«Ungebetener Gast»

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Januar 2017

Weihnachten und Silvester hatte ich bei den Millers in Peterstown verbracht, aber eine wirkliche Festtagsstimmung wollte sich nicht einstellen, da es Paul sehr schlecht ging. Schweren Herzens hatte ich mich dazu entschieden zurück nach Washington zu fahren. Somit konnte ich wenigstens die restliche freie Zeit Geld heranschaffen. Jetzt wo ich die Miete allein stemmen musste, schrumpfte mein kleines Notpolster zusehends.

Wie immer parkte ich meinen Wagen in der schmalen Seitengasse neben der Bar. In der abendlichen Atmosphäre lag ein Hauch von Schnee. Die klirrende Januarkälte kroch langsam meine Beine empor. Ich zog meine offenstehende Daunenjacke enger um meinen Körper und rannte eiligst zum Eingang. Eine Dunstwolke aus Alkohol erfüllte die warme Luft, sobald ich die Türschwelle übertrat. Schnell durchquerte ich den schon gut besuchten Gastraum.

Kat begrüßte mich in ihrer herzlichen Art und küsste mich links und rechts auf die Wange. „Bist spät dran heute."

„Sorry, der Käfer ist bei dieser Hundekälte nicht angesprungen", seufzte ich entschuldigend. Dreißig Minuten hatte ich allein versucht den Motor zu starten, bis mir ein freundlicher Nachbar Starthilfe gegeben hatte. So sehr ich den Gedanken an die Notwendigkeit eines neues Auto auch hasste, irgendwann käme der Tag, an dem ich nur noch mit einem Lenkrad in der Hand hier auftauchte, weil der Rest des Autos in Einzelteilen auf der Straße lag.

„Kein Problem. Die Jungs da drüben haben ihre Junggesellenfeier schon ohne dich gestartet", meinte sie und deutete auf die angeheiterte Gruppe.

Ich folgte der Richtung, in die sie wies und sah die feiernde Meute. Bei einigen glänzte der Alkohol bereits verräterisch in den Augen. Wie ausgehungert Wölfe warteten sie auf ihre nächste Runde, die Kat schon auf dem Tablett fertig gemacht hatte.

„Wenn's dir nichts ausmacht, klemm ich mich heute hinter die Theke", schlug ich vor. Normalerweise hatte ich keine Probleme die Laufarbeit zu machen, aber seit der Sache mit Pete war ich vorsichtiger geworden.

„Von mir aus. Mehr Trinkgeld für mich." Sie zwinkerte mir zu und brachte mit schwingenden Hüften den Männern ihren lang ersehnten Nachschub.

Gegen zwei Uhr morgens war der Laden endlich leer und aufgeräumt. Erschöpft setzte ich mich neben Kat auf den Barhocker.

„Oh man ich kann nicht mehr zählen, wie viele Typen mir heute an den Arsch gegriffen haben", stöhnte sie ausgelaugt, „aber die Quälerei hat sich gelohnt." Sie griff grinsend in ihren weiten Ausschnitt und holte ein beachtliches Geldscheinbündel hervor. Triumphierend wedelte sie damit vor meiner Nase herum.

Was wohl ihr Mann Luca davon hielt, das fremde Männer sie mit Blicken auszogen und ihre Hände nicht bei sich behielten. In diesem Punkt konnte ich ihre Arbeitsweise nicht nachvollziehen. Das war einfach erniedrigen. Ich konnte nicht länger schweigen und mitansehen wie sie sich verkaufte.

„Nur des Geldes wegen solltest du dich nicht so begrabschen lassen", meinte ich zu ihr. Daraufhin vertieften sich ihre Falten um den Mund, als sie ihre Lippen fest zusammen presste. Ihr Blick wurde hart.

Hatte ich etwas Falsches gesagt?

Dann seufzte sie auf und schloss einen Moment die Augen, bevor sie mich wieder ansah, deutlich milder als zuvor.

„Ach, Caro. Ich bin dir wirklich dankbar für deine Sorge, aber ich werde nicht jünger. Nach über zwanzig Jahren in dem Job zählt jeder Penny, den ich noch nach Hause bringen kann, um meine Familie durchzubringen. Ich hatte nie eine andere Möglichkeit als das hier." Sie machte eine allumfassende Bewegung.

Glück reist auf weißen Schwingen (Neufassung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt