28-Gedanken

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Stunden später wache ich wieder auf. Das blöde Gefühl in mir ist immer noch da.  Wenn jemand stirbt, dann ändert das etwas an deinen Gedanken und deinem Weltbild. Plötzlich erscheint dir alles sinnlos. Warum soll man überhaupt leben, wenn wir doch sowieso alle sterben? Nach ein paar Wochen denkt niemand mehr an dich. Du bist einfach weg. Außerdem ist sterben einfacher als da zu bleiben. Wenn du stirbst, dann bist du einfach weg. Bist du aber derjenige der lebt, musst mit diesem Verlust klar kommen. Jeden Tag wirst du schmerzhaft aufs neue daran erinnert, dass ein Mensch in deinem Leben fehlt. Colin hat mich zerstört, trotzdem war er meine erste große Liebe.

Seufzend sehe ich mich um. Ich liege immernoch auf dem Sofa. Aus der Küche höre ich Stimmen. Langsam setze ich mich auf und gehe in die Küche. Dort sitzen Damon, Emma und Lucas am Tisch. Augenblicklich habe ich das Gefühl ich könnte wieder in Tränen ausbrechen, aber ich kämpfe dagegen an. Ich will nicht mehr weinen. Meine Augen brennen schon vom ganzen weinen. Ausgelaugt setze ich mich an einen freien Platz. "Gehts dir etwas besser?", vorsichtig mustert Grace mich. Wortlos sehe ich sie an. "Okay dumme Frage". Schweigend sitzen wir da. Die Stille kommt mir aufeinmal unfassbar laut vor.

"Ihr müsst nicht schweigen nur weil ich jetzt da bin", murmle ich leise und verlasse die Küche wieder. Gedankenverloren setze ich mich vor unser Fenster und beobachte den regen Stadtverkehr. Damon räuspert sich leise und setzt sich dann neben mich. Er sagt nichts und sitzt einfach nur gemeinsam mit mir da. Und ich bin ihm unglaublich dankbar dafür.

"Darf ich dich was fragen?". Ich sehe rüber zu Damon. "Klar", er nickt leicht. "Was glaubst du, passiert mit einem Menschen, nach dem er Tod ist?". "Ich glaube, dass man in den Himmel kommt. Einen Ort, an dem man alle geliebten Menschen wieder trifft". "Das klingt so Bilderbuchmäßig", murmle ich missmutig. Damon lacht leise. "Ja, das tut es". "Aber es ist eine schöne Vorstellung".  "Darf ich dich noch etwas fragen?". "Tust du doch schon". Er schmunzelt leicht. Auch auf meine Lippen schleicht sich ein kleines Lächeln. "Kommst du am Freitag mit zu der Beerdigung?", unsicher sehe ich Damon an.  "Ja, wenn du das möchtest". Dankbar umarme ich ihn. 

Die nächsten Tage ziehen vorbei wie Sekunden. Die Zeit scheint mal wieder zu rennen, ja beinahe sogar zu sprinten. Und ich bin machtlos dagegen. Meine Wunde blutet weiterhin. Der Schmerz scheint nicht zu vergehen. Aber was erwarte ich auch? Jede Kleinigkeit erinnert mich schmerzhaft an den Tod von Colin. Meine Gedanken kreisen nur noch um ihn.

Müde öffne ich meine Augen und sehe mich in meinem dunklen Zimmer um. Nur wenig Licht dringt durch meine Gardinen. Es scheint noch recht früh zu sein. Heute ist der Tag der Tage. Heute ist die Beerdigung von Colin. Ein Teil von mir hat furchtbare Angst davor. Wenn ich da heute hingehe, dann ist endgültig. Dann ist Colin für immer aus meinem Leben verschwunden. Und damit auch unsere Geschichte. Und ich weiß, dass es unfassbar weh tun wird. Beerdigungen sind etwas schreckliches. Alleine die Atmosphäre die, die Kapelle erfüllt ist gespenstisch. Und das Leid und die Trauer in den Augen der anderen Menschen schnürren einem beinahe die Kehle zu. Es nimmt einem die Luft zum atmen. Ja, Beerdigungen sind wirklich etwas schreckliches.

Seufzend setze ich mich auf und verlasse langsam mein Bett. Jeder Schritt und jede Bewegung fühlen sich an wie eine Qual. Ich hab solche Angst vor diesem Tag. Aber das Leben ist hart und nimmt keine Rücksicht. Immerhin bin ich heute nicht alleine. Damon und Grace werden mich begleiten. Ich gehe in die Küche und mache mir erstmal einen Kaffee. Genüsslich setze ich mich mit meinem Kaffee an unseren Tisch und genieße die wärme der dunklen Flüssigkeit. Kaffee am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen. Nur heute will es nicht so richtig funkionieren.

Nach ich die Tasse ausgetrunken habe, gehe ich erstmal duschen. Auch das warme Wasser in der Dusche kann mich nicht beruhigen und mittlerweile habe ich das Gefühl, dass der Kaffee mich heute nur noch unruhiger und aufgewühlter macht. Hastig dusche ich, um anschließend meine Haare zu föhnen und mich zu schminken. Meine Augen schminke ich heute auffälliger als sonst, um mich wenigstens etwas wohler zu fühlen. Meine Haare binde ich mir zu einem Zopf zusammen. Nachdenklich betrachte ich das schwarze Kleid, welches ordentlich auf einem Bügel an meinem Schrank hängt.

Das Klopfen an meiner Zimmertür reißt mich aus meinen Gedanken. "Ja?". Die Tür öffnet sich langsam und Grace blonder Lockenkopf lugt durch den Spalt. "Darf ich reinkommen?". Durchdringend mustert sie mich. "Klar", nicke ich leicht und ziehe mir hastig das Kleid an. "Du siehst wie immer bezaubernd aus". Grace lächelt mir aufmunternd zu. "Danke", ich lächle leicht. Gemeinsam setzen wir uns auf mein Bett. Wortlos zieht Grace mich in ihre Arme. "Du schaffst das. Du  bist nicht alleine". Den Tränen nahe nicke ich nur. Für eine Weile sitzen wir einfach nur so da.

Die Klingeln der Haustür lässt uns beide zusammen zucken. Schnell stehe ich auf und öffne die Tür.  "Damon". "Hey Emma", vorsichtig lächelt er mich an. "Willst du noch kurz reinkommen?". Ich deute in unsere Wohnung und Damon nickt.

Ich wirble durch die Wohnung und suche die letzten Sachen die ich brauche. Nach dem ich endlich  meine Handtasche gefunden habe, ziehe ich mir noch meine Schuhe an. "Emma?". Aus dem Konzept gebracht sehe ich hoch. Damon steht neben mir. Wortlos nimmt Damon mich in den Arm und hält mich für einen Moment einfach fest. Ich atme tief ein und aus . Und tatsächlich beruhige ich mich wieder etwas. "Danke", flüstere ich nur für Damon hörbar. Aus den Augenwinkeln sehe ich wie Grace uns lächelnd beobachtet.

Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zu der kleinen Kapelle auf dem Friedhof. Damon fährt. Im Auto herscht betretenes Schweigen. Niemand weiß so richtig, ob und was er sagen soll und so kommt es, das wir alle schweigen.  Es fühlt sich an wie die Ruhe vor dem Sturm.

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