«Im Dunkeln ist gut munkeln»

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Mit soviel Anmut wie ich konnte, ging ich zurück zu ihnen. Zu meinem Glück ging niemand weiter auf meine Tolpatschigkeit ein. Sie hatten derweil anderweitigen Gesprächsstoff gefunden. Unsere kleine Runde unterhielt sich über allgemeine Belanglosigkeiten, zumindest solange bis James und Sarah eine Rechtsdiskussion anzettelten. Hierbei hatte ich Nichts hinzuzufügen, zu trocken waren mir Gespräche über Paragraphen und deren Auslegungen. Ich seufzte auf. Wenn sie erst einmal tief in ihre Materie versunken waren, konnte nur noch ein Erdbeben ihr Gespräch unterbrechen.

In einem unbeobachtet Moment verschob sich mein Blickfeld zu Daryl. Seine Arme hielt er verschränkt vor der Brust. Konzentrierte folgte er der Unterhaltung, warf hier und da einen Kommentar dazwischen. Er war wortgewandt, das musste ich ihm lassen. Mit Leichtigkeit konnte er mit Argumenten seinen Bruder aus der Reserve locken.

Was war es nur, dass ich mich in seiner Nähe fühlte, als sei ich ein einsamer Baum auf einer Lichtung. Bei jeder unserer Begegnungen rollte er wie ein Flammeninferno über mich hinweg, um nichts als verbrannte Erde zu hinterlassen - eine leere Ödnis in meiner Brust.

Langsam wanderten seine Mundwinkel nach oben, als er bemerkte, dass ich ihn ungeniert anstarrte. Unter seinem intensiven Blick fühlte ich mich nackt, wie eine weiße Wand. Nervös strich ich eine losgelöste Strähne hinter mein Ohr und blickte schnell zu Boden, währenddessen rückte ich näher an James heran. Für mich war er ein sicherer Hafen, wenn die offene See mich verschlingen wollte oder in diesem Fall Daryl's durchdringende Augen. Abrupt endete das Gespräch, als ich unterbewusst nach dem Arm meines Freundes griff. Erst sah er zu mir, dann zu seinem Bruder, der mit Unschuldsmiene die Schultern hob.

„Kommt Leute, wir gehen rein, der Film geht gleich los!", meinte James zu uns, aber der kühle Unterton in seiner Stimme ließ nichts Gutes ahnen.

Mir schien es als hätte die bloße Anwesenheit seines Bruders ihm nun gründlich die Stimmung verhagelt. Und wie zur Bestätigung meines Verdachts schob er Daryl regelrecht in Richtung Eingang, der sich widerrum gegen seinen Nachdruck wehrte. Energisch schlug er die Hand von sich und fuhr seinen jüngeren Bruder an: „Was soll der Scheiß, Mann?"

Daraufhin ließ James undeutliche aufgebrachte Wortfetzen auf ihn niederregnen. „Ich warne ... Fern! ... kein Spielzeug!"

Gänzlich verwirrt, verfolgte Jess und ich der Szenerie, die sich gerade vor uns abspielte. „Welche Laus ist denn denen über die Leber gelaufen?", fragte sie.

Statt einer Antwort schaute ich auf die zufalllende Glastür, hinter der beide gerade verschwunden waren, während sich in mir die Gewissheit ausbreitete das ich hierbei die Schuldtragende war.

„Kommst du?"

Eine sanfte Berührung weckte mich aus meiner Trance. Jess stand vor mir und schaute mich an, weil ich keine Regung gezeigt hatten ihr zu folgen. „Ist was?"

Kopfschüttelnd antwortete ich: „Könnte man so sagen." Ich lächelte schief und beichtete ihr das Daryl derjenige gewesen war, der mir zur Hilfe gekommen war und den ich abblitzen lassen habe.

Erstaunt wurden ihre Augen groß. „Ernsthaft? Wie ich dich kenne, wird sich der Arme noch wünschen, dir nie begegnete zu sein."

Sie lachte herzhaft. Mir jedoch war weniger zum Lachen. Ehrlich gesagt war ich mir nicht mehr ganz so sicher, wie lange ich standhaft bleiben konnte. Er weckte widersprüchliche Gefühle in mir. Ob es nur körperliche Anziehung oder etwas Tieferes, war für mich nicht greifbar. Es war anders als alles was ich je empfunden hatte, wie eine unsichtbare Verbindung, die uns aneinander kettete.

***

Wir betraten den hellerleuchteten Kinosaal. Weiche rote Sessel luden ein darauf Platz zu nehmen. Gemeinsam entschieden wir uns für die hintersten Reihe. Leider gab es nur noch wenige Wahlmöglichkeiten. Die Jungs rutschten so weit es ging durch. Jess und ich nahmen die Plätze neben ihnen an der Seite in Beschlag. Während wir unsere Sitze mit Getränken und Knabbereien präparierten, begannen die zwei Streithähne sogar ein lockeres Gespräch über James Kanzleipläne in New York. Somit schienen die Wogen zwischen ihnen wenigstens für den Augenblick geglättet zu sein. Vorerst stand einem gemütlichen Kinoabend nichts mehr im Wege.

Glück reist auf weißen Schwingen (Neufassung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt