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Sobald die Sonne den Horizont durchwandert hatte, stand ich vor der Polizeiwache und hielt das ledergebundene Buch fest an meine Brust gedrückt. Ich sah zum Eingang hinauf. Zögerlich nahm ich die erste Stufe.
„Du tust das Richtige. Er hat es nicht verdient weiter auf freien Fuß zu sein." James Hand stärkte meinen Rücken, als ich unter wackligen Schritten die Treppe zum Revier 91 erklomm. Ich hatte ihm alles erzählt was zwischen Alex und mir passiert war. Nichts hatte ich ausgelassen. Jeden kleinen Ballaststein von meiner Seele abgeworfen.
„Ich weiß. Bloß wie soll ich es schaffen einem Fremden, das alles zu erklären?", fragte ich und blickte zwischen den meist männlichen Polizisten umher. Würde sie mich überhaupt ernst nehmen? Das letzte Mal als ich dem Büro eines Deputies saß, wusste ich gleich, ich hatte keine Chance. Niemand warf Dreck auf den Namen der Winter's, denn sie sponserten die halbe Stadt Blackwood. Und ich lief einfach davon, ging zurück nach Washington.
„Die Beamten hier sind auch nur Menschen und glaub mir die Leute da drin sind einiges gewohnt. Kein Grund für Zurückhaltung“, machte er mir Mut und öffnete die Tür mit der Aufschrift Officer Hawkins.
Gemeinsam betraten wir ein dunkles Büro, durch dessen geschlossenen Außenjalousien kaum ein Licht fiel. Auf einem Schreibtisch in der Mitte türmten sich Aktenordner und dahinter saß ein freundlich wirkender Polizist.
„Ah, Miss Callahan setzten sie sich", begrüßte er mich und bot uns einen Platz vor seinem Arbeitsplatz an.
Mit kalten Hände zog ich einen der Stühle zu mir und setzte mich auf die harte Holzfläche.
Er blätterte in der Akte und fragte mich ohne davon aufzusehen: „So laut ihrer Aussage kennen die Mister Winter näher. Warum hat er sie gestern aufgesucht und sie bedroht?“ Sein skeptischer Blick traf mich. Gespannt auf meine Antwort stützte er seine Ellenbogen auf dem Tisch ab und faltet seine Hände vor seinem Gesicht.
Ich fummelte nervös an dem roten Band von meinem Tagebuch und sah Hilfe suchend zu James, der mich bestärkend anlächelte. „Wir hatten vor über einem Jahr eine Liebesbeziehung, die ich beendete habe, nachdem er die Hand gegen mich erhoben hatte“, sagte ich selbstsicher und mein Herz fühlte sich befreit diese Worte laut auszusprechen. „Seit dem versucht er mich mit allen Mittel zurückzubekommen." Ich legte dem Beamten das Foto vor, das Alex für mich in der Bar zurückgelassen hatte.
Eine Weile betrachtete er es und runzelte dabei seine Stirn, als wäre mein einziger handfester Beweis gegen meinen Ex nicht viel wert. „Das sind schwere Anschuldigungen, die Sie vorbringen. Stalking ist kein Kavaliersdelikt. Können Sie mir sagen, warum Sie erst jetzt damit zur Polizei kommen?“
„Ich hatte Angst. Niemand hätte einem geistig labilen Mädchen auf Medikamenten, die gerade ihre Mutter verloren hatte, geglaubt“, erklärte ich mich mit zitternder Stimme. „Seine Worte waren unmissverständlich, dass es sinnlos sei vor ihm davon zu laufen.“ Ich schob das aufgeschlagene Notizbuch über den Tisch. „Darin steht alles, was ich seit unsere Trennung verfasst habe. Jede Begegnung mit ihm bis zu dem Tag zurück als durch seine Hand meine Mutter ihr Leben verlor“, stockte ich,„und ich meine Seele“, ergänzte ich im Flüsterton.
„Ich muss es einbehalten, wenn es ein Beweisstück darstellt!“, erwiderte er trocken.
Mit einem Seitenblick erfasste ich James zustimmendes Nicken. Ich schluckte. Da standen so viele persönliche Sachen drin, die ich ungern mit Fremden teilen wollte. Auch wenn die Chance klein war, dass diese Aufzeichnungen halfen ihn zur Rechenschaft zu ziehen, wollte ich es wenigstens versucht haben. Mit einem Knoten im Magen willigte ich ein.
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Glück reist auf weißen Schwingen (Neufassung)
General FictionDas Leben eines Menschen besteht aus Entscheidungen und jede Wahl zieht Konsequenzen nach sich, die seine Zukunft ändern. So erging es auch der 25jährigen Architekturstudentin Carolyn. Der unerwartete Tod ihrer Mutter hat ihre Träume, wie die morsc...