Kapitel 18 | Hintergedanken

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Reflexartig versuchte ich mit den Armen zu rudern und schrie, schrie mir meine Seele aus dem Leib. Ich wollte nicht sterben. Das Adrenalin rauschte durch jeden Zentimeter meines Körpers und der Boden kam rasant näher. Ich hatte bereits mit meinem Leben abgeschlossen, als plötzlich alles hellblau um mich herum wurde. Die Zeit schien wie in Zeitlupe zu vergehen und mir blieb fast die Luft weg. Bilder tauchten vor meinen Augen auf, schreckliche und verwirrende Bilder.

Ich sah unzählige tote Menschen, hungernde Menschen aus verschiedenen Ländern. Arme Menschen die auf der Straße saßen. Große Häuser die schwarzen Rauch in die Luft schleuderten. Kutschen aus Metall die ohne Pferde fuhren, und aus deren Hinterteil ebenfalls Rauch raus kam. Es war reine Zerstörung und Leid. Aber was war das?

Ich konnte mir keine weiteren Gedanken drüber machen, da bereits der blaue Schimmer aus meiner Sicht wich und ich wieder ungebremst auf den Boden zu steuerte. Mein Körper fühlte sich merkwürdig erschöpft an. "Sora!", schrie man meinen Namen, schrie ER meinen Namen. Ich drehte mich um und erkannte wie Zephyr auf mich zu schoss. Aber was machte er denn da? Ungewöhnlich schnell erreichte er mich und zog mich an meiner Hand, an seine Brust. Ich stoppte zu schreien und hörte ekelhaftes Knacken. Kurz darauf legte sich ein riesiger Schatten über mich und ich konnte nicht anders als auf die ledrigen Schwingen zu starren,die aus dem Rücken von Zephyr drangen, und eine tiefschwarze Farbe hatten. Sie bremsten den Fall nur gering, das merkte wohl auch Zephyr, denn er drehte uns kurz bevor wir in den Boden schlugen. Schlagartig erfasste mich die Dunkelheit.


~Am Morgen zuvor~

Zephyr

"Und warum sollten wir seine Kräfte aktivieren?", wollte ich wissen und setzte mich zu ihm in den Speisesaal. "Vielleicht schaffen wir durch ihn wieder eine Verbindung zwischen den Menschen und uns. Vielleicht ist das Vaters Plan." erklärte er mir und sein Blick überflog mich einmal. "Ich denke das ist nicht mehr möglich... Sie hassen uns. Wir haben ihnen ihr Lieblingsspielzeug, die Erde, genommen.", wendete ich zweifelhaft ein. Selbst wenn er es mir jetzt noch fünfmal sagt, wird sich meine Meinung nicht einfach so ändern. "Du denkst also, Vater hatte Langeweile und erschuf ihn deswegen? " - "Das auch nicht, aber wie soll er eine Verbindung sein?" - "Denk doch mal nach Zephyr. Er ist ein menschlicher Prinz und zum Teil trägt er das Blut von Vater in sich - dem mächtigsten Drachen den es je gab." Carlos Stimme wirkte ziemlich überzeugt und er gestikulierte wild mit seinen Armen. Er schien es ernst zu meinen. Ich wollte jedoch Sora nicht erfahren lassen was er war, das könnte ihn beängstigen. Er würde bestimmt verzweifeln. Er hasste uns so sehr, und nun soll er zum Teil selber, wie wir sein. Es würde ihn bestimmt verändern. Außerdem... Wenn die anderen Drachen davon erfahren, werden sie ihn für sich wollen und auf seine Seite ziehen. Sie könnten ihn mir wegnehmen. "Denk drüber nach Zephyr", riss mich Carlos aus meinen Vorstellung. "Vater hat gesagt, wir sollen die Menschen auf den rechten Weg bringen, und sie nicht dominieren.", erklärte er mir noch einmal ruhig. Er hatte Recht. Sora könnte vielleicht unser Schlüssel zu den Menschen werden, aber dazu muss er wissen, und verstehen was er ist. Vielleicht ist es ja ein Versuch wert, auch wenn ich dann noch wachsamer um ihn herum sein muss. "Wie hast du vor, um seine Gene durchbrechen zu lassen?", wollt ich dann trocken wissen und sah ins Leere. Ich muss auf ihn aufpassen. Keiner wird ihn mir wegnehmen! "Greifen wir doch mal auf den Plan zurück, den wir gestern Abend angeschnitten haben. Da seine Gene am wahrscheinlichsten durchbrechen, wenn sein Leben in Gefahr schwebt, habe ich mir schon genauere Gedanken gemacht und habe bereits eine recht nette Lösung.", schmunzelte der braunhaarige mit einem hinterhältigen Ausdruck im Gesicht.

Ich konnte kaum hinsehen, als Carlos ihn herunter stieß. Ich konzentrierte mich darauf, Akira zurück zu halten und verdrängte damit seine Hilferufe. Sie waren wie das Quietschen von Kreide auf einer Tafel. Sein Schrei zerriss die Luft und ich ließ Akira nun auch los. Er stürzte zur Klippe und ließ sich auf die Knie fallen. Entsetzte starrte er herunter und schrie nach seinen Freund. Plötzlich sackte ich auf ein Knie und keuchte einmal stumm. Irgendeine Kraft durchflutete meinen Körper und setzte ihn unter Strom. Ein blau gefärbter Schleier legte sich über meine Augen und verlangsamte alles. Bilder blitzten vor meinem Inneren Auge auf, wie Sora am Boden lag. Seine Kleidung war blutüberströmt und seine Augen glichen denen von toten Fischen. Doch ehe ich das Bild analysieren konnte, verschwand es auch, mit dem leichten blauen Schleier um mich herum. Ehe ich mich versah, befand sich mein Körper schon in Bewegung. "Zephyr?", vernahm ich Carlos verwirrte Stimme, wie durch eine dicke Decke, ehe ich Sora hinterher die Klippe runter stürzte. Er darf nicht sterben!


Sora

Ich blinzelte mehrfach, um schnell wieder zu mir zu kommen. Was ich direkt bemerkte war, dass die Sonne bereits am untergehen war und alles in ein sattes Orange tauchte. Der Wald, der hier direkt an die Schlucht grenzte, warf riesige Schatten und wirkte unheimlich. Aber was kümmerte mich der Wald? Ich stemmte mich auf alle Viere und stöhnte schmerzhaft. Meine Seite fühlte sich an, als hätte man sie mit einem Hammer bearbeitet. Doch auch das interessierte mich gerade nicht. Das einzige was mich interessierte war, der Kerl der nur wenige Meter von mir im Dreck lag. Er schien jedoch nicht tot zu sein, da er ziemlich heftig atmete. "Zephyr..", meine Stimme war von dem Geschrei nur noch ein Kratzen, doch er hörte es und drehte seinen Kopf zu mir. Ich verharrte in meiner Bewegung als ich die Farbe seiner Augen sah. Sie waren teils grau. Eine Farbe die ich noch nie zuvor gesehen habe. Was fühlte er? Ich krabbelte unter Schmerzen zu ihm herüber und suchte nach Wunden. Wer weiß, warum ich gerade solche Angst um ihn hatte. "Dir geht es gut.", sprach Zephyr das aus, was ich auch von ihm dachte. Das Graue in seinen Augen wurde wieder durch das ewige Eis verdrängt, welches kaum noch Kälte ausstrahlte. Wir schwiegen erstmal eine Weile und kamen zu Atem. Trotzdem blieben ein paar Fragen. "Warum wollte er mich umbringen?", fragte ich Zephyr kühl. Ich wusste Carlos führte etwas im Schilde, aber so etwas gemeines.. "Eine lange Geschichte...", murmelte Zephyr leise und stand, ebenso wie ich, auf. Er klopfte sich den Dreck von der Kleidung und musterte mich einmal forschend. "Ich erzähle sie dir auf dem Weg zum nächsten Dorf.", fügte er direkt hinzu und sah einmal gen Himmel. Die Sonne war nun fast ganz hinter den Bäumen verschwunden. Und während wir durch den Wald gingen, erzählte er mir was Sache war. Ich war ein halber Drache, jedenfalls hatte er das vermutet. Er und Carlos hatten gehofft, ich würde mich verwandeln.

"Du bist nicht überrascht.", kommentierte er mein Schweigen. "Ich habe sowas geahnt.", gestand ich ehrlich und erzählte ihm dann von diesem kleinen Vorfall beim Sturz. Mir kam schon öfter der Gedanke was an mir so anders war, und warum ich kaum Angst vor den Drachen hatte. Ich beobachtete ihn während meiner Erzählung genau, sah wie sein Kiefer etwas lockerer wurde und seine Augen sich weiteten. "Du bist also tatsächlich ein direkter Sohn von unserem Vater.", stellte er fest und rieb sich am Kinn. "Wer ist das überhaupt? Dieser Vater?", wollte ich dann wissen. Ich habe es hin und wieder mitbekommen, wie er von einem 'Vater' sprach, doch kann ich mir nicht vorstellen, dass Zephyr mein Bruder sein soll. "Vater ist der Urdrache, der erste Drache. Er ist sozusagen wie unser Gott, der uns erschuf. Nur, das er real ist. ", erklärte mir Zephyr und wartete meine Reaktion ab, doch ich nickte nur nüchtern. Ich verstand alles und nahm es sogar gut auf. Immerhin kann ich ja kein Drache sein, ich habe mich ja nicht verwandelt. "Und was bin ich jetzt? Wenn ich kein Drache bin?", wollte ich dann wissen und ging etwas näher neben Zephyr, da der Wald ziemlich beängstigend wurde, so weiter wir hinein gingen. "Du bist einer... Jedenfalls warst du einer.", erklärte mir Zephyr. "Wie meinst du das, ich war einer? Warum bin ich jetzt keiner mehr? Nicht dass ich einer sein wollte, oder dergleichen. " - "Mein Biss.. Ich bin ein Blutdrache, ich stehle die Fähigkeiten und Stärken jeder, die ich beiße, und so auch deine. Wahrscheinlich hatte die Vision die du bekamst, deine letzten Fähigkeiten aufgebraucht, weswegen es nicht mehr zu einer Verwandlung kam.", spekulierte er nachdenklich. "Oh..", machte ich nur und nickte einmal verstehend. "Und jetzt?", wollte ich wissen, da auch eine Vereinigung mit den Menschen wohl nicht mehr ganz so simpel sein wird. Innerlich war ich jedoch froh noch ein Mensch zu sein, denn so blieb erstmal alles beim Alten. "Jetzt, schauen wir erstmal, dass wir die anderen finden, und dann überlegen wir weiter.", entschied Zephyr und beendete damit unsere Unterhaltung.

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