Wie jede Pizza, ging auch diese zu Ende. „Wie bist du eigentlich hergekommen?", fragte Lucas mit einem skeptischen Blick in die Auffahrt. Er stand neben mir im Flur, während ich meine Schuhe anzog. „Ich bin gelaufen.", erklärte ich lachend, „das kennt ihr reichen Villenbewohner gar nicht mehr oder?" „Du bist gelaufen?", fragte er überrascht. „Jap. Ich gedenke sogar zurück zu laufen." „Draußen ist es dunkel." „Ja. Na und? Sehe ich aus als hätte ich Angst im Dunkeln? Im Gegenteil: Unterm offenen Sternenhimmel fühle ich mich am wohlsten." „Wir leben hier nicht auf dem Land Mara. Hier kennt nicht jeder jeden. Hier laufen Gestalten rum, denen du besser nicht mitten in der Nacht begegnen solltest. Das ist gefährlich! Versprich mir das, nicht mehr zu wiederholen!" Erst sollte ich ihm versprechen seinen Eltern nichts von den Kämpfen zu erzählen und jetzt nicht mehr alleine nach Hause zu laufen. Ich fragte erstaunt: „Machst du dir vielleicht Sorgen um mich?" „Jemandem mit Überfallstrauma werde ich nicht das Herz herausreißen.", redete er sich raus und erinnerte mich wieder an das erste Versprechen seinerseits. Ich seufzte: „Ich dachte, darüber wären wir endlich hinweg Lucas." „Ich vergesse nie Mara." „Schön für dich, du Elefant. Wie soll ich denn dann deiner Meinung nach nach Hause kommen?" „Ich fahre dich", stellte er wie selbstverständlich fest, „und wenn ich schon dabei bin, möchte ich dir auch etwas zeigen." „Du möchtest mir jetzt noch etwas zeigen? Ist es nicht etwas spät dafür?" „Du hast doch behauptet, dass du den Sternenhimmel liebst, dann aber ein Früh-ins-Bett-Geher sein oder was?" „Ich mag auch die Schule, obwohl ich sie zugleich hasse und muss jeden Tag hin.", erklärte ich. „Was?" „Musst du nicht verstehen.", machte ich eine abwerfende Handbewegung, obwohl ich es selbst nicht verstanden hatte. „Also möchtest du sehen was ich dir zu zeigen habe?" „Klar. Ich meine, wenn das Date morgen beziehungsweise heute klappt, kann ich schließlich nichts mehr einfach so mit irgendwelchen Jungs unternehmen." „Du gehst ja sehr optimistisch an die Sache heran." „Er scheint nett zu sein." „Vielleicht haben ihm deine Brüder gesagt, dass das die einzige Masche ist, die bei dir zieht." „Wenn er nicht wirklich an mir interessiert wäre, würde er sich nicht extra verstellen." „Diese Logik ist in jederlei Hinsicht für die Katz. Willst du, dass sich jemand für dich verstellt? Möchtest du nicht jemanden so kennenlernen wie er wirklich ist? Außerdem stellt sich noch die Frage an was er von dir interessiert ist. Wegen deinem Charakter hat er dich wohl kaum angesprochen, denn wie du bereits sagtest, ihr kanntet euch gar nicht." „Ich habe eine positive Ausstrahlung.", stellte ich fest. „So naiv bist du nicht.", sagte er trocken. Ich schluckte: „Nein, bin ich nicht.", naja, eigentlich ja schon, „aber er wird mich kennen lernen und sich in meinen Charakter verlieben und ich werde auch ihn kennen lernen." „Ja, vielleicht. Es gibt allerdings auch geduldige Jäger." „Dann wird er bei mir sehr sehr geduldig sein müssen.", lachte ich ein wenig beunruhigt. „Wir schon schiefgehen...", ergänzte ich eher für mich selbst.
Durch den raschen Fahrtwind des Motorrads beziehungsweise Zweirad, ich habe doch keine Ahnung wie man diese Dinger unterscheidet, war es deutlich frischer, wie als ich hergelaufen war. Lucas Körper, an welchem ich mich festhielt, strahlte jedoch eine angenehme Hitze aus. Ich war noch nie zuvor auf einem motorisierten Zweirad gesessen und obwohl es ein wenig gruselig war und Lucas ein riskanter Fahrer zu sein schien, hatte es etwas Befreiendes. Fahren lernen wollte ich es jedoch nicht. Viel zu gefährlich in einer Gegend voller Menschen die als Tempolimit nur ihren Geldbeutel kannten. Der Wind rauschte in meinen Ohren. Es war schwer gegen das Brausen anzukommen: „WOHIN FAHREN WIR???", versuchte ich gegen den Wind anzuschreien. „LASS DICH ÜBERRASCHEN!!", brüllte Lucas zurück. Mich überraschen lassen. Ich liebte Überraschungen, doch ein Freund von Geheimnissen war ich nicht. Ich versuchte mich auf die Umgebung zu konzentrieren, vielleicht konnte ich ihr die Wahrheit entlocken. Viel zu sehen gab es nicht, ab und zu ein paar schwarze Schatten in der Dunkelheit. Vermutlich Bäume. Kurz fuhren wir auf den Highway, er war wie leer gefegt um diese Uhrzeit, dann bog Lucas, aber auch schon wieder ab und die hellen Lichter der Autos wurden durch den weichen Schein seines Gefährtes ausgetauscht. Bald bog er erneut ab und wir fuhren einen Berg hoch. Die Straße war umgeben von Bäumen. Es roch nach Kiefernwald und... und die Luft schmeckte salzig, fast schon nach...nach Meer! Unmöglich!
Die Straße endete in einem kleinen Parkplatz. Wohl für Wanderer, wozu sonst die unbetonierten, versteckt abführenden Wege und das Schild mit einer Wanderkarte...du bist ja so schlau Mara.. Wir stiegen ab und entfernten die Helme. „Wo sind wir hier und vor allem was machen wir hier?", fragte ich neugierig. Lucas schnalzte grinsend mit der Zunge: „Na na, immer schön geduldig bleiben, Hamilton!" Geduldig bleiben. Er hat gut reden. Wie oft hatte er mich jetzt schon auf die Folter gespannt, immer erwartete er, dass ich geduldig blieb, er selbst musste nie mit der eigenen Geduld kämpfen. „Du hast gut reden...", grummelte ich und machte meinem Unmut Luft. Lucas lachte: „Du siehst es ja gleich und jetzt komm!" Wie damals beim Ausflug zum Kampf nahm er mich an die Hand. Er führte mich zu einem von Gestrüpp verdeckten Weg, der steil nach oben führte. Ich folgte ihm schweigend, stolpernd, während er mich geschmeidig den Weg entlang führte. Es schien nicht das erste Mal, dass er diesem Weg folgte. Er kannte jede Wurzel, jeden noch so kleinen Stein, wusste welcher Ast Dornen hatte, wann er sich bücken musste. Der Pfad endete und das Gestrüpp lichtete sich.
Lucas ließ mich los und ich trat staunend vor. Tausend Sterne funkelten mir entgegen. Die Nacht war so klar wie ich sie selten kannte. Ohne es richtig zu bemerken hatten wir die Spitze des Berges erklommen und vor uns glitzerte in weiter Tiefe das Meer und erstrahlte im sanften Mondlicht. Man hörte ein leises und entferntes Rauschen und das Schlagen der Wellen, die weit unten gegen die steilen Klippen schlugen. Dazu der angenehme Geruch nach Kiefern in Kombination mit dem salzigen Geschmack des Meeres. Es war einfach unglaublich, atemberaubend, wunderschön! „Gefällt es dir?", fragte Lucas mit einem kleinem Lächeln. Ich sah ihn an, betrachtete seine leuchtenden Augen, mit der Farbe, des Meeres hinter sich. „Riechst du deswegen nach Kiefern?" Er lachte: „Ich rieche nach Kiefer? Das war mir gar nicht bewusst." „Verbringst du viel Zeit hier oben?", ich war noch immer ganz verzaubert von diesem magischen Ort. Sein Lächeln war schüchtern, sehr ungewohnt für diesen sonst so harten coolen Jungen: „Nur zum Nachdenken." Es war also auch für ihn ein besonderer Ort. Aber warum zeigte er ihn mir dann? „Wie kannst du das Kämpfen lieben und gleichzeitig einen solchen Ort zum Nachdenken haben?", die Kombination war für mich mehr als suspekt, einfach vollkommen unverständlich. Dieser Ort hatte etwas poetisches, magisches und nichts mit roher Gewalt zu tun. Lucas setzte sich auf den von der Tagessonne aufgewärmten Felsen: „Wie kannst du ein Früh-ins-Bett-geher und zugleich ein Nachlieber sein?" Gutes Argument. Ich setzte mich neben ihn: „Ich weiß nicht. Ich brauch beides. Das eine zum Träumen, das andere zum Leben." „Warum entfliehst du in eine Traumwelt? Hast du nicht gemeint du bist glücklich mit dem was du hast und würdest nichts an deiner Lebensweise ändern wollen?" Wow, daran erinnerte er sich? Die Psychologiestunde mit dem Interview schien eine Ewigkeit her... „Ich versuche nicht wirklich von der Realität zu fliehen. Die Nacht hat nur etwas Magisches an sich und mir gefällt dieser Traum von einer anderen Welt voller Magie. Fliehst du vor der Realität, wenn du hierher kommst?" Er seufzte: „Mehr oder weniger. Ein großes Haus ohne andere Menschen hat etwas Einsames. Hier fühle ich mich weniger allein, ich werde besser mit meinen Problemen fertig." Ich traute mich nicht zu fragen, warum er mich hergeführt hatte, wenn der Ort im doch so viel bedeutete, und fragte stattdessen: „Und das Kämpfen." „Stress abbauen.", erklärte er knapp. Ich musste schmunzeln: „Könntest du nicht einfach laufen gehen, statt Leute zu verprügeln." Er lachte: „Selbst du musst dir doch manchmal wünschen jemanden in die Fresse zu schlagen." „Seltsamerweise habe ich dieses verlangen bisher immer nur bei deiner Wenigkeit verspürt.", stellte ich fest. Er schien belustigt: „Oh. Dann hebe ich mich ja wenigstens von den anderen ab." Ich verdrehte die Augen: „Ach, halt die Klappe Grey!" „Für dich doch immer Hamilton."
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I'm your Robin Hood
Teen FictionMara ist ein ganz normales Mädchen. Ein fast ganz normales Mädchen. Sie ist eine Hamilton und ihre Familie stinkreich. Zudem sind ihre Brüder zwei elende Aufreißer. Dann ist da noch Lucas der Bad Boy der Schule und größte Feind ihrer Brüder. Als o...