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Saras Sicht

"Oh, okay. Ich habe sie jedenfalls nicht gesehen", meine ich, zucke die Schultern und will mich abwenden, als er mich an der Hand festhält. Er kneift die Augen zusammen, als würde er mich erst jetzt richtig sehen. "Könnte ich ihren Ausweis sehen?", frägt er, mit einem beunruhigendem Unterton in seiner Stimme. "Hab ihn nicht bei mir", sage ich ein wenig zu schnell. "Ach, tatsächlich?", erwidert er in einem Ton der verrät, dass er mir nicht glaubt. "Wie heißen sie denn?", will er wissen und sieht mich scharf an. Ich blicke hektisch um mich. Ausgerechnet jetzt fällt mir kein Name ein. Ich sehe ein Laden namens Tiffany's. "Tiffany. Tiffany Black", gebe ich zurück mit einem Hauch von einem Lächeln an meinen Lippen. "Na schön, Tiffany. Melden sie sich unverzüglich bei der Polizei, wenn sie Sara sehen", gibt der Mann an.

Ich nicke und verschwinde. Schnellen Schrittes gehe ich von dem Busbahnhof weg. Mit dem Bus fahren kann ich jetzt nicht mehr. Man sucht überall nach mir. Bloß, wieso? Meine Füße lenken mich in die Innenstadt. Am besten sich unter Leute mischen, dann würde man mich nicht so schnell identifizieren können. Ich ziehe mir meine Kapuze über und reihe mich in den Strom von Menschen ein, die zu ihrer Arbeit laufen. Es fängt an zu regnen und alle holen ihren Schirm heraus. Ich habe keinen, also suche ich mir eilig ein Cafe, um kurz nachdenken zu können.
In Ruhe.

Als ich eines finde und mich hineinsetzte, ist das Cafe fast leer. Ist mir recht. Ich ziehe meine vom Regen nasse Kapuze herunter und hole das Bild, dass ich von zuhause mitgenommen habe aus der Tasche. Ich drehe es um. "Phoenix in Arizona, aber was bedeutet dieses Versailles und mein Geburtsdatum...?", murmele ich vor mich hin. Vielleicht soll mein Geburtsdatum mir sagen, dass die Botschaft nur für mich bestimmt ist? Ein Kellner kommt und fragt mich ob ich mich schon entschieden habe. Ich bestelle einen Latte Macchiato und als sich der Kellner wieder entfernt, sehe ich die krakelige, aber gleichmäßig Geschwungene Schrift meines Vaters an. Was will er mir sagen? Dass irgendetwas in Phoenix ist, dass mit Versailles zutun hat und mit meiner Kette und dem Schlüsselanhänger?

Frustriert packe ich das Bild wieder weg und sehe aus dem Fenster. Die Straßen haben sich schon beträchtlich geleert. Da ich wirklich nicht weiß was ich tun soll, stecke ich mir Kopfhörer in die Ohren und warte auf meinen Kaffee. In dem kleinen Lokal hängt ein kleiner Fernseher von der Decke auf dem Abends wahrscheinlich immer American Football läuft, doch im Moment kommen nur die langweiligen Nachrichten. Die Frau, dessen Stimme ich durch die Musik in meinen Ohren nicht hören kann, redet wahrscheinlich monoton über die neuen Börsenkurse und das der irgendeine Aktie wieder drastisch gesunken ist oder über neue Reformen der Regierung.

Gerade als ich mich abwenden will, erscheint mein Bild- das selbe das der gruselige Typ mir, vor nicht mehr als einer halben Stunde, gezeigt hat- und ich nehme meine Kopfhörer aus den Ohren.
"Wenn sie wissen, wo sich Sara Jordan aufhält oder sie gesehen haben, melden sie sich unverzüglich beim örtlichen Police Department", endet die Frau. Ich schlucke. Irgendetwas stimmt hier nicht. Ich blicke zu dem einzigen Mensch der sonst noch hier ist, dem Kellner. Er scheint nichts bemerkt zu haben, weshalb ich erleichtert die Luft ausstoße, wobei ich nicht bemerkt habe, dass ich sie überhaupt angehalten hatte.

Er kommt auf mich mit meinem Kaffee zu und lächelt leicht. "Könnte ich schon bezahlen?", frage ich. "Natürlich, das macht 3 Dollar", antwortet er. Ich gebe ihm sein Geld und als er sich verzogen hat, hole ich mein Handy heraus. Eigentlich hatte ich vor, es nur im absoluten Notfall anzuschalten und jemanden anzurufen, aber dass muss ich jetzt einfach wissen. Ich stecke die SIM Karte ein, die ich mir vor zwei Wochen neu gekauft habe und hole den Zettel, mit allen Nummern, die auf der alten SIM Karte drauf waren, heraus. Ich habe die alte SIM Karte zerschnitten, nicht das ich in Versuchung komme, wenn mich jemand anruft, alles zu erklären. Alle Bilder habe ich auch gelöscht. Ich will nie wieder dorthin zurück. Ein Schmerz durchfährt mich. Ich vermisse sie alle so schrecklich. Aber ich muss mich zusammenreissen. Mein Finger gleitet über die Namen bis ich Harveys Namen finde. Dann wähle ich seine Nummer.

Nach einpaar Klingelzeichen geht er ran. "Harvey Williams. Wer ist da?", frägt seine vertraute Stimme. "Hey", sage ich kleinlaut. "SARA? OH MEIN GOTT, WO BIST DU?", schreit er aufgebracht. "Wieso sind alle deine Sachen weg und wieso ist Hot Dog in meiner Garage eingesperrt worden? Wieso sagst du Niemanden wo du bist?", will er weiter wissen. "Weißt du eigentlich, was für Sorgen Blaire und ich uns gemacht haben, als Männer in schwarzen Anzügen und schwarzen Vans vor unseren Türen standen und uns über dich ausgefragt haben?", redet er weiter. "Beruhige dich doch mal. Was wollten sie wissen? Wer waren sie?", frage ich. "Sie haben mich und Blaire gefragt, ob wir wissen wohin du willst und wann du wieder zurück kommst und so ein Zeug. Sie haben dein ganzes Haus auf den Kopf gestellt. Jedes Möbelstück umgschoben, jedes Bild runtergerissen, jede-". "Warte was hast du gerade gesagt?", frage ich leicht panisch. "Jedes Bild runtergerissen, aber erklär du-", fährt er fort. "Harvey, was hast du ihnen erzählt?", frage ich nervös. "Dass ich nichts weiß, weil DU JA NICHTS GESAGT HAST", schreit er wieder.
"Weißt du zufällig, ob sie auch etwas mitgenommen haben? Ein Bild zum Beispiel?", will ich unauffällig wissen.

"Nur das wo du fünfzehn bist", sagt er. "Okay. Weißt du wer sie sind?"
"Sie meinten sie seien von der Polizei, aber wenn du mich fragst ist da was faul. Ich meine sie waren gekleidet wie Auftragskiller. Und sind wir mal ehrlich, du bist nicht mal 24 Stunden verschwunden und schon kommt so ein riesiger Suchtrupp? Sara ist da etwas, was du ausgefressen hast? Wann kommst du wieder? Ich meine, mir kannst du es sagen, ich bin doch dein allerbester Freund-". "Harv, du weißt, dass das nicht geht. Ich habe nichts getan und ich finde es genauso seltsam wie du. Schwarze Vans hast du gesagt? Beschreib sie mal, weißt du das Nummernschild?", frage ich.
"Sie waren groß, wie Vans halt aussehen und schwarz. Die Nummernschilder habe ich mir sicherlich nicht gemerkt", antwortet er.

"Hm, okay. Danke".
Stille.
"Harvey?"
"Ja?"
"Vergiss mich, okay?"
"Das könnte ich nicht"
"Versuch es einfach, ja?"

Stille.

"Und sag bitte niemandem, dass wir geredet haben"
"Wo bist du?"
"Irgendwo. Ich liebe dich"
"Ich dich auch"

Stille.

"Sara wag es jetzt bloß nicht aufzuleg-"

Dann lege ich auf. Tränen steigen in mir hoch. Aber eins ist klar. Die selben Leute die meine Eltern umgebracht haben, bei dem Autounfall, suchen jetzt nach mir. Und mein Vater wusste, dass alles genauso kommen würde. Das er und meine Mutter umkommen werden. Er wusste, dass ich irgendwann abhauen würde, wenn sie tot waren, er wusste dass ich die Schriften auf den Bildern finden würde und mich auf die Suche nach deren Bedeutung machen würde. Er wusste einfach alles! Aber woher? Kannte ich meinen Vater vielleicht gar nicht wirklich? Was hat er vor mir verheimlicht?

Ich atme schwermütig aus und stecke alles wieder in den Rucksack, trinke den Kaffee zuende und will gehen, bis ich sehe, wie ein Mann, schwarz gekleidet, auf das Lokal zugeht. Ich blicke zu dem Kellner und bemerke jetzt auch wie nervös er immer wieder auf die Uhr und zu mir sieht. Er hat doch bemerkt, dass die Polizei und sonstnochwer nach mir sucht und hat sie daraufhin angerufen. Ich stehe auf und flüchte aufs Damenklo, schließe hinter mir ab und steige durch das Fenster hinaus und renne weg. Jetzt beginnt wohl mein Leben auf der Flucht.

Danke fürs Lesen!

On the Run (Wolves Heart)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt