Mein Leben ist ruiniert. Es hat keinen Sinn mehr. Da kann ich mich gleich von der nächsten Brücke stürzen. Denke ich nach der Hiobsbotschaft gerade. Mit meinen Krücken und dem Gips humpele ich geradewegs auf unser Auto zu. "Süße! Jetzt sei nicht enttäuscht!" versucht mein Vater mich aufzuheitern. "Das kann der doch nicht einfach machen! Ich meine, er weiß doch wie wichtig mir das ist!" rufe ich quer über den Parkplatz. "Jeder weiß, dass tanzen deine Leidenschaft ist Fiona, aber du musst einsehen, dass du, wenn du weitergemacht hättest, dir nur weiter geschadet hättest und dann hörst du lieber jetzt für einige Zeit auf, als später für immer." Recht hat er damit auf jeden Fall. Aber das will ich jetzt nicht einsehen, ich will weiter tanzen. Ich spüre wie mit eine warme, salzige Träne über mein Gesicht läuft. "Hör auf zu weinen mein Schatz! Vertrau mir, es wird alles gut. Es wird immer alles gut!" sagt er und wischt mir mit seinem Daumen die Träne von der Backe. Er gibt mir kurz einen Kuss auf die Stirn, dann startet er den Motor des Wagend und fährt nach Hause. Zuhause angekommen, will ich nur noch in mein Bett. Ich sage meiner Mutter kurz gute Nacht und ohne, wie gewohnt, einen Blick auf mein Handy zu werfen, schalte ich es einfach aus und werfe mich in mein Bett. Die kuschlige Paris Bettwäsche nimmt sofort meine Körperwärme an. Ich fühle mich gleich wohl, dann steigen mir die Emotionen über den Kopf. Wieder fange ich an zu weinen. Das Tanzen war meine einzige Leidenschaft und jetzt kann ich ihr nicht mehr nachgehen. Was soll ich nur all die Zeit machen? Umso mehr ich darüber nachdenke, desto stärker fange ich an zu weinen. Ich zwinge mich die Gedanken zu stoppen und über etwas schönes nachzudenken. Aber es gibt nicht worüber ich nachdenken könnte. Alles Schöne, was ich mir hätte vorstellen, hat mit laufen, rennen oder tanzen zu tun. Also kann ich mir das abschminken. All die Dinge, die ich als Selbstverständlich angesehen hatte, kann ich jetzt nicht mehr machen, zu mindestens nicht so wie früher. Ich werde mich früher oder später mit dem Gedanken abfinden müssen, auch mit dem Gedanken irgendwann vielleicht gar nicht mehr tanzen zu dürfen. Vielleicht werde ich dann zu Interviews eingeladen und gefragt wie es war den eigenen Traum, wegen einer Verletzung, aufgeben zu müssen. Vielleicht fragt man mich auch nach Tipps für Kinder, die Probleme haben ihren Träumen zu folgen. Mit diesem Gedanken könnte ich mich sogar vielleicht anfreunden.
Am nächsten Morgen
"Guten Morgen mein Schatz!" Meine Mutter sitzt auf meiner Bettkante und rüttelt sanft an meiner Schulter. Ich öffne meine Augen, ist heute ein besonderer Tag? Sonst weckt sie mich nie so. Ich schaue sie verwirrt an. "Hab ich was vergessen?" frage ich sie. Meine Mutter steht auf und verlässt mein Zimmer ohne mir eine Antwort zu geben. Ich versuche aufzustehen, dann bemerke ich, dass etwas nicht stimmt. Mein Fuß fühlt sich so schwer an. Ich ziehe die Bettdecke von meinem Körper und dann sehe ich ihn. "Es war doch kein Traum." flüstere ich. Ich suche nach den Krücken, die ich irgendwo in mein Zimmer geworfen habe. Mit den Krücken ist alles ein wenig schwieriger. Ich versuche alles so zu erledigen, wie gestern noch, aber in bestimmten Punkten ist das nicht möglich, zum Beispiel Treppen hinunter- beziehungsweise nach oben steigen. Meine Mutter hat mir mein Brot bereits bereitgelegt, sodass ich es einfach nur noch zu nehmen brauche. Ich hüpfe zurück in mein Zimmer und packe den Rest in meinen Rucksack. Mir bleibt noch etwas Zeit, dann bemerke ich, dass ich mein Handy heute noch gar nicht angerührt habe. Ich finde es an dem selben Ort vor, an den ich es gestern hingepfeffert habe, auf meiner Couch. Von jedem mit dem ich irgendwas zu tun habe, habe ich die Nachricht: 'Alles in Ordnung?' bekommen. Jedem schreibe ich zurück, dass alles in Ordnung ist, außer meinen Freunden aus Aue, ihnen schreibe ich, dass ich eine Pause vom Tanzen nehmen muss. "Fiona, es ist Zeit für die Schule!" ruft meine Mutter von unten. Trotz meiner Verletzung muss ich meinem gewohnten Tagesablauf folgen, also muss ich auch an den Bus laufen. Ich schaue immer und immer wieder zwischendurch auf mein Handy, ob jemand vielleicht auf meine Nachricht, dass ich mit dem Tanzen aufhören muss, geantwortet hat, aber niemand schreibt. Im Bus vertreibe ich mir die Zeit mit Musik hören, während ein Lied nach dem anderen durchläuft, schließe ich noch ein wenig die Augen, bis der Bus an der Schule angekommen ist.
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Double Life (Wird überarbeitet)
Teen FictionFranziska und ihre Eltern sind gerade von einer Großstadt in ein Dorf umgezogen. Für ihre neuen Mitschüler ist sie ein ganz normales Mädchen, aber sie verbirgt ein Geheimnis, wegen dem sie aus ihrem alten Wohnort wegziehen musste. Sie versucht alles...