~ 11. Kapitel ~

8.8K 581 74
                                    

»Sing me to sleep (Alan Walker - Cover)«

Natürlich klimpere ich erst einmal in den schönsten schiefsten Tönen daneben. Verwirrt schaue ich nach oben auf die Notenblätter vor mir. "Oh sorry.", stoße ich hervor und hole einmal tief Luft.

Vorzeichen. Konzentrier dich mal Rosa.

Ich kann genau spüren, wie der Junge neben mir in einem Anflug von Häme grinst.

Na dem werd ich's zeigen!

Bedacht darauf, diesmal wirklich alle richtigen Tasten anzuschlagen fange ich in einem etwas langsameren Tempo wieder an zu spielen.

Und dieses Mal gelingt mir tatsächlich ein fehlerfreier Durchgang. Erleichtert lasse ich meine Hände in den Schoß fallen und drehe mich zu meinem Zuhörer. Ausdruckslos mustert er mich einen Augenblick, bis sich seine Mundwinkel zu einem kleinem Lächeln verziehen. "Das war wirklich gut.", meint er leise und ich schenke ihm als Dank eines meiner strahlenden Lächeln.

Obwohl das bei mir sicher nicht so strahlend aussieht, wie ich es mir erhoffen würde. Eher wie eine verzogene Grimasse. Na gut vielleicht auch nicht so schlimm wie das jetzt klingt, aber ich beneide manche Leute echt für ihr Lächeln, wenn es einfach so ehrlich wirkt und den ganzen Raum erhellt. Fast so ein Lächeln wie es der Typ vor mir drauf hat.

Kurz schweift mein Blick über die kleinen Grübchen, die sich an seinen Mundwinkeln bilden, über die für einen Jungen ziemlich vollen Lippen (Ganz ehrlich wie machen das manche? So tolle Lippen ohne einen einzigen Strich Lippenstift?), über die gerade Nase direkt in die Tiefen seiner dunklen, braunen Augen.

Was sich anhört wie eine Routenbeschreibung, ist für mich zu dem Zeitpunkt ein ziemlich krasser Moment, als ich feststelle, wie gut mein Gegenüber eigentlich aussieht. Ist mir vorher gar nicht aufgefallen.

Vielleicht brauche ich doch mal eine stärkere Brille.

Selbst seine Haare sitzen in einer verwuschelten Perfektion, genau so, dass ich am liebsten die Hand ausstrecken würde, um sie einmal durch die goldfarbenen Spitzen fahren zu lassen.

Wenn er seinen Kopf ein wenig dreht hat er eigentlich ganz normale, helle, braune Haare, doch so im Licht scheinen sie goldfarben zu glänzen.

"Wie heißt du eigentlich?", werde ich aus meinem offensichtlichem Starren aufgeweckt und frage mich im selben Moment, wie lange wir eigentlich so dagesessen haben. Hat sich angefühlt wie eine kleine Ewigkeit.

Was hat er noch mal gefragt?

"Ähm... Rosa.", murmel ich, noch nicht wieder ganz anwesend. Mir wird bewusst, dass wir uns gerade ziemlich nah sind, als er sich leicht bewegt und unsere Knie zusammen ecken.

"Hey 'ähm Rosa'. Ich bin Joshua.", grinst er verschmitzt und deutet mit seiner rechten Hand ein leichtes Winken an. Ich lächele kurz über seinen ach-so-lustigen Witz, weil ich ein nettes Menschlein bin.
"Was machst du hier?"

"Musik", antworte ich neunmalklug und ernte dafür tatsächlich ein Lachen. Ein wohliger Laut der tief in mein Innerstes fährt und mich ausfüllt. Ich würde ihn wirklich gern öfter lachen hören.

"Du bist sicher die Freundin von Serafina, die hier übernachtet, was?", fragt er weiter. Gut kombiniert Sherlock. Aus einer Möglichkeit, wer ich sein könnte, hat er die eine Richtige herausgefunden. Krasse Sache.

Ich nicke ihm trotzdem mal möglichst freundlich zu.

Natürlich könnte ich auch ein Einbrecher sein, der halt ganz gut Klavier spielt, aber das ist dann doch eine ziemlich abwegige Variante.

Aber wer ist eigentlich er? Joshua- seinen Namen kenne ich ja jetzt, aber was macht er hier in dem Raum?
Sicherlich gehört er zur Familie. Wenn ich es mir recht überlege hat er die selben blonden Haare und ähnlich braune Augen wie Serafina, obwohl beides bei ihm einen etwas dunkleren Farbton angenommen hat.

Was sollte außerdem ein Fremder hier in der Wohnung?
Außer er ist ein Einbrecher, der ganz gut Klavier spielt.

"Schön, dass sie auch mal jemanden da hat.", fängt er wieder an zu sprechen und ich brauche einen Moment, bis ich wieder weiß wovon er redet. Sein Anblick lenkt aber auch wirklich sehr ab.

Als ich wieder weiß, was er gerade gesagt hat wundere ich mich über die Aussage dieses Satzes. Eigentlich müsste Serafina doch ständig irgendwen von ihren vielen Schulfreunden da haben, um sich über die neusten Schminktipps oder sonst welchen Kram zu unterhalten.

Doch bevor ich genaueres nachfragen kann bricht er den Blickkontakt und dreht sich wieder zum Klavier. Schade eigentlich.

Nachdenklich runzelt er die Stirn und legt seine Hände locker auf auf die Tasten des Flügels.
"Irgendwie hänge ich immer an der einen Stelle hier.", stellt er fest und deutet auf die Notenblätter vor uns. Ich drehe mich nun auch wieder zum Klavier. Er zeigt genau auf die Stelle, die ich schon beim betreten des Raumes so schrecklich fand.

Mit einem kurzen nicken deute ich ihm an, dass ich ihm zuhöre und warte darauf, dass er weiterredet.
"Hast du einen Tipp?", fragt er erwartungsvoll und dreht seinen Kopf, um einen kurzen Blick auf mich zu werfen. Klar habe ich einen Tipp.

"Üben", schmunzele ich und stehe auf. Mit einem leichten klopfen auf seine Schulter und einem letzten Blick auf das Grinsen, das wieder sein Gesicht überzogen hat mache ich mich auf den Weg zur Tür. Kurz bevor ich sie erreicht habe drehe ich mich noch einmal um.

"Gute Nacht.", flüstere ich.

Dann verlasse ich endgültig den Raum und lasse einen verwirrten Jungen am Klavier zurück.

Mein Name ist Rosa.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt