«Hoffnung auf einen Neubeginn»

145 15 12
                                    

Für viele Menschen sind Träume eine Flucht aus der Realität - nicht für mich. Die dunklen Schleier sind meine Wirklichkeit, denen ich unermüdlich versuche zu entkommen. In ihnen trennt sich mein Körper von meiner Seele, um den Schmerz der noch immer lebendigen Erinnerung zu vergessen.

Tagebucheintrag vom August 2017

|1|

Zerrissen begegnete ich einem neuen Tag. Ich hörte mein Herz schlagen und doch fühlte ich mich nicht lebendig. Wie jeden Morgen griff ich routiniert zu der Medikamentenbatterie auf dem Waschtisch. Mein Blick blieb fest auf die kleine Plastikdose in meiner Hand fixiert. Ich brauchte mich nicht im Spiegel zu betrachten, um zu wissen, was ich darin sehen würde. Auf ewig hatte sich mir der gebrochene Ausdruck meiner Augen ins Gedächtnis eingebrannt. Er begleitet mich über den Tag, ebenso wie die dunklen Ringe, die darunter lagen. Allesamt waren sie stumme Zeuge einer ruhelosen Nacht, aus der ich schweißgebadet erwacht war.

Ein dumpfes Geräusch ertönte aus meiner Hand, als ich vdie Schmerzmitteldose öffnete und mir eine Tablette zwischen die Lippen steckte. Angewidert von dem bitteren Geschmack schnitt ich eine Grimasse und spülte sie mit einem großen Schluck Wasser hinunter. Geistesabwesend betrachtete ich das fließende Wasser aus dem Wasserhahn, wie es in einem drehenden Strudel im Waschbeckenabfluss verschwand. Ich stützte mich auf die Ränder des Beckens und wartete schwer atmend das die Tablette endlich ihre Wirkung entfaltete.

Starr glitt mein Blick an meinem Oberkörper hinab und blieb an den runzeligen Narben hängen. Sie bedeckten meinen Bauch unterhalb des Nabels. Oberflächlich war die dünne Haut verheilt, doch jedesmal nach dem Duschen, wütete ein glühender Feuerwurm darunter, der ohne Medikamente unerträglich für mich war. Ich fühlte mich gefangen wie in einem zu engen Kokon. Einzig mit dem Unterschied, dass sich unter meiner Pelle kein schöner Schmetterling mehr verbarg.

Wer bist du? Das fragte ich mich ständig, wenn ich meinen fremd gewordenen Körper betrachtete und die Antwort darauf. Ich weiß es nicht mehr.

Das glückliche Mädchen von einst, das lebenslustig, offen und von der großen Liebe geträumt hatte, war verschwunden. Nur ein seelenloser Körper, der jeden Tag einen neuen Kampf ausfocht, war mir geblieben.

Mich auf Alex einzulassen war dumm gewesen. Er war die verbotene Frucht im Paradies, die ich um jeden Preis kosten wollte. Doch ich wurde aus dem Garten Eden geworfen und landete direkt in der Hölle. Mit meinen fünfundzwanzig Jahren hatte ich gedacht, schlau genug zu sein die Tücken des Lebens zu erkennen und zu umschiffen. Aber dem war nicht so und ich hatte diese Naivität bitter bezahlt.

Unter einem salzigen Rinnsal verschwamm meine Sicht auf die entstellte Haut. Wütend wischte ich es weg und wandte mich vom Waschbecken ab. Schnell sammelte ich all meine Utensilien aus dem Bad zusammen und verließ es in Richtung Schlafzimmer. Vor dem Kleiderschrank blieb ich stehen und betrachtete den überschaubaren Inhalt darin. Da ich sowieso nur Kleidung tragen konnte, die weit geschnitten war und nicht allzu sehr an der noch empfindlichen Haut rieb, fiel mir die Wahl leicht.

Bekleidet in einer bequemen Jeans und einem unförmigen Pulli, der eher einem Zelt ähnelte, machte ich mich an die Arbeit den Rest des Schrankes leer zu räumen. Viel hatte ich nicht, was mir gehörte. Die wenigen Sachen passten in eine geräumige Reisetasche und in einen kleinen Karton. Im Wissen, dass ich nicht vor hatte ihn jemals wieder zu öffnen, hatte ich dessen Deckel fest verklebt.

Lautstark klopfte es an der Tür. „Lyn wir wollen los!", trieb mich meine beste Freundin zur Eile an.

„Einen Moment noch, Jess!" Vorsichtig lugte hinter dem Schrank hervor und sondierte die Lage. Sicherlich würde sie genervt sein, da ich Mal wieder nicht alles gepackt hatte.

Glück reist auf weißen Schwingen (Neufassung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt