Kapitel 19

170 11 0
                                        

Schlecht gelaunt wartete ich darauf, dass sich die Drehtür des Krankenhauses weiter drehte. Doch die Sache war aussichtslos. Wahrscheinlich hatten irgendwelche dummen Kinder mal wieder versucht, die Tür in die falsche Richtung zu drehen, weshalb sie jetzt klemmte.
Die Situation war einfach zum kotzen. Ich konnte nicht pünktlich zur Arbeit kommen und ich konnte nicht einmal zurück gehen, da sich die Tür gerade soweit gedreht hatte, dass ich zu beiden Seiten nicht mehr hinaus konnte. Das waren wirklich nicht die besten Bedingungen für einen ersten Arbeitstag.
Als ich dann zum fünftem Mal gegen die Tür getreten hatte- und ich damit wahrscheinlich die gesamte Aufmerksamkeit des Krankenhauses bekommen hatte- bewegte sich die Tür dann doch wieder.
Mit schnellen Schritten ging ich an den gaffenden Patienten und Krankenschwestern vorbei in Richtung Büro des Chefarztes. Das Krankenhaus sah genauso aus wie früher- na ja, vielleicht sah es sogar noch ein bisschen heruntergekommender aus. Die Wände waren schon lange nicht mehr weiß und der Boden fehlte an einigen Stellen sogar ganz. Nun ja, dort, wo die Patienten untergebracht waren, sah alles noch niegelnagelneu aus- wenn man mal von der Drehtür absah-, doch dort, wo nur Mitglieder vom Savant-Unternehmen hindurften, sah alles ziemlich heruntergekommen aus.
Wenn man sich hier nicht auskannte, konnte man sich hier sehr schnell verirren. Glücklicherweise hatte ich hier jedoch schon einmal gearbeitet und somit kannte ich mich hier bestens aus.
Da ich mir bei der Drehtür so viel Zeit gelassen hatte, kam ich ein paar Flure und Abbiegungen später trotzdem zu spät. Ich hoffte einfach mal, dass unser immer mies gelaunter Chefarzt gerade pissen war und ich ihm nicht begegnen würde, wenn ich durch sein Büro musste.
Natürlich war er nicht pissen. Natürlich schaute er mich schlecht gelaunt an, als ich ohne anzuklopfen in sein Büro platzte.
"Die Drehtür war mal wieder außer Betrieb", sagte ich monoton anstelle einer Begrüßung.
"Donny. Donny Willems. Ich hab' schon gehört, dass du wieder bei uns arbeiten sollst. Hätte ja nicht gedacht, dass das so schnell klappt", sagte er spöttisch und musterte mich.
Vielleicht hätte ich ja so etwas ähnliches erwidert, hätte ich seinen Namen noch gewusst. Doch das einzige, was ich von ihm noch wusste, war seine immer schlecht gelaunte Art.
Stattdessen stolzierte ich- noch schlechter gelaunt als zuvor- einfach an ihm vorbei zu einer Tür und gab den Code ein. Als sich die Tür nach dem zweiten Mal jedoch immer noch nicht öffnete, drehte ich mich wieder zum Chefarzt um. Der grinste nur vor sich hin. Um von seinem Grinsen nicht die Krise zu bekommen, schaute ich mich in seinem Büro um. Das Büro sah noch genauso aus wie früher. Ein großer Schreibtisch mit einem uraltem Computer nahm die Hälfte des Platzes ein und an den Wänden waren weiße Regale, die mit irgendwelchen Krankenakten gefüllt waren. Nur der dunkelbraune Holzschrank, der jetzt ebenfalls an der Wand stand, war neu.
Ich drehte mich wieder zum Chefarzt um und legte meinen Kopf schief. "Warum grinst du so?", fragte ich ihn.
"Nichts, nichts", sagte er und sein Grinsen verstärkte sich. Das ging noch ein paar Sekunden so weiter, bis sich seine Augen erschrocken weiteten. Jetzt war ich es, die kurz davor war zu grinsen. Aber ich hatte meine Gesichtszüge voll und ganz unter Kontrolle.
"Sie vergessen immer wieder meine Gabe", sagte ich und ging auf den Schrank zu, "Wissen Sie, so einen Schrank als Eingang zu nutzen ist nicht sehr originell." Da fand ich die verschlossene Tür ja besser.
Skeptisch begutachtete ich die Schranktür und öffnete sie dann vorsichtig. Hätte ich nicht gewusst, dass der Schrank der Eingang zu unsersm Bereich war, hätte ich ihn für einen ganz normalen Schrank gehalten. Im ersten Moment war ich sogar ein wenig verunsichert, da der Schrank mit Jacken und anderen Kleidungsstücken vollgestopft war. Doch dann schob ich die Sachen einfach beiseite und entdeckte eine Tür- ebenfalls mit Code.
Genervt drehte ich mich zum Chefarzt um und fragte ihn nach dem Code.
"1301", sagte er zerknirscht, immer noch frustriert, weil er mal wieder auf mich reingefallen war.
Ich tippte den Code ein und es ertönte ein Summen und die Tür lies sich öffnen.
"1301. Dein Geburtstag, oder was?", fragte ich ihn noch, bevor ich Tür hinter mir schloss.
Der Flur, zu dem die Tür führte, war neu, doch endete letztendlich im selben Aufenthaltsraum. In der einen Ecke waren ein paar Sofas mit einem Fernseher platziert und in der Mitte gab es einen großen Tisch. In einer anderen Ecke war ein kleiner Küchenbereich.
Joris wartete bereits in der Sofaecke, doch ich ging erst einmal zur Kaffeemaschine. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Joris mich ungeduldig musterte, doch darauf würde ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Als mein Kaffee dann fertig war, setzte ich mich zu Joris auf das Sofa.
Erst nach einigen Minuten Schweigen, fragte ich: "Wieder alles klar mit deinem Mädel?"
"Ha. Ha", sagte er genervt.
"Hast du sie mal gefragt, warun das FBI in Belgien ist?", zog ich ihn auf.
"Bei dir wohnt doch auch einer vom FBI", fiel ihm ein.
"Er macht doch nur Urlaub", sagte ich unschuldig.
"Ist klar", murmelte er, "Du musst es ja wissen..."
"Er hat mich nicht einmal darauf angesprochen, dass dein Mädel deine Wohnung durchsucht hat. Wäre er wegen etwas anderem hier, würde er sich doch mit seinen FBI-Partnern abgesprochen haben", sagte ich scheinheilig.
"Wahrscheinlich kam er nur wegen dir auf die Idee, meine Wohnung durchsuchen zu lassen", warf er mir vor.
"Ich war ja nicht diejenige, die eine FBI- Agentin in meine Wohnung gelassen hat", stellte ich fest und nippte genüsslich an meinem Kaffee.
Manchmal gefiel es mir, mit anderen zu diskutieren. Einfach weil sie irgendwann lauter wurden und meine Stimme so monoton wie immer blieb.
"Sie konnte perfekt niederländisch!", rechtfertigte er sich und fügte dann hinzu: "Und außerdem hast du doch auch einen FBI- Agenten in deine Wohnung gelassen!"
"Im Gegensatz zu dir wusste ich jedoch, dass er ein FBI- Agent ist", sagte ich gelassen.
Wir hätten noch stundenlang so weiter diskutiert, wenn einer der Abteilungsleiter nicht erschienen wäre.
"Donny? Wenn das mal nicht Donny Willems ist. Genauso streitlustig wie früher", sagte ein dunkelhaariger Mann in meinem Alter grinsend.
"Rayan? Wenn das mal nicht Rayan Leclercq ist. Genauso arrogant wie früher", sagte ich in der gleichen Tonlage und war sogar kurz davor zu lächeln. Da Joris jedoch schon den Schock seines Lebens wegen meiner Tonlage hatte, wollte ich ihn durch ein Lächeln nicht noch zu Tode erschrecken.
Rayan hatte die gleichen smaragdgrünen Augen wie ich und sah noch genauso gut aus, wie vor einigen Jahren. Vielleicht sah er sogar noch ein wenig durchtrainierter aus als vorher. Mein Unterbewusstsein verglich ihn automatisch mit Will und ich versuchte den Gedanken schnell wieder zu verdrängen. Will sah besser aus.
"Neue Macker am Start, oder was?", fragte er grinsend im Blick auf Joris, "Is' ja eigentlich nich' so dein Typ, nä? Aber jedem das seine."
"Woher willst du denn bitte wissen, was ihr Typ ist?", fragte Joris verächtlich.
"Ach ne! Hat sie dir gar nich' von uns erzählt?", fragte er mitleidig. Joris schaute verwirrt zwischen uns hin und her.
"Sie würde ja eh viel lieber wieder was mit mir anfangen, nä?", fragte er und wackelte mit den Augenbrauen.
Jetzt verzog Joris angewidert das Gesicht und fragte: "Ihr hattet mal was miteinander?"
"Ist schon länger her und nein, Rayan, er ist nicht mein neuer Macker", sagte ich emotionslos wie eh und je.
Es war ein paar Jahre nach der Sache mit Jasper. Es war ein paar Jahre nach dem Tod meines Vaters gewesen. Ich dachte, dass ich es vielleicht noch einmal versuchen konnte mit einer Beziehung. Die Beziehung mit ihm war von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen, aber da unsere Geburtstage nur einige Wochen auseinander lagen, hatte er immer gesagt, wir seien Seelenspiegel, die nichts voneinander wussten. Natürlich wussten wir beide, dass das nicht stimmte, aber das war irgendwie egal gewesen. Die Beziehung war eher freundschaftlich und er war mir öfter fremd gegangen, als ich zählen konnte.
"Da hab ich ja Glück gehabt", sagte Rayan grinsend und stellte sich Joris vor: "Jedenfalls bin ich ich Rayan Leclercq, aber du darfst mich- obwohl ich 'n Abteilungsleiter bin- einfach Rayan nennen."
"Joris", stellte Joris sich kühl vor.
"Ich hab' deine Akte noch nich' ", stellte Rayan fest, "Was war noch gleich deine Begabung?"
"Manipulation", sagte Joris in der gleichen Tonlage wie eben.
"Wow, chill mal, junge, chill mal. Wenn du so scharf auf Donny bist, will ich dir nich' im Weg stehen. Ich will hier keinen Stress wegen der Kleinen", sagte er mit einem Augenzwinkern in meine Richtung.
"Ha. Ha. Genauso witzig wie früher", sagte ich und suchte die Akten aus meiner Handtasche.
Plötzlich änderte sich Joris' Gesichtsausdruck und er grinste auch. "Ne ne, lass mal. Die hat schon den ganzen Flug lang von dir geredet. Das will ich Donny ja jetzt nicht verderben."
Als Rayan es ehrlich zu glauben schien, verdrehte ich die Augen und hielt ihm unsere Akten vor die Nase. "Ihr seid so urlustig, das glaubt ihr gar nicht."
"Und du so kreativ in deiner Erfindung von Wörten", sagte Rayan trocken.
"Das Wort gibt es wirklich!", wiedersprach ich.
"Jedenfalls...", sagte er und schlug die vordere Akte auf, "Sollten wir uns mit eurem neuen Fall befassen."

Forgetting DonnyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt