~ 22. Kapitel ~

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»All Time Low (Jon Bellion - Cover)«

"Rosa?", werde ich am nächsten Morgen von meiner Mutter geweckt. Beziehungsweise von der Stimme meiner Mutter, die durch das Haus brüllt. Physisch ist sie nicht in meinem Zimmer, aber sie ruft so laut, dass es sich anfühlt als würde sie neben mir stehen.

Mein erster Blick, nachdem ich mir müde die Augen gerieben habe, fällt auf meine Uhr und ich merke, dass ich noch eine halbe Stunde hätte schlafen können, bis ich eigentlich aufstehen müsste.

Seufzend und alarmiert durch den Ruf meiner Mutter erhebe ich mich aber trotzdem. Das macht sie eigentlich nie so. Sobald ich mich in einer sitzenden Position befinde, bereue ich dies schon wieder. Mein Kopf ist immer noch Matsch, obwohl nicht mehr so schlimm wie gestern Abend. Die Kopfschmerztablette hat wohl ihre Arbeit geleistet.

Ich tappe trotzdem, so erschütterungslos wie es geht, die Treppe hinunter und sehe meine Mutter in der Küche stehen. Sie starrt wie gebannt durch den offenen Durchgang von der Küche in unser Wohnzimmer. Die beiden Zimmer sind nicht durch eine Tür voneinander abgegrenzt sondern nur durch eine Arbeitsplatte, die wie eine kleine Bar die beiden Räume trennt.

Ich stelle mich neben meine Mutter und folge ihrem Blick. Dann sehe ich, was sie so erschreckt hat.

Joshua. Den habe ich total vergessen.

Ich frage mich, wie er den Ruf von meiner Mutter nicht hören konnte. Schließlich bin ich auch davon wach geworden und ich befand mich in einer anderen Etage und hinter einer Tür. Kopfschüttelnd betrachte ich ihn, wie er da so unter einer dünnen Decke vor sich hinschlummert.

"Was hat ein Fremder auf unserer Couch zu suchen?"

Peinlich berührt spiele ich an meinen Haaren. Am liebsten will ich ihr sagen, dass ich auch keine Ahnung habe, wieso er tatsächlich geblieben ist. Ich dachte nämlich, er meint sein Reden nicht ernst und geht einfach nach Hause. Falsch gedacht.

"Er schläft.", beantworte ich die Frage meiner Mutter.

Ihr Blick schießt zu mir und sie starrt mich förmlich nieder. Gut. Anscheinend ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt zum Scherzen.

Ich tapse also ergeben zu Joshua und tippe ihn vorsichtig an die Schulter.

Keine Reaktion.

"Hallo?", frage ich.

Wieder nichts.

Lebt er überhaupt noch? Ich beobachte ihn kurz und bin erleichtert ihn atmen zu sehen. Ich hätte jetzt auch auf die schnelle keinen Plan gehabt, wie ich unbemerkt eine Leiche verschwinden lassen könnte.

Kopfschüttelnd über meine eigenen, ziemlich komischen Gedanken, nehme ich meinen ganzen Mut zusammen und rüttele an seiner Schulter.

"Was, was, was?", fragt er ganz schnell hintereinander und setzt sich auf. Erschrocken stolpere ich ein paar Schritte zurück. So eine Reaktion hatte ich doch nicht erwartet. Bis gerade eben war er schließlich noch so ruhig und friedlich.

"Man, wieso musst du mich so erschrecken?", will er wissen und reibt sich verschlafen die Augen.

Hallo? Er hat mich gerade zu Tode erschreckt?

"Ein 'guten Morgen' wäre auch nett gewesen." Joshua streckt sich einmal komplett und ein fieses knacksen ertönt aus Richtung seiner Wirbelsäule. Er gähnt einmal herzhaft und steht dann auf.

"Was machst du noch hier?", zische ich und zeige auf die Couch, auf der jetzt eine zerwühlte Bettdecke liegt. Er folgt meinem Blick und nimmt schnell die Decke, um sie ordentlich zusammenzulegen.

"Lass ruhig, ich mache das nachher.", ertönt es da aus der Küche. Unsere Köpfe schießen in die Richtung, aus der die Anweisung gekommen ist. Verdammt, meine Mutter.

Mit einem Schmunzeln beobachtet sie die Szene, die sich vor ihr abspielt.

Joshua lässt ganz langsam die Decke sinken. Gut, dass meine Mutter das zusammenlegen noch mal übernehmen will, denn so wie er es vollbracht hat, hätte er es auch gleich zusammengeknüllt liegen lassen können.

Schnellen Schrittes durchquert er das Wohnzimmer bis in die Küche. "Guten Morgen. Ich bin Joshua.", grinst er meine Mutter charmant an und streckt ihr seine Hand entgegen. Er scheint sich aber schnell von dem morgendlichen Schreck erholt zu haben. "Ich habe mal Ihre Couch benutzt, ich hoffe das Stört sie nicht?"

Er versucht so höflich wie möglich zu sein, das merke sogar ich und meine Mutter mustert ihn nur erstaunt. "Besser die Couch als Rosas Bett.", lächelt sie milde und ich würde kurz darauf gerne im Boden versinken. Muss sie immer so peinlich sein?

Joshua starrt sie kurz perplex an und bricht dann in eins seiner schönen Lachen aus. Ich stehe einfach nur stocksteif im Wohnzimmer und beobachte die beiden. Das Szenario ist mir zu merkwürdig.

"Keine Angst.", beruhigt er meine Mutter, immer noch lächelnd . "Ich bin eigentlich nur geblieben, weil ich Angst hatte, dass es ihr schlechter geht und wir doch noch ins Krankenhaus müssen."

"Wenn wir einmal beim Thema sind...", sein Blick fällt wieder auf mich, "wie geht es dir eigentlich?"

Ich zucke nur schlicht mit den Schultern. "Eigentlich wieder ganz gut. Die Kopfschmerzen sind noch da, aber sonst geht's schon."

"Hast du zu viel Alkohol getrunken?", mischt sich meine Mutter besorgt ein und kommt auf mich zu. Ich runzele die Stirn. Traut sie mir wirklich zu, dass ich mich betrinke und dann am nächsten Morgen einen Kater habe?

Eigentlich müsste sie mich doch kennen. Sie ist schließlich meine Mutter.

Joshua grinst mich aus der Küche an. Er findet die Entwicklung des Gesprächs wohl ziemlich witzig. "Sie hat gestern einen Ball ziemlich heftig vor den Kopf bekommen. Aber sie wollte nicht zum Arzt.", klärt er sie dann doch netterweise auf und redet dabei in der dritten Person von mir, als wäre ich gar nicht da.

Meine Mutter lacht auf. "Nicht nötig, sie hat ja mich."

Joshua schaut mich fragend an und ich erkläre ihm seufzend, dass sie Krankenschwester ist.

"Hört sich nach einer leichten Gehirnerschütterung an.", stellt sie daraufhin fest und mustert mich. "Ich würde sagen, du bleibst bis zum Wochenende zu Hause und Sport ist sowieso erstmal gestrichen."

Ich stöhne genervt auf. "Das muss wirklich nicht sein."

"Doch. Muss es. Und jetzt ab in dein Bett."

Ich verdrehe die Augen, höre aber auf sie. Ohne zu diskutieren mache ich mich auf den Weg in mein Zimmer. Widerreden haben bei ihr nämlich keinen Sinn.

Joshua beobachtet mich dabei und scheint zu überlegen, was er jetzt mit sich anfangen soll. "Ähm... Dann gehe ich jetzt auch.", er räuspert sich und zeigt auf die Tür.

Ich nicke und lächele leicht. "Danke. Für alles."

"Gute Besserung." Er berührt kurz meine Hand und verschwindet dann durch die Tür. Ich bleibe noch kurz stehen und sehe ihn nach, bis mich das Geräusch der Haustür, die wieder ins Schloss fällt aufweckt und ich mich endgültig in mein Zimmer begebe.

Dort wartet schließlich mein Bett auf mich.

Mein Name ist Rosa.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt