Kapitel 18

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Als ich wieder aufwachte, war der nächste Tag bereits angebrochen. Nun, Jolanda schlief zwar noch tief und fest neben mir, doch die musste erst um sieben Uhr aufstehen. Ein Blick auf den Wecker verriet mir, dass es bereits kurz nach sechs war. Blitschnell sprang ich aus dem Bett und sprintete zum Bad. Meine Bahn fuhr in 11 Minuten. Ich hätte ja auch nicht wissen können, dass ich solange schlafen würde. Doch als ich die Türklinke runter drückte, realisierte ich, dass abgeschlossen war. Scheiß Gäste. Ich bemühte mich ruhig zu bleiben und hämmerte gegen die Tür. Als sich nichts regte, hämmerte ich erneut gegen die Tür und rief so monoton wie möglich: "Mach die scheiß Tür auf!"
Gerade als ich erneut zum Klopfen ansetzen wollte, öffnete Xavier genervt die Tür. "Hast du's so eilig?"
Ohne ihm eine Antwort zu würdigen, schob ich ihn aus dem Bad und knallte die Tür hinter mir zu.
"Ist ja gut, entspann dich mal", rief Xavier.
Ich schnappte mir meine Haarbürste und kämmte mein Haar. Anschließend schnappte ich mir meinen Kajal und umrandete meine Augen schwarz. Im nächstem Moment war ich auch schon wieder aus dem Bad.
Erneut schaute ich auf den Wecker und erschrak, da meine Bahn in 6 Minuten fuhr. Schnell schnappte ich mir eine Jeans, ein Shirt und Unterwäsche aus meinem Koffer und streifte die Sachen von gestern ab, die ich einfach angelassen hatte, weil ich gestern so müde war. Als ich gerade runter rennen wollte, fiel mir noch ein, dass ich Joris und meine Unterlagen noch mitnehmen musste und kramte sie aus meinem Koffer und warf sie dann in eine Tasche.
Da ich noch nichts gegessen hatte, wollte ich mir noch einen Apfel aus der Küche mitnehmen, doch Will wollte mir offenbar einen Strich durch die Rechnung machen.
"Na, wo willst du denn so schnell hin?", fragte er belustigt und baute sich vor mir auf.
"Geh aus dem Weg, ich verpass meine Bahn", sagte ich und versuchte an ihm vorbei zu kommen. Keine Chance. Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass ich noch drei Minuten hatte. Wenn ich jetzt los laufen würde, könnte ich das sogar noch schaffen.
Doch Will machte keine Anstalten, sich von der Stelle zu bewegen. "Ich könnte dich auch fahren", schlug er freundlich vor
"Schön für dich", sagte ich und war kurz davor, die Fassung zu verlieren. Wie schwer war es denn bitte, einfach aus dem Weg zu gehen.
"Also ja?" Fragte er grinsend und ich beschloss, einfach auf den Apfel zu verzichten. Ruckartig drehte ich mich um und rannte auf die Haustür zu. Abgeschlossen. Wer zum Teufel hatte denn bitte diese scheiß Haustür abgeschlossen?  Panisch wühlte ich in meiner Tasche nach meinem Haustürschlüssel. Doch als ich ihn gerade in der hintersten Ecke meiner Tasche entdeckte, war es bereits vierzehn Minuten nach sechs. Das bedeutete wohl, dass ich die Bahn verpasst hatte.
Ich drehte mich schlecht gelaunt wieder Richtung Tür. Will stand noch lässig an der Wand gelehnt und lächelte überlegen. Würde ich nicht immer jegliche Emotionen aus meiner Stimme lassen, hätte ich ihn jetzt angeschrien. "Wegen dir habe ich meine Bahn verpasst."
"Wegen mir?", fragte er grinsend, "Ich glaube eher, dass du zu spät aufgestanden bist."
"Wärst du nicht gewesen, hätte ich es noch geschafft", warf ich ihm vor und schob mich an ihm vorbei in die Küche und nahm mir einen Apfel.
"Soll ich's wieder gut machen? Ich könnte dich ja immer noch fahren."
Ich überlegte. Ich könnte auch die Bahn zehn Minuten später nehmen, aber dann wäre ich definitiv zu spät. Ich wollte aber auch nicht, dass Will wusste, wo ich arbeitete. Andererseits... war es doch egal, ob er das wusste. Damit konnte er eh nicht so viel anfangen.
Mein Schweigen deutete er offenbar als ein "ja", da er einen Autoschlüssel aus seiner Hosentasche kramte und in Richtung Tür ging.
Als ich ihm nicht folgte, sagte er entschuldigend: "Mein eigenes Auto habe ich leider nicht hier in Belgien, weshalb ich den Mietwagen unserer Familie benutzen muss... aber besser als Bahn fahren, stimmt's?"
Dank meiner Gabe konnte ich jedoch sehen, dass sein Bruder Zed sein letztes Auto schrott gefahren hatte und im Moment gar kein Auto mehr hatte.
"Sicher", sagte ich und war froh, dass ich nicht anfing loszulachen. Dann folgte ich ihm aus der Wohnung. So schlimm konnte die Autofahrt ja gar nicht werden.
Er sah mich seltsam an und ich schaute nur ausdruckslos zurück. "Ist was?"
"Nein...", sagte er langsam und realisierte scheinbar gar nicht, dass er stehen geblieben war.
Jetzt runzelte ich auch die Stirn. "Wil. Li. Em", zog ich die Silben lang, woraufhin er ebenfalls die Stirn runzelte. Früher hätte ich ihn vielleicht angemacht, warum er mir denn nachmache. Stattdessen ging ich an ihm vorbei in Richtung Auto. Da der Straßenrand jedoch vollgeparkt war, blieb ich unschlüssig stehen und suchte nach der Beschreibung von Wills Erinnerungen. Aussichtslos. Plötzlich rauschte Will an mir vorbei und bog eine Straße weiter ab. Hastig folgte ich ihm und machte mir gar nicht die Mühe, mir Gedanken über sein Verhalten zu machen. Als er jedoch an seinem Mietauto vorbei ging, blieb ich stehen. Was war denn jetzt sein Problem? Als er zwanzig Meter weiter immer noch nicht stehen blieb, stieg Wut in mir auf und ich trommelte mit den Fingernägeln auf der Fensterscheibe des uralten Opels.
Dann blieb er plötzlich stehen und lief zurück zu mir.
"Dich muss man nicht verstehen, oder?", fragte ich augenrollend.
Er lachte... irgendwie verkrampft.
Die Fahrt verlief still, er sagte kein Wort, was mich jedoch nicht störte. Als er dann jedoch fünf Minuten vor halb sieben am Krankenhaus anhielt, zuckte ich innerlich zusammen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, ihm gesagt zu haben, wo ich arbeitete.
"Hier arbeitest du, oder?", fragte er und in seiner Stimme lag ein kleines bisschen Verachtung. Vielleicht hatte ich mich auch getäuscht.
"Ja", sagte ich langsam und wartete seine Reaktion ab. Vielleicht hatte meine Mutter es ihm ja auch verraten.
Als er jedoch nicht antwortete, beschloss ich ihn einfach zu fragen, woher er das wisse.
"Woher weißt du das?", fragte ich und legte den Kopf schief. Er musste nur antworten. Dann würde ich es wissen.
Doch stattdessen fragte er nur: "Zurück findest du alleine, oder?"
Und plötzlich wurde ich wütend. Ich stieg aus und knallte die Autotür zu. Warum hatte er nicht versucht mir eine Lüge aufzutischen? Dann wüsste ich die Wahrheit.
Mit schnellen Schritten ging ich zum Eingang des Krankenhauses. Als ich noch einmal nach hinten schaute, stand Wills Auto immer noch da.

Forgetting DonnyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt