aber irgendwann umschloss eine Hand die meine.
Ich zuckte erschrocken zusammen und stellte fest, dass es Dracos Hand war.
,,Sie sehen so friedlich aus ,findest du nicht? Man könnte meinen, sie schlafen bloß.", sagte ich.
Draco antwortete nicht, sondern drückte nur meine Hand.
Die Momente verstrichen und wir standen nur da und hielten uns an den Händen, bis Lucius zu uns stieß und sagte, dass wir nun hinausgehen müssen, da die Särge jetzt verschlossen werden würden.
Wir verließen zu dritt das Haus und draußen sah ich, dass sich dutzende von Trauergästen versammelt hatten. Allesamt Freunde und Arbeitskollegen meiner Eltern, Verwandte hatte ich ja keine mehr.
Draco wollte meine Hand loslassen, aber ich hielt sie fest und flüsterte:
,,Lass bitte nicht los, sonst fall ich um."
Er nickte und hielt meine Hand weiterhin fest.
Ich spürte die Blicke der Trauergäste auf mir und hörte wie sie sich gegenseitig Dinge, wie ,,Das arme Mädchen, keine Verwandten mehr" oder ,,die einzige Tochter", zuflüsterten.
Draco, der bemerkt hatte, das ich mich unter den Blicken unwohl fühlte, hielt meine Hand nur umso fester und führte mich durch die Menschenmenge, bis zu einem Loch in der Friedhofswiese, das von vielen Stühlen umstellt war. Wir nahmen in der ersten Reihe Platz und der Bestatter tauchte auf, schüttelte mir die Hand, sprach mir sein Beileid aus und wies die anderen Gäste an sich zu setzen. Es wurde eine Rede gehalten und dann wurden die beiden Särge, von Kobolden getragen, herbeigebracht.
Plötzlich überfiel mich die Panik und mir wurde schlagartig bewusst, dass ich keine Familie mehr hatte.
,,Nein.", flüsterte ich und stand ruckartig auf, ,,Ich habe mich nicht verabschiedet, ich habe ihnen nicht gesagt, dass ich sie liebe, ich habe mich nicht verabschiedet."
Ich machte einen Schritt auf die Särge zu. Dann einen weiteren und noch einen. Mich umfassten zwei starke Arme und zogen mich zurück.
Ich zappelte und wehrte mich, doch ich wurde nicht losgelassen.
,,Nein! Lass mich los! Ich habe mich nicht verabschiedet! Sie wissen nicht, dass ich sie liebe!", schrie ich.
,,Hailey. Hailey, es wird alles gut. Hör mir zu, Hailey, hör mir zu.", flüsterte Draco bestimmt und drehte mich zu sich um, sodass ich ihm in die Augen sehen musste.
,,Es wird alles gut. Deine Eltern wiss... wussten, dass du sie liebst und sie haben dich auch sehr geliebt. Sie lieben dich immer noch.", sagte er eindringlich.
Ich ließ mich in seine Arme fallen und schluchzte heftig auf. Dann ließ ich mich zurück zu meinem Platz führen und beobachtete unter Tränen wie meine Eltern in der Erde verschwanden, während Draco mich im Arm hielt.
Kaum war das Grab geschlossen, erschien ein schwarzer Marmorstein, auf dem in Goldschrift stand:
Michael & Alice Anderson
16. Mai 1955-27. Oktober 1995
25. Juli 1954- 27. Oktober 1995
Geliebte Eltern und Freunde
Die Liebe stirbt nicht mit dem Tod

Love me (Draco Malfoy FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt