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Ein für alle Mal kehrte ich meiner Heimat den Rücken, die zur Hölle geworden war durch eine einzige falsche Entscheidung und atmete erleichtert auf, als wir Stunden später in Washington D.C. ankamen.
Ich betrat mein kleines Zimmer, in dem Apartment, das Sarah und ich zum Beginn unseres Studiums gemietet hatten. Versunken in Gedanken durchtrennte mein Finger eine dicke Staubschicht auf dem Schreibtisch, die davon zeugte, dass hier schon lange niemand mehr drin gelebt hatte. Es war alles noch genauso, wie ich es vor einem Jahr verlassen hatte. Unter dem Fenster stand das schmale Bett und daneben ein gemütlicher Schwingsessel. Ich stellte die Tasche auf die Matratze und platzierte den Plüschbären, der mit seinem braunen Kopf aus dem Reißverschluss lugte auf dem Kissen. Er hatte ein angesengtes Ohr, aber das machte nichts. Dieses kleine Ding war eines der wenigen materiellen Erinnerungen, die ich aus dem Haus mitgenommen hatte und mich an meine Mom rinnerte.
Als ich meine Tasche weiter ausräumte, fiel mir mein Tagebuch in die Hände, das tief unter den Klamotten vergraben war. Schwer wie ein Stein lag es in meinen Händen, während ich es kurz durchblätterte.
Auf einer Seite, deren Papier gewellt von meinen vergossenen Tränen war, stoppte ich und las: „Ich habe dich geliebt, Alex. Im ersten Moment hast du mich mit deinem Blick in deinen Bann gezogen und ich bin dir hoffnungslos verfallen. Du hast mich vergöttert und mich unter dieser Last begraben – mir damit meine Freiheiten genommen. Ich habe es einfach zugelassen bis ich realisierte, dass es keine Liebe war, sondern Macht mich zu beherrschen. Besessenheit und Kontrolle aus Angst mich zu verlieren.
Das Schlimmste daran, das meine Liebe zu dir mich zu dem gemacht, was ich heute bin und niemals sein wollte – voller Furcht erneut zu lieben. Aus Angst meine Gefühle für jemand anderen könnten mich zurück in den Abgrund leiten, aus dem ich gerade entkommen bin. Warum musste das geschehen, damit ich endlich sah, wer du wirklich warst?
Mom hatte nichts damit zu tun. Im Gegenteil sie hatte mich vor dir gewarnt. Ja, mir sogar verboten dich weiter zu sehen. Aber ich wollte nicht hören, denn ich war blind vor Liebe. Und als ich es begriff, dass du unberechenbar warst, gab es kein Zurück mehr."
Heftig klappte ich das Tagebuch zu und legte es beiseite. Die Erinnerungen darin erneut aufzuwühlen, fühlte sich an wie ein gezahntes Messer zwischen meinen Rippen. Je mehr man daran zog, um sich von dem vorhandenen Schmerz zu befreien, desto höher war die Wahrscheinlichkeit daran zugrunde zugehen.Irgendwann wäre ich stark genug der Dunkelheit zwischen den Zeilen zu begegnen, aber im Moment wollte ich nur in meine Zukunft blicken und sie gestalten wie ich es wollte. Frei und ohne Zwang.
Schnell hatte ich es mir in meinem Zimmer gemütlich eingerichtet. Alle Sachen verstaut und die Staubmäuse aus den Ecken vertrieben. Zufrieden mit meinem Tagewerk setzte mich auf das Bett und begann voller Tatendrang die Tageszeitung nach Jobs zu durchforsten. Von irgendetwas musste ich schließlich leben, da das Stipendium nur das Schulgeld und einen kleinen Teil der Unterkunft abdeckte.
Zeile um Zeile strich ich jede Annonce ab, die nichts für mich war. Und mit jeder roten Linie verließ mich die Hoffnung schnell einen Job zu finden, der mit meinem Studienplan zusammen passte. Ich blickte von der Zeitung auf, als die angelehnte Zimmertür vorsichtig geöffnet wurde und Jessicas von schwarzen Haaren umrahmtes Gesicht in mein Zimmer hinein spähte.
„He, kann ich reinkommen?"
„Klar", antwortete ich und legte das doppelseitig bedruckte Tagblatt neben mich. Viele interessant Stellen waren nun leider nicht mehr übrig.
Sichtlich erstaunt betrachtete sie den blitzsauberen Raum und trat ein. Anerkennend pfiff sie, als sie eine Wischprobe auf dem Bücherregal neben dem Schreibtisch machte und kein Staubkörnchen fand. „Wow, so sauber war es lange nicht mehr."
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Glück reist auf weißen Schwingen (Neufassung)
Fiksi UmumDas Leben eines Menschen besteht aus Entscheidungen und jede Wahl zieht Konsequenzen nach sich, die seine Zukunft ändern. So erging es auch der 25jährigen Architekturstudentin Carolyn. Der unerwartete Tod ihrer Mutter hat ihre Träume, wie die morsc...