Städte bei Nacht habe ich schon immer geliebt. Sie strahlen eine gewisse Ruhe aus. Das chaotische Alltag, der viele Verkehr und die Lichter scheinen für einige Stunden eine Pause zu machen. Alles ist plötzlich ruhig. Nur vereinzelt brennen noch Lichter. Autos fahren nur noch wenige und der Krach ist verstummt. "Emma?". Erwischt zucke ich zusammen. "Ja?". "Kannst du nicht schlafen?". "Nein", ich seufze leise. Damon setzt sich neben mich und sieht ebenfalls raus. "Städte bei Nacht haben wirklich was beruhigendes", murmle ich gedankenverloren. "Das stimmt", bestätigend nickt Damon. Schweigend sitzen wir nebeneinander und sehen in die Dunkelheit der Nacht. Immer mehr Lichter gehen aus.
Langsam werde ich wieder etwas müder. "Ich hasse es wenn ich nicht schlafen kann", leise seufze ich. "Ist das öfters so?", fragend mustert Damon mich. "Geht so. In der Woche bin ich meist so müde von der Uni und der Arbeit, dass zumindest einschlafen kein Problem ist". "Aber schlafen schon?". "Ich wache oft nachts auf und kann nicht mehr einschlafen". Statt zu antworten zieht Damon mich in seine Arme und legt diese dann um mich. Augenblicklich bekomme ich das Bedürfnis Kilometer weit weg zu rennen und gleichzeitig gefällt es mir.
Mein Kopf ruht an Damons Schulter und ist an sein Gesicht gelehnt. Unsere Wangen berühren sich und sein warmer, regelmäßiger Atem trifft auf mein Ohr. Ich atme hörbar lauter aus. Wieder mal bin ich total verunsichert was ich möchte und ob mir das gefällt. Nachdenklich schließe ich die Augen und lasse den Moment zu. Ich kann nicht immer wegrennen. Ich kann nicht immer jeden von mir wegstoßen. Eine Weile sitzen wir einfach nur so da und genießen die Nähe zu dem anderen. Mein Atem beruhigt sich wieder und wird immer gleichmäßiger. Ich bin kurz davor einzuschlafen. "Emma?", seine Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern. "Hmm?", ist das einzige was mir müde entfährt. "Wir sollten schlafen gehen", leise lacht er. "Hmmh", bestätige ich seine Aussage, bewege mich jedoch keinen Millimeter.
Im Brautstyle hebt Damon mich hoch und trägt mich in sein Schlafzimmer. Behutsam legt er mich auf seinem Bett ab und legt sich neben mich. Er legt einen Arm um mich und kuschelt sich an mich, was ich jedoch kaum merke, da ich schon fast schlafe.
Als ich das nächste mal aufwache, ist es gerade einmal Sechs Uhr morgens. Stöhnend setze ich mich auf. Leise stehe ich auf, ziehe mir Schuhe und Jacke an und schleiche mich aus Damons Wohnung. Erleichtert atme ich die frische Morgenluft tief ein. Ich sehe mich um und stelle fest, dass ich ganz alleine bin. Aber wen wunderts um diese Uhrzeit? Ganz in Ruhe mache ich mich auf den Weg zu meiner Wohnung. Dort angekommen ist es immer noch viel zu früh und ich beschließe mich nochmal in mein Bett zu legen.
Gegen Mittag wache ich wieder auf. Der Nachrichtenton meines Handys lässt mich zusammen zucken. Oh, oh das ist bestimmt Damon. Leise seufze ich. Ich entsperre mein Handy und öffne die Nachricht, die wie erwartet von Damon ist. 'Du bist einfach gegangen ohne was zu sagen'. Die Enttäuschung in diesen wenigen Worten ist nicht zu überhören.
Wieso bin ich gegangen? Ich wollte mich dieser unangenehmen Situation am Morgen nicht stellen, wollte nicht zusammen mit Damon aufwachen und wollte vor der Nähe flüchten. Mittlerweile tat es mir doch irgendwie leid, dass ich einfach gegangen bin. Aber ich konnte nicht anders. Ich hätte es keine Sekunde länger ausgehalten. Statt zu antworten lege ich mein Handy weg und stehe auf. Hastig gehe ich Duschen und ziehe mir bequeme Klamotten an. Mit etwas zu essen setze ich mich an den Küchentisch und widme mich endlich den Unterlagen für die Uni, die ich schon längst hätte vervollständigen sollen.
Stunden später als es schon dämmert, kommt Grace wieder nach Hause. "Hallo?", fragend erschallt ihre Stimme. "Hey Grace", begrüße ich sie. Mit einem lächeln auf den Lippen setzt sie sich zu mir an den Tisch. "Alles in Ordnung bei dir?", ihr durchbohrender Blick liegt auf mir. Leise seufze ich. Ihr entgeht aber auch gar nichts. "Nicht wirklich". Während wir gemeinsam kochen, erzähle ich ihr von dem Tag mit Damon, der Nacht, unserem Gespräch und wie ich geflüchtet bin.
Schweigend steht Grace vor mir und sieht mich an. Aus ihrem Blick kann ich ausnahmsweise mal nichts lesen. Einen kurzen Moment herrscht Stille zwischen uns. "Ich fasse nochmal zusammen: Ihr hattet einen tollen Tag, habt zusammen gekocht und seid euch näher gekommen, richtig?", fragend sieht sie mich an. Ich nicke stumm. "Und warum genau bist du dann geflüchtet?", verständnislos sieht sie mich an. Ich gebe zu, dass die Situation für außenstehende echt komisch wirkt, doch für mich hat das einen Sinn. "Ich konnte nicht anders", murmle ich leise. Ein lauter Seufzer entfährt Grace. "Du weißt genau weshalb", vorwurfsvoll richte ich nun meinen Blick auf Grace, ehe ich aus der Küche in mein Zimmer verschwinde.
Mit einem Knall lasse ich meine Tür zufallen und schließe sie hinter mir ab. Grace folgt mir nicht, weil sie weiß das es jetzt keinen Sinn hätte mit mir zu reden. Ich flüchte mal wieder in meine eigene Welt und setze mich ans Klavier und beginne zu spielen. Die sanfte Melodie trägt mich in eine andere, magische Welt. Dort muss ich mich vor niemanden rechtfertigen und kann tun und lassen was ich will. Ich war nicht immer so, ich wurde zu dem gemacht was ich heute bin. Zu einer Person die Angst vor Gefühlen und Angst vor Nähe hat.
Fast wie von selbst spielen meine Hände 'Lifelines' von Martin Herzberg. Ein Stück das mich schon lange Zeit durch mein Leben begleitet hat. Die Zeit verfliegt rasend schnell wie immer wenn ich Klavier spiele. Kurz sehe ich aus dem Fenster und mir fällt mit einem mal auf, dass es schon stockduster draußen ist. Hastig stehe ich wieder vom Klavier auf, auch wenn ich dies nicht gerne tue, und gehe ins Bad und putze meine Zähne.
Anschließend lege ich mich ins Bett und falle in einen unruhigen Schlaf. Wie immer wache ich mitten in der Nacht auf.
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Love Again
RomanceStell dir vor du hast einerseits ein großes Bedürfnis nach Nähe, kannst sie aber andererseits nicht zulassen? Einerseits willst du Leuten vertrauen und sie in dein Leben lassen, andererseits kannst du es aber einfach nicht - So geht es der jungen St...