Erstes Näherkommen

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Ein Sonnenstrahl, der sich seinen Weg durch den dicken Vorhang des Gryffindor-Schlafsaals gebahnt hatte, weckte Hermine. Als sie sich streckte, stieg ihr der süßliche Geruch eines Apfels in die Nase. Sie drehte den Kopf in Richtung des kleinen Nachttisches neben ihrem Bett, wo der schon leicht angeknabberte Apfel lag, den Draco ihr gegeben hatte. Nein, nicht gegeben. Geschenkt. Als ein Geschenk der Dankbarkeit. Hermine war verwirrt, als sie sich den gestrigen Abend noch einmal durch den Kopf gehen ließ. Draco war ganz anders gewesen, so...nett. Sie hatte nie von ihm erwartet, dass er sie tolerieren oder sogar als "Pferdefreund" akzeptieren würde. Sie beschloss, zu der Koppel zu gehen, auf der Draco stand. Heute war Samstag. Sie hatte frei und es würde bestimmt niemandem auffallen, wenn sie nicht zum Frühstück käme. Sie zog sich ihre Freizeitkleidung an und steckte den Apfel ein, bevor sie sich auf den Weg machte. Als sie nach draußen trat, wurde sie von angenehm kühlen Temperaturen begrüßt und die Sonne ließ den Morgentau im Gras glitzern. Sie hörte das zupfende, malmende Geräusch von einem grasenden Pferd. Als sie an den Zaun kam, sah sie Draco dort stehen, den Kopf zur Wiese gesenkt. Er kaute auf einem Grashalm und sah dann zu ihr auf. Dann drehte er sich um und trottete auf sie zu. Hermine wollte ihn gerade kraulen, als sie eine seltsame Fellverfärbung an seinem linken Vorderbein bemerkte. "Hast du dich etwa verletzt?" Fragte sie, doch dann stutzte sie. Gerade als sie sich hinunterbeugen wollte, um sich sein Bein genauer anzusehen, riss Draco den Kopf hoch und schnappte nach ihr. Seine Zähne trafen schmerzhaft auf ihren linken Oberarm und Hermine quietschte erschrocken auf. "Malfoy, hör auf!" Empörte sie sich und das Pferd sah sie beleidigt aus seinen graublauen Augen an, als wollte es sagen Jetzt also Malfoy, nicht Draco? Frauen! Und FINGER WEG von meinem Vorderbein, das geht dich gar nichts an, Schlammblut!" Hermine war über Dracos plötzlichen Ausbruch so erschrocken, dass sie nicht hörte, wie sich plötzlich Schritte näherten.

Blaise Zabini näherte sich der Koppel. "Ich sehe, Draco hat sich schon eingelebt!" meinte er grinsend, als er beobachtete, wie das braune Pferd mit der blonden Mähne mit Bocksprüngen und Tritten in alle Richtungen über die Weide fetzte. "Tja.." meinte Hermine "Ich würde sagen, der zählt zur Kategorie sehr lebhaft. Eigentlich ein wundervolles Pferd." Sie hielt sich den Mund zu. Erst denken, dann Reden, Hermine! Aber es war schon zu spät. "Solche Worte über einen Slytherin aus dem Mund einer Gryffindor?" Mist. Aber Zabini sah das anscheinend nicht so eng. "Ja, in der Tat. Lebhaft." Er beobachtete, wie Draco langsam näher kam. "Typisch Malfoy", meinte Hermine "Du bekommst immer sofort mit, wenn über dich geredet wird." Das Pferd schnaubte. Dann wandte es sich Zabini zu und stupste ihn an. Seine Schnauze suchte in dem Umhang des Slytherin nach etwas Essbarem. Blaise strich ihm liebevoll über den Kopf und Draco schmiegte sich an ihn. "Das bleibt aber unter uns, das Geknuddel, alter Freund!" lachte Blaise. Hermine musste mitlachen. "Typisch pferdiges Verhalten, würde ich meinen." Wie zur Bekräftigung stieß der Hengst ein Wiehern aus und begann jetzt, an Hermines Umhang zu knabbern, als er zu dem Schluss kam, dass Zabini keine Leckereien dabei hatte. "Ich muss dann auch mal. Sprout verlangt zu Morgen noch einen Aufsatz über die Teufelswurz und ich habe noch nicht mal angefangen." meinte der Slytherin da. Hermine, fleißig wie sie war, hatte den Aufsatz natürlich längst fertig. Kaum war Blaise weg, galt Dracos Aufmerksamkeit wieder voll und ganz Hermine. "Ich glaube, ein bisschen Training täte dir gut, hm?" meinte sie plötzlich. Draco war wirklich ein prachtvolles Exemplar von Pferd und Hermine hatte das Gefühl, dass die Kraft, die in ihm steckte, irgendwohin musste. Also ging sie in den Stall und durchwühlte Hagrids Sachen zur Tierpflege. Tatsächlich fand sie einige nutzvolle Dinge: einen Putzkasten, eine Trense, eine Longe und einen stilvoll verzierten, aber etwas abgenutzten Sattel, der offensichtlich nicht für ein Pferd gedacht war. Mit einem einfachen Zauber passte sie die Sachen an Dracos Größe an. "Draco! Komm her!" rief sie und schnalzte mit der Zunge. Sie hatte zwar nicht erwartet, dass er darauf reagierte, doch er kam brav angetrottet. "Das mit dem Halfter hat ja schon ganz gut geklappt, dann probieren wir uns doch mal an der Trense!" meinte sie und hielt diese hoch. "Du wirst sehen, das ist gar nicht schlimm!" Doch Draco war anderer Meinung. Schlimm? Ich will doch keine Maulsperre! Was zum Geier soll das sein? Es kostete Hermine viel Überzeugungskraft, um Draco die Trense anzulegen. Am Ende war sie völlig aus der Puste und ihre Hand übersäht mit Bissspuren, aber vor ihr thronte ein voll aufgezäumter, etwas beleidigt dreinguckender Draco. Sie hakte die Longe in die Trense ein und führte ihn in die Mitte der Koppel.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten trabte Draco brav, aber schwungvoll im Kreis. Er hatte den Kopf ganz ohne Ausbinder gesenkt und kam nicht ein einziges Mal aus dem Takt. Hermine wunderte sich ein weiteres Mal über das prachtvolle Pferd. Draco schnaubte schwer, als sie ihn auslaufen ließ. Er streckte sich und fiel in einen langsamen Schritt. Dann trottete er auf sie zu und stupste sie an. Hermine holte ein Leckerli aus ihrer Tasche und sofort hatte Dracos weiche Schnauze ihren Weg zu ihrer Tasche gefunden. "Oh, nein. Das lassen wir schön bleiben!" Meinte sie lachend und schob Dracos Kopf beiseite. Nach einer ausgiebigen Streicheleinheit und noch vier weiteren Leckerlis ließ sie ihn wieder frei auf der Koppel laufen. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie spät es schon war und saß den Rest des Nachmittags verträumt am Koppelzaun und sah dem braunen Pferd zu, wie es sich auf der Koppel vergnügte. Dabei fiel ihr erneut die seltsame Fellverfärbung an seinem linken Vorderbein auf, doch sie wagte es nicht, noch einmal zu ihm zu gehen, um sie sich genauer anzusehen, aus Angst, er könne sie wieder beißen. Als es dunkel wurde, brachte sie Draco in seine Box zurück und begab sich dann in die große Halle zum Abendessen.

Später ließ sie sich den Tag durch den Kopf gehen. Draco hatte sich beim longieren gut gehalten, vielleicht würde sie mit ihm doch noch Spaß haben, bevor er zurückverwandelt würde. Denn eines stand mit Sicherheit fest: als Pferd war er wesentlich erträglicher.

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