Kapitel 17

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Eigentlich war der Fall gar nicht so schlimm gewesen. Jedenfalls lebte ich noch. Da ich meine Füße angezogen hatte, hing ich etwa einem Meter über der Fensterbank. Langsam ließ ich meine Füße auf das Fensterbrett sinken, welches überaschenderweise nicht zusammenbrach. Das musste jedoch nicht heißen, dass das nicht gleich passieren würde. Die Klamottenleine endete ungefähr einen Meter über dem Fensterbrett und so konnte ich die Wäscheleine kniend loslassen. Vorsichtig kletterte ich in das Fenster hinein und sprang so leise wie eben möglich auf der anderen Seite wieder hinunter. Ich schlich zur Tür und drehte lautlos den Schlüssel um.
Das Badezimmer sah viel angenehmer aus als das, in dem ich eben drinnen war, auch wenn Joris recht hatte und es von der Größe her genau gleich war. Neben dem Fenster war die Toilette und neben der Tür war- genau wie oben- eine glänzend weiße Badewanne, die mit Mosaiksteinen verziert war. Einen Moment lang bewunderte ich die gelb-orangenen Mosaiksteinchen, bis mir wieder einfiel, warum ich in das Fenster geklettert war. Mein Blick schweifte zur rechten Seite, wo ein Waschbecken war. Über dem Waschbecken war ein weißer Badezimmerschrank mit Spiegel befestigt, auf dem eine Menge Shampoos, Parfüms und Deos standen. Die Unterlagen entdeckte ich jedoch nicht.
Um besser sehen zu können, stellte ich mich auf den Toilettendeckel, wobei ich fast vergaß, ihn runter zu klappen. Am Rande des Regals entdeckte ich dann etwas Weißes. Eigentlich war es nicht schwer zu übersehen, nur hatte ich von der falschen Seite aus geguckt. Joris war so dumm. Hätten diese Leute auch nur einen Schritt ins Bad gemacht, hätten sie die Unterlagen sofort entdeckt.
Leise ging ich zu der Seite des Schrankes, auf der die Papiere lagen, also zur Tür. Als ich gerade nach dem Stapel greifen wollte, hörte ich, wie hinter mir die Türklinke runter gedrückt wurde.
"Die Tür ist verschlossen", sagte eine tiefe Männerstimme.
Panisch schnappte ich mir den Papierstapel, wobei ich glatt die ganzen Parfüms vergaß. Ich realisierte erst, dass ich Joris One-Million-Parfüm auch mit runtergestoßen hatte, als dieses klirrend zu Boden fiel.
"Was war das?", rief eine Frauenstimme- wahrscheinlich diese Mandy.
"Da drinne ist jemand!", knurrte die Männerstimme und versuchte erneut die Tür aufzumachen, diesmal jedoch ein bisschen gewaltvoller.
Gib mir zwei Minuten, sandte ich Joris per Telepathie und sprintete zum Fenster.
"Das bezweifle ich, es sei denn, ihr habt jemanden rein gelassen", hörte ich Joris ruhig sagen, während ich mir den ganzen Stapel Unterlagen unter meinen Pullover schob. Anschließend steckte ich meinen Pullover in die Hose, damit nichts beim hoch Klettern raus fallen konnte.
"Dann erklär mir mal bitte, wieso es sich so anhörte, als wäre da etwas runtergefallen", erwiederte die Männerstimme bedrohlich.
Ich kletterte aus dem Fenster und griff nach der Klamottenleine.
"Nun, nichts gegen Sie persönlich, aber Sie haben nicht gerade sanft versucht, die Tür aufzustoßen, die direkt neben einem Schrank voller zerbrechlicher Dinge ist. Da könnte es schon sein, dass die ein oder andere Sache dabei runter gefallen ist", sagte Joris zögernd.
Ich seufzte frustriert und ging zum Rand des Fensters und setzte meinen rechten Fuß auf die Hauswand. Während ich meinen zweiten Fuß auch noch auf die Wand setzte und mich verzweifelt an die Klamottenleine hängte, hörte ich, wie der fremde Mann mit lauter Stimme etwas sagte, doch ich war so konzentriert darauf, nicht abzustürzen, dass ich den Inhalt nich verstand. In diesem Moment wünschte ich mir einfach, an Wänden nach oben gehen zu können. Wenn man es genau nahm, war ich sogar gerade wirklich dabei, die Wand hoch zu laufen, nur dass ich mich in meiner Variante an einem Seil aus Klamotten hochzog.
Ein Schritt, noch ein Schritt, anhalten, sich weiter an dem Seil mit den Händen hoch ziehen und weiter.
Es dauerte sicherlich mehr als zwei Minuten, bis ich das Fenster erreichte und hinein klettern konnte. Zitternd lies ich mich an der Badezimmerwand sinken und teilte Joris telepathisch mit, dass ich oben war. Nach ein paar Minuten war ich dann wieder in der Lage aufzustehen, die Klamottenleine vom Fenstergriff zu lösen und die einzelnen Klamotten wieder auseinander zu knoten. Kalter Wind wehte ins Zimmer, der mich in diesem Moment jedoch nicht störte. Trotzdem schloss ich das Fenster wieder, um schnellstmöglich zu verschwinden.
Doch während ich die Klamotten im Zimmer verteilte, sah ich aus den Augenwinkeln, wie die Türklinke des Raums, den ich mir nicht angeschaut hatte, runter gedrückt wurde.
Das war der Moment in dem ich die restlichen Klamotten fallen lies und zur Tür sprintete. Gerade in dem Moment, in dem ich die Tür krachend ins Schloss fielen lies (da mir fürs leise sein einfach keine Zeit blieb), hörte ich, wie die Zimmertür aufgemacht wurde.
Da mir keine Zeit für den Aufzug blieb und ich unten nicht gesehen werden wollte, rannte ich die Treppen zwei Stockwerke nach oben. Im achten oder neunten Stock schlug ich dann so doll auf den Knopf für den Aufzug, dass ich schon fürchtete, ich hätte ihn kaputt gemacht.
Im Treppenhaus hörte ich ein stöhnen und ein fluchen eines Mannes, doch als sich die Aufzugtüren mit einem pling öffneten, hörte ich nicht weiter hin.
Als die Aufzugtüren sich im Erdgeschoss zischend öffneten, fing ich an zu rennen. Ich rannte immer und immer schneller und stoppte erst, als ich schweißgebadet vor der Wohnung meiner Mutter ankam.
Noch nie war ich so glücklich wie jetzt darüber, dass wir im Erdgeschoss wohnten, da jeder Meter mehr eine Qual gewesen wäre.
Zitternd vor Erschöpfung holte ich den Wohnungsschlüssel aus meiner Hosentasche, doch ich kam gar nicht erst dazu, die Tür aufzuschließen. Ein viel zu gut gelaunter Will öffnete mir nämlich die Tür und sagte spöttisch: "Bin ich so interessant, dass du die letzten Meter gerannt bist, weil du schneller bei mir sein wolltest? Was man im übrigen durch das ganze Treppenhaus hören konnte."
Ich wollte ihm sagen, dass er im Weg stand und mich nicht nachahmen sollte, aber dafür war ich einfach zu kaputt. Um nicht während des Reingehens das Gleichgewicht zu verlieren, stützte ich mich am Türrahmen ab, woraufhin Will anfing zu lachen. "Lass mich raten, du hast die Ausdauer einer 13- jährigen?"
Sollte er das doch denken. Sollte er doch so viel denken, wie er wollte, nur sollte er mich dabei aus dem Spiel lassen. Vielleicht hätte ich ihm normalerweise wiedersprochen, vielleicht hätte ich ihn normalerweise ignoriert, vielleicht hätte ich ihn normalerweise ausdruckslos angeschaut, doch ich brachte nichts außer einem erschöpftem Nicken zustande. Es war sowieso besser, wenn er nichts über mich wusste. Und Laufen war wohl eine meine Stärken im Gegensatz zu allem anderem. Ich konnte mittelmäßig klettern (oder eher schlecht, wie man heute sehen konnte), war ziemlich ungeduldig, konnte keine Kampfsportarten( außer vielleicht ein bisschen Selbstverteidigung), konnte nicht kochen oder sonstige nützliche Dinge.
"So schlimm?", fragte Will und einen Moment glaubte ich sogar, dass er ernsthaft besorgt um mich war. Wieder nickte ich nur und schob mich an ihm vorbei, um nach oben zu gehen.
Oben angekommen konnte ich der Versuchung nur schwer widerstehen, mich einfach ins Bett fallen zu lassen. Doch ich konnte mich gerade noch dazu überwinden erst duschen zu gehen. Ich schanppte mir mein Shampoo und frische Klamotten aus meinem Koffer, den ich übrigens immer noch nicht ausgepackt hatte, und ging ins Bad.

Erst nachdem ich meine Haare ausgespült hatte, mich gründlich eingeseift hatte und halb erfroren vom eiskaltem Wasser war, erkundigte ich mich bei Joris, wie es gelaufen war.
Während ich zitternd aus der Dusche stieg und mir ein Handtuch umband, antwortete er mir dann.
Na ja, die haben mir das mit dem Wind im Bad nicht so ganz geglaubt und sonst haben die sich auch sehr merkwürdig verhalten, aber sonst... jedenfalls sind sie jetzt weg.
Ein paar Sekunden stand ich einfach nur da und tat nichts, doch dann fing an, mich wieder anzuziehen.
Wann sollen wir morgen da sein?
Langsam bekam ich Kopfschmerzen von der Telepathie, da Joris einige Kilometer entfernt von mir war.
Um halb sieben. Frühdienst und so.
Ich stöhnte und schleppte mich ins Zimmer. Dann lies ich mich ins Bett fallen und schlief sofort ein.

Forgetting DonnyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt