Kapitel 16

189 10 0
                                    

Nachdem wir einige Straßen weiter gegangen waren, riefen wir Norbert an. Wir hatten uns darauf geeinigt, dass wir ihm so schnell wie möglich davon erzählen sollten. Anschließend wollten wir Eduard anrufen, damit wir ihn noch einmal über die Sache mit den Erinnerungen ausfragen konnten.
Ich durchsuchte meine Kontaktliste und fand ihn schließlich, während wir uns auf eine Bank setzten.
Als er das Gespräch annahm schilderten wir ihm das Problem noch einmal, auch dass Victor meinte, ich komme ihm bekannt vor.
"Nun", sagte Norbert langsam, "Das ist wahrlich ein Problem."
"Ach, echt?" Fragte Joris mies gelaunt.
"Jedoch eigentlich gar kein so großes, wie mir gerade auffällt", sagte er nun etwas schneller.
"Ach, nennst du das jetzt ein kleines Problem?!" Fragte Joris entgeistert.
"Natürlich ist es ein großes Problem, ich habe mich falsch ausgedrückt. Ich meine, diese Savants kommen nach Amsterdam, wo wir ein Unternehmen und am nächsten Tag fliegen sie nach Antwerpen, wo wir ebenfalls ein großes Unternehmen haben. Und heute habe ich erfahren, dass sie davor in Luxemburg waren, wo wir ebenfalls ein Unternehmen haben. Damit meine ich, dass sie Zufälligerweise ziemlich oft in die Bank gekommen sind, die unser Unternehmen tarnt. Wo gehen sie als nächstes hin? Rotterdamm? Hamburg? Frankfurt? Irgendeines unserer Unternehmen wird einen Schwachpunkt haben und wenn die ein Unternehmen haben, haben die alle! Was glaubt ihr, warum es so schwer ist, einen dieser Arbeitsplätze zu bekommen? Deswegen ist es auch nicht möglich, unsere Sache von innen heraus zu zerstören. Also versucht diese Benedict Familie es von außen. Jetzt machen sie es vielleicht noch getarnt als Familienausflug, doch wartet nur ab, bis sie einen Schwachpunkt gefunden haben. Der eine Arbeitet beim FBI und der andere ist Polizist. Und glaubt nicht, dass die anderen Brüder harmlos sind. Vielleicht arbeiten sie nicht direkt als Polizist- das heißt aber nicht, dass sie es nicht drauf haben. Wenn die einen Schwachpunkt finden- und das tun sie mit ihren Gaben sicher, falls wir nichts dagegen unternehmen- hetzen die uns das ganze FBI auf den Kopf, selbst wenn wir nur in Europa eingenistet sind.
Jetzt kommen wir zu eurem Problem, was in diesem Fall eher gut ist. Findet nebenbei alles über diese scheiß Familie heraus, findet ihren Schwachpunkt und sorgt verdammt noch mal dafür, dass es bei einem Familienausflug bleibt!" Sagte Norbert, dessen Stimme mit der Zeit immer und immer lauter wurde, bevor er auflegte.
"Alles klar", sagte Joris langsam.
"Jetzt dürfen wir noch eben Eduard anrufen", freute ich mich genau so sehr wie Joris.
"Na super", sagte er und stöhnte, "und ich hab Mandy gesagt, ich bin nur kurz weg."
"Wer weiß, was sie jetzt alles in deiner Wohnung macht", scherzte ich, "hast du irgendwelche wichtigen Unterlagen da drin?"
Anstatt irgendetwas dummes dazu zu kommentieren, weiteten sich seine Augen plötzlich.
"Hast du...?" Fragte ich misstrauisch.
"Eventuell ein paar Informationen zum Unternehmen..." sagte er zögerlich, "Ungefähr alle meine Aufträge schriftlich...?"
Meine Auftragssammlung hatte ich natürlich auch, wie mir gerade auffiel, um sie meinem neuem Arbeitgeber zu geben, aber eigentlich recht gut verstaut.
"Meinst du...?" Fragte ich langsam und plötzlich fingen wir an zu rennen. An meiner Wohnung vorbei, an ein paar Straßen, bis wir schließlich vor seinem Wohnhaus ankamen. Er rannte die Treppen hoch, während ich den Fahrstuhl nahm. Der Fahrstuhl war natürlich langsamer, aber ich brauchte eine kurze Pause vom Sprinten. Natürlich hatte ich eine recht gute Ausdauer, das brauchte man einfach, wenn man oft wegrennen musste, aber nach dieser Strecke war ich echt ausgepauert. Außerdem konnte ich besser eine kurze Strecke schnell laufen als eine lange Strecke einigermaßen gleichmäßig.
Als ich fast im 5. Stock angekommen war, hörte ich Joris Stimme, die telepathisch zu mir sprach. Steig nicht aus.
Verwirrt drückte ich auf den Knopf mit der 6.
Ist sie noch da? Fragte ich ihn, während sich die Aufzugtür im 5. Stock öffnete und Pling machte.
Sie und noch ein anderer Mann. Sie sagen, sie sind vom FBI.
Die Aufzugtür schloss sich wieder, als niemand ausstieg.
FBI in Belgien? Sind das Savants?
Langsam fuhr der Aufzug ein Stockwerk höher.
Gut möglich. Die suchen etwas.
Als sich die Aufzugtür im 6. Stock öffnete, stieg ich aus.
Die Unterlagen?
Das war eines der Einstellungskriterien. Man musste gut mit Stress umgehen können, man durfte niemals ausrasten.
Gut möglich. Wahrscheinlich haben sie sie eh gleich gefunden.
Normalerweise hatte man seine Unterlagen nicht irgendwo in der eigenen Wohnung liegen, da eben so ein Fall, wie der jetzige auftreten konnte.
Wo liegen sie?
Doch weil wir so plötzlich das Unternehmen wechselten, sollten wir die Unterlagen persönlich weiter geben.
Auf meinem Badezimmerschrank.
Mithilfe dieser Unterlagen konnten die neuen Arbeitgeber heraus finden, für welche Aufträge man gut geeignet war.
Ich geb denen zehn Minuten, dann haben sie die Unterlagen gefunden.
Jeder Auftrag wird schriftlich verfasst. Auch auf Fehler wird hingewiesen.
Sehr nett von dir. Mein Badezimmer Fenster ist möglicherweise noch offen, weil ich heute morgen gelüftet habe.
Wie klug von Joris das Fenster mit den wertvollen Unterlagen offen zu lassen.
Zufälligerweise wohnst du im fünftem Stock.
Fliegen konnte ich leider nicht.
Kannst du klettern?
Ich dachte an die Einsätze, in denen ich geklettert war.
Ein bisschen.
Aber sicherlich nicht in den fünften Stock.
Wo bist du jetzt?
Ich konnte auf Bäume klettern, meinetwegen ein Stockwerk hoch, aber keine fünf.
Eine Etage über dir.
Lange kam nichts von ihm.
Kommst du in die Wohnung über mir hinein?
Ich überlegte, welche der Wohnungen über ihm war.
Ich habe kein Werkzeug mit.
Wahrscheinlich die Wohnung, die man vom Aufzug aus nicht sehen konnte.
Das sind alte Wohnungen. Die kannst du auch mit einer Kreditkarte öffnen, fals nicht abgeschlossen ist.
Während ich nach meinem Portmonee suchte, ging ich einmal um den Aufzug rum.
Und wie soll ich dann bitte in dein Bad gelangen?
Es gab zwei Türen.
Klettere.
Ich fischte meine Kreditkarte aus meinem Portmonee und ging zur ersten Tür.
Als könnte ich so gut klettern.
Die Tür lies sich nicht öffnen, was wohl bedeutete, dass sie verschlossen war.
Die Wohnungen sind identisch. Du müsstest nur von dem Badezimmer über mir in das darunter gelangen.
Ich ging zur zweiten Tür und lies meine Kreditkarte zwischen die Tür gleiten.
Und wie stellst du dir das vor?
Als ein klick ertönte, drückte ich die Tür nach vorne und sie öffnete sich.
Am Badezimmerfenster gibt es eine Fensterbank von außen.
Die Wohnung war nicht sehr aufgeräumt. Unzählige Klamotten lagen auf dem Boden vor mir.
Und das soll ich- lass mich raten- einfach so rauf springen und hoffen, dass ich nicht in die andere Richtung kippe?
Ich warf einen Blick in den nächsten Raum, der noch schlimmer als der Flur aussah.
Du kriegst das schon irgendwie hin... und fall am besten nicht runter.
Dreckiges Geschirr stapelte sich in der Spüle und auf dem Tisch stand eine halb leere Müslischale. Als weiter in den Raum trat, verzog ich angewidert das Gesicht, da sich an den Wänden bereits Schimmel gebildet hatte.
Sehr witzig.
Schnell verließ ich den Raum wieder und öffnete langsam die nächste Tür.
Donny, du weißt, was passiert, wenn du das nicht hingekommst.
Dieses Zimmer war weniger ekelerregend, auch wenn dieser Raum genauso unordentlich war. Vielen Dank, jetzt weiß ich es.
Leere Pizzakartons stappelten sich auf einem abgenutztem Sofa und im ganzem Raum verteilt lagen Bierflaschen.
Beeil dich!
Schnell machte ich auch diese Tür wieder zu und ging auf die nächste Tür zu.
Entspann dich!
Das Bad sah im Gegensatz zu den anderen Räumen recht sauber aus. Gut, wenn man mal von den von Feuchtigkeit verschimmelten Wänden absah.
Wie soll ich mich jetzt bitte entspannen? Entspannen kann ich mich, wenn ich tot bin.
Ich schritt zum Fenster und öffnete es. Schon vom runter gucken wurde mir schwindelig.
Dann stirb.
Ich war natürlich genauso wenig entspannt wie er, aber seine Anspannung versetzte mich langsam in Panik.
Donny! Hol jetzt die scheiß Papiere!
Ich blickte nochmals hinunter, diesmal schaute ich jedoch, ob ich ein offenes fenster unter diesem hier erkennen konnte.
Was glaubst du, was ich gerade versuche?
Ja, das Fenster war offen. Nein, ich sah keine Möglichkeit da runter zu kommen. Die Hauswand war zwar nicht unbedingt glatt, aber ich könnte nirgendwo halt finden.
Ich glaube jedenfalls, dass du die Papiere immer noch nicht hast, also ist der Rest unwichtig.
Die Wahrscheinlichkeit beim runtetspringen nicht auch die restlichen 5 Stockwerke runter zu fallen war ziemlich hoch.
Ich kann da nicht runter.
Selbst wenn ich es schaffen sollte, müsste ich immer noch die zwei bis drei Meter wieder hoch klettern und das war nahezu unmöglich.
Wie?! Du sagst, ich soll mich entspannen, obwohl die das gleich finden werden? Willst du mich eigentlich verarschen.
Die äußere Fensterbank war nicht aus Stein oder Holz, sondern einfach aus Kunststoff. Als ich meine Arme auf die Fensterbank stützte, um besser hinunter zu sehen, konnte ich gerade noch zurück zucken, als diese sich löste und krachend nach unten fiel. Shit.
Die Fensterbank war instabil.
Jetzt könnte ich theoretisch einfach auf die Fensterbank von Joris springen- in der Hoffnung, dass diese nicht auch unter mir nachgeben würde.
Warst du das?
Nur würde ich immer noch keine Chance haben, wieder hoch zu kommen.
War ich so laut?
Doch was für eine andere Möglichkeit hätte ich denn sonst? Dann würde ich eben die Papiere die Toilette runter spülen und dann so tun, als sei ich nur eben auf der Toilette gewesen. Ziemlich lange.
Na ja... gehts dir denn gut?
Ich wollte diesen Versuch gerade wagen, als mir eine andere Idee in den Sinn kam.
Was schätzt du, wie viel Zeit mir noch bleibt?
Ich rannte aus dem Bad wieder in den Flur und nahm mir einen Haufen voll Klamotten mit. Mit den Klamotten auf dem Arm rannte ich dann zurück ins Bad und setzte mich auf den Badewannenrand.
Nicht lange. Kann ich dir nicht sagen.
Ich versuchte so schnell, wie ich eben konnte, die Klamotten aneinander zu knoten, wobei ich mich ziemlich dumm anstellte. Selbst zum Knoten machen war ich zu dumm.
Kann man das Bad von innen abschließen?
Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte ich es dann doch geschafft eine etwa zwei Meter lange Klamottenleine zu knoten. Ob die Knoten fest genug waren konnte ich jedoch nicht sagen, dafür würde ich es aber früh genug bemerken.
Ja, kann man, der Schlüssel sollte eigentlich stecken... was genau planst du gerade?
Zitternd befestigte ich die Klamottenleine an dem Fenstergriff. Ich hatte verdammt noch mal eine scheiß Angst. Denn falls ich abrutschen sollte oder die Knoten nicht fest genug waren, würde ich ziemlich tief fallen.
Ich setzte mich vorsichtig in den Fensterrahmen und schaute noch einmal nach unten. Von hier oben sah es so aus, als wären es bis zum Boden mindestens hundert Meter, doch tief in meinem inneren wusste ich eigentlich, dass es höchstens zwanzig sein konnten.
Falls ich das hier nicht überleben sollte... sag meiner Schwester bitte nicht, dass ich gestorben bin, weil ich freiwillig aus einem Fenster gesprungen bin.
Ich umklammerte das Ende der Klamottenleine und lies mich fallen.

Forgetting DonnyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt