~ 1. Kapitel ~

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»Bonfire (Felix Jaehn feat. ALMA)«

Mit gesenktem Kopf laufe ich durch die Korridore meiner Schule. Bloß keine Aufmerksamkeit erregen.

Warum mache ich mir darum eigentlich Sorgen? Mich ignorieren eh alle. Ich bin unsichtbar.

Also nein. Natürlich nicht. Aber es fühlt sich so an.

Ich gebe zu, das mag wohl daran liegen, dass ich so früh in der Schule bin, dass noch kaum ein Schüler da ist. Jetzt fragt ihr euch sicher, wie blöd man doch sein kann, oder?

Nein ich bin nicht blöd, ganz und gar nicht. Eigentlich bin ich eine der schlausten Schüler dieser Schule. Das sagen jedenfalls immer meine Lehrer.

Warum ich so früh in der Schule bin, hat einen bestimmten Grund. Wenn kein Schüler da ist, kann mich auch keiner sehen. Logisch oder?
So viel zum Thema 'unsichtbar'.

Ich atme erleichtert auf, als ich meinen Klassenraum betrete. Keiner da. Das überrascht mich kaum, wo es doch der erste Tag nach den Sommerferien ist, an dem kein Schüler Lust hat, in die Schule zu kommen. So früh ganz und gar nicht.

Es ist noch ziemlich dunkel im Raum, die Jalousien sind zugezogen.
Langsam schlängle ich mich an den Bänken vorbei, zu den Fenstern und ziehe sie auf. Kurz lasse ich meine Augen an das hellere Licht gewöhnen und werfe einen Blick nach draußen.

Auf dem Schulhof sammeln sich schon ein paar Leute, die sich in ihre gewohnten Gruppen begeben, oder, wie ich vorhin, auf dem Weg in ihre Räume sind. Ich wende meinen Blick ab und suche mir einen Platz.
Weit hinten, vorletzte Reihe in der Nähe des Fensters- perfekt.

Nach einigen Minuten kommen ein paar meiner Klassenkameraden herein. Fröhlich schwatzend unterhalten sie sich über ihre Ferien, was sie alles so erlebt haben, dies und das. Ich senke meinen Kopf und tue so, als wäre ich überhaupt nicht da. Das klappt meistens hervorragend.
So auch heute. Keiner sieht mich an, keiner spricht mit mir, alle ignorieren mich. Ganz so, wie ich es am liebsten habe.

Ich hebe erst wieder meinen Kopf, als ein blondes, zugegeben sehr hübsches Mädchen räuspernd neben mir steht. Zumindest wäre sie hübsch, wäre da nicht die Tonne an Make-up auf ihrem Gesicht.
Wie kann man sich nur so zukleistern?

Mit einem falschen Lächeln sieht sie auf mich hinunter.
"Du sitzt auf meinem Platz.", stellt sie leise fest, aber immer noch laut genug, dass ich es deutlich höre.
Ich senke wieder meinen Kopf und starre die Rillen im Tisch an, die irgendein gelangweilter Schüler in die Bank geritzt hatte.

Da es der erste Tag nach den Ferien war, stimmt die Anmerkung von ihr eigentlich gar nicht, da sich jeder Schüler am Anfang des Schuljahres einen neuen Platz aussuchen darf. Auch meine Klassenkameraden haben sich umgesetzt, was ich mit einem schnellen Blick in die Klasse feststellte.

Sie räuspert sich noch einmal und beugt sich hinunter zu mir. Drohend flüstert sie in mein Ohr: "muss ich mich wiederholen oder geht das in deinen Kopf?", und tippt mir mit ihrem Zeigefinger an meine Schläfe.
Was ich spüre, ist nicht die Wärme eines Fingers, sondern die Härte eines langen, künstlichen Fingernagels.

Langsam erhebe ich mich und hebe auch meine Tasche auf. Nützt nichts, sich mit ihr auseinanderzusetzen, für sowas bin ich sowieso viel zu schüchtern.
"So ist es fein. Wie heißt du noch mal?", fragt sie mich.
Ich blicke sie kalt an. Wir sind schon mehrere Jahre in der selben Klasse und sie weiß eigentlich genau, wer ich bin. "Rosa.", nuschele ich leise und verziehe mich nach vorn in die zweite Reihe. Wenigstens meinen geliebten Fensterplatz würde ich behalten können.

Mein Name ist Rosa.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt