~ 29. Kapitel ~

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»Sowieso (Mark Forster)«

Kaum bin ich über die Schwelle des Eingangs zur Notaufnahme getreten, umgibt mich der typische Krankenhausgeruch. Ich rümpfe die Nase und schaue mich nach Anton um, bis ich ihn vor dem Eingangstresen stehen sehe. Er trägt immer noch den kleinen Ben auf dem Arm.

Serafina, Joshua, der Luna an der Hand hat und ich, schließen zu ihm auf. Wir hören gerade noch, wie Anton stinksauer auf die Krankenschwester, die hinter einem Computerbildschirm hockt, einredet. "Ich habe keine Ahnung, wo er versichert ist. Sie sehen doch, das hier ist ein Notfall, sowas interessiert überhaupt nicht."

Ich runzele die Stirn. Worum geht es hier?

"Ich muss aber erst alles hier eintragen, bevor er behandelt werden kann.", erklärt die Krankenschwester völlig ruhig und tippt weiter auf ihrer Computertastatur herum, ohne uns auch nur eines Blickes zu würdigen.

Ich höre ein schnaufen neben mir und dann eine Hand, die laut auf den Tresen knallt. Langsam hebt die Krankenschwester ihren Kopf und schaut gelangweilt in die Augen eines sehr wütenden Joshua. "Jetzt hören Sie mir mal zu.", er kneift seine Augen zusammen und beugt sich näher zu ihr herunter, bevor er drohend weiter redet. "Wenn Sie nicht eine fette Beschwerde haben wollen, holen sie jetzt einen Arzt, der meinen kleinen Bruder behandelt."

Die Krankenschwester betrachtet ihn noch eine Sekunde, steht dann tatsächlich auf und läuft schnellen Schrittes den Gang von uns weg. "Man, sind die hier unfähig.", schnauft Joshua, immer noch wütend und schaut ihr hinterher.

Schnell greife ich nach seiner freien Hand und sein Blick fliegt zu mir. "Ganz ruhig. Es wird alles gut.", versuche ich ihn zu beruhigen und merke erfreut, dass es zu klappen scheint. Er atmet einmal tief durch und mustert mich weiter. "Danke, dass du da bist."

Irgendwas in mir zerreißt, als er dies so sagt. Wenn er wüsste, dass ich an dem ganzen Schlamassel schuld bin, würde er so etwas sicher nicht sagen. Ich habe Angst vor dem, was er von mir denken wird, wenn er es herausfindet. Ich erzwinge mir trotzdem ein Lächeln auf mein Gesicht, um ihn jetzt nicht noch unnötig zu belasten.

Hinter mir ertönen schnelle Schritte und Joshuas Blick schießt über meine Schulter. Endlich kommt ein Arzt den Gang entlang und öffnet eine der Türen gegenüber von mir. "Hier herein, bitte."

Wir folgen ihm in ein ziemlich kleines Behandlungszimmer und Anton legt Ben vorsichtig auf eine Pritsche an der Wand. "Mein Name ist Langhein und ich bin heute für die Notfälle verantwortlich.", stellt er sich kurz vor. "Was genau ist passiert?"

Serafina erklärt ein zweites Mal heute ihre Beobachtung und der Arzt beginnt Ben am Arm abzutasten. Immer wieder atmet Ben zischend ein, wenn er eine schmerzhafte Stelle berührt. Trotzdem bin ich ein klein wenig stolz auf ihn, wie tapfer er alles über sich ergehen lässt.

"Ich würde ihn jetzt noch runter zum Röntgen schicken. Wissen Sie, wo sich der Raum dazu befindet?", der Doktor schaut fragend in die Runde, doch Anton ist der Einzige, der nickt. "Ich habe mir mal den Fuß verstaucht.", erklärt er sein Wissen, als er die fragenden Blicke bemerkt.

"Es reicht auch aus, wenn ihn einer begleitet.", ergänzt der Arzt noch und scheucht uns mit einer Handbewegung nach draußen. "Wenn das fertig ist, warten Sie mit ihm kurz draußen, ich hole Sie dann wieder herein."

Ben erhebt sich vorsichtig und lässt sich in einen Rollstuhl gleiten, der schon in der Ecke bereit steht. So muss er wenigstens von keinem mehr getragen werden. Anton packt ihn, schiebt ihn hinaus und macht sich, mit einem kurzen Blick zu uns, auf den Weg eine Etage tiefer.

Seufzend lassen wir uns auf eine Sitzgruppe im Eingangsbereich fallen. Luna lehnt sofort ihren Kopf an Joshuas Schulter und zappelt nur noch mit den Fußspitzen. Joshua hingegen schaut seinem Bruder und seinem besten Freund nachdenklich hinterher. "Serafina?", fragt er leise und dreht seinen Kopf in ihre Richtung. "Warum warst du nicht bei den Beiden? Das war heute deine Aufgabe." Sein Blick bohrt sich in ihre Augen.

"Das ist alles meine Schuld.", rutscht es mir heraus, bevor ich es verhindern kann. "Was?", fragen beide Geschwister fast zur selben Zeit. Alle Blicke ruhen auf mir und dementsprechend nervös winde ich mich.

Ich schlucke bevor ich zu einer Erklärung ansetze. "Ich wollte unbedingt mit Serafina reden. Deswegen ist sie gegangen und hat nicht mehr auf die Zwillinge aufgepasst.", mein Blick fliegt zwischen den beiden hin und her. "Tut mir wahnsinnig leid"

Serafina runzelt nachdenklich die Stirn. "Eigentlich ist es erst passiert, als ich Anton die Tür aufmachen gegangen bin, da warst du schon längst wieder weg."

Als sie das sagt fällt mir sinnbildlich ein Stein vom Herzen. Ich bin nicht schuld. Ich muss keine Schuldgefühle haben. Ich atme einmal laut aus.

"Ist jetzt eh egal. Passiert ist es, ich will nur, dass du das nächste Mal besser aufpasst.", Joshuas Blick klebt förmlich an Serafina und sie nickt langsam.

Es breitet sich ein langes Schweigen zwischen uns aus. Jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach. Joshuas Blick fliegt unnatürlich oft den Gang hinunter, auf dem Ben und Anton vor einigen Minuten gegangen sind.

Ihm ist anzusehen, wie viele Sorgen er sich macht.

Serafina hingegen ist total still, knabbert an ihren Fingernägeln und hat den Blick schon seit geraumer Zeit auf einen Punkt auf dem Boden gerichtet. Luna hat inzwischen ihre Augen geschlossen und lehnt weiterhin an Joshua.

Nach fünf weiteren, qualvollen Minuten ist Joshua der Erste, der sich aufrecht hinsetzt, was Lunas Kopf fast auf der Lehne des Stuhls aufschlagen lässt. Zum Glück fängt sie sich vorher und verhindert so weitere Unfälle. "Da sind sie."

Nun schießt auch Serafinas und mein Blick den Gang hinunter, auf dem Ben und Anton zu uns zurück kommen. Erleichtert stelle ich fest, dass Ben schon nicht mehr im Rollstuhl sitzt, sondern langsam, aber halbwegs normal neben Anton her läuft.

Die Beiden setzen sich zu uns und es tritt erneut Stille ein. Nach einiger Zeit ruft uns der Arzt wieder zu sich ins Zimmer. Zum Glück. Die Stille ist so drückend, länger hätte ich das sicher nicht ausgehalten.

Ben setzt sich vorsichtig auf die Pritsche und wir alle beobachten den Arzt, wie er sich am Computer die Röntgenbilder anschaut. "Also.", beginnt er und zeigt mit einem Kugelschreiber auf den Bildschirm, um uns zu zeigen, von was er redet. "Er hat sich den Unterarm gebrochen. Aber nicht kompliziert, das müssen wir nicht operieren."

Alle atmen erleichtert auf. So schlimm wie wir dachten, ist es dann doch nicht. Der Arzt steht auf und tritt noch einen Schritt näher an Ben ran. Vorsichtig schiebt er sein T-Shirt ein Stück hoch. "Des weiteren hat er sich wohl die untere Rippe geprellt." Er tastet noch einmal den böse aussehenden blauen Fleck an Bens Seite ab. "Da war auf den Röntgenbildern kein Bruch zu erkennen."

Er lässt das Shirt wieder runter und lächelt Ben aufmunternd zu. "Das bekommen wir wieder hin."

Mein Name ist Rosa.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt